Zu viele Arzneimittelreste im Trinkwasser: Gefahr für den Menschen?
Normalerweise sollen Arzneimittel im Körper wirken. Doch ein Großteil der Wirkstoffe wird unverändert wieder ausgeschieden und gelangt ins Abwasser – und darüber auch in unser Trinkwasser. Wie gefährlich ist das?

Herstellende von Arzneimitteln müssen Studien zum Umweltverhalten und zur -toxizität durchführen. Allerdings werden nur die wenigsten Ergebnisse dieser Analysen veröffentlicht. Das soll sich bald ändern: Auf EU-Ebene laufen Verhandlungen, ein erster Entwurf für ein neues Humanarzneimittelrecht soll in den nächsten Tagen bis Wochen vorgelegt werden. Doch wie ernst ist die Lage überhaupt – wie viel Wirkstoff bleibt nur im Körper, wie viel gelangt in die Umwelt und welche Gefahr bringt das mit sich?
Wie viel Wirkstoff eines Arzneimittels bleibt im Körper?
Je nach Präparat gibt es Unterschiede, wie viel Wirkstoff in den Körper und wie viel in die Umwelt gelangt. Doch die Tendenz ist erschreckend: Bis zu 90 Prozent des enthaltenen Wirkstoffes wird unverändert wieder ausgeschieden und gelangt so ins Abwasser. Das Bundesumweltamt warnt, dass Kläranlagen nur einen Teil dieser Substanzen filtern können – in geringeren Mengen sind die Arzneimittelreste somit auch im Trinkwasser enthalten.
Umwelt wird massiv beschädigt
Wie dramatisch die Lage ist, zeigt ein Beispiel der Substanz Diclofenac, die u.a. in Salben gegen Schmerzen enthalten ist. In den 1990er-Jahren behandelten indische Landwirte ihre Rinder mit dem Wirkstoff. Bei Greifvögeln, die es über den Verzehr von Kadavern aufnahmen, kam es schnell zu einem qualvollen, tödlichen Nierenversagen. Die Folgen waren extrem: Es kam zum Massensterben der Geier, Bestände verringerten sich um 90 Prozent und mehr, einige Geierarten waren kurz vor dem Aussterben.
Diclofenac ist auch in Deutschland weit verbreitet – jährlich werden etwa 80 Tonnen verbraucht, von denen jedoch wohl nur etwa sechs Prozent am erwünschten Ziel im Körper ankommen. Der Großteil gelangt übers Händewaschen, Duschen oder Waschen ins Abwasser.
Arzneimittelreste im Trinkwasser: Besteht Gesundheitsgefahr?
Da die Kläranlagen die Arzneimittelreste nicht vollständig entfernen können und sie somit auch im Trinkwasser vorhanden sind, stellt sich die Frage nach der Gesundheitsgefahr für den Menschen. Feststeht: Meist liegen die Konzentrationen weit weg von den Werten, wann die Arznei wirksam wird. Allerdings: Es könnten Wechselwirkungen sowie Langzeitfolgen entstehen. Ob ein ernstes Gesundheitsrisiko besteht, wird in künftigen Analysen weiter geprüft.
Dass Arzneimittelreste in Ab- und Trinkwasser gelangen, ist schon lange der Fall. Tausende Tonnen biologisch aktive Wirkstoffe gelangen in Deutschland jährlich in die Umwelt, darunter mehr als 2.000 unterschiedliche Substanzen. Zurzeit gewinnt die Thematik besonders an Bedeutung, weil die Generation der Babyboomer das Rentenalter erreicht hat, in dem prinzipiell mehr Medikamente eingenommen werden. Laut Prognosen ist verglichen mit dem Jahr 2015 bis 2045 eine Steigerung von 70 Prozent bei den rezeptpflichtigen Arzneimitteln zu erwarten – somit wird auch der Anteil der Wirkstoffe in der Umwelt und im Abwasser größer.
Vorschläge zur Reduzierung der Arzneimittelreste im Abwasser
Die Menge der Arzneimittelreste, die in die Umwelt gelangen, soll reduziert werden. Doch wie? Einerseits ist in der Wasserrahmenrichtlinie der EU bereits eine weitere Reinigungsstufe vorgesehen. Weil dennoch nicht alle Wirkstoffe gefiltert werden, fordern Expert:innen unterschiedliche Maßnahmen.
So sollen umweltschädliche Wirkstoffe wie Diclofenac künftig rezeptpflichtig werden. Außerdem sollen Herstellende bei der Neuentwicklung von Medikamenten verstärkt auf die Haltbarkeit achten, sodass beispielsweise nur noch eine, statt zwei Tabletten pro Tag genommen werden müssen.
Ob bzw. wie gut dies möglich ist und wie groß der Effekt auf die Umwelt und den Anteil der Arzneimittelreste im Trinkwasser ist, bleibt jedoch vorerst unklar und abzuwarten. Verbraucher:innen können die Belastung auch selbst reduzieren, indem der Gebrauch von z.B. Schmerzsalbe mit Diclofenac und vor allem die Häufigkeit des Auftragens dieser hinterfragt und realistisch angepasst wird.
Quelle:
Mehr Arzneimittelreste in der Umwelt - Daten zu Risiken Geheimsache, in: krankenkassen.de