Woran merke ich, dass mein Kind stark gestresst ist?

Auch Kinder leiden heutzutage immer mehr und immer früher unter Stress. Doch wie äußert sich das – und was können Eltern dagegen tun? Kinderärztin Dr. Nadine Hess weiß Rat.

Kinderärztin Dr. Nadine Hess
Expertin Dr. Hess: „Damit ein Kind die Chance hat, aus einer Stressspirale auszubrechen, müssen zunächst die Ursachen gefunden und beseitigt werden.“ Foto: Privat

Das sagt Kinderärztin Dr. Nadine Hess

Es ist nicht immer leicht für Eltern, zu erkennen, ob das Kind dauerhaft an zu viel Stress leidet oder ob es nur eine etwas schwierige Phase hat. Das liegt vor allem daran, dass das Kind häufig nicht einmal selbst merkt, wie sehr es unter Strom steht. Und wenn es ihm doch klar ist, kann es das meist nicht mit Worten ausdrücken. Stattdessen legt das Kind beispielsweise plötzlich ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag, für das es viele mögliche Ursachen geben könnte – auf Stress kommen Eltern meist nicht sofort.

Unter Stress gerät das limbische System im Gehirn, das für Emotionen zuständig ist, in einen Alarmzustand. Das rationale Denken bei Kindern wird davon überlagert. Zusätzlich wird unter Stress genau der Teil des Gehirns, der absichtliches Verhalten steuert, sozusagen heruntergefahren. Das führt zur Überreizung beim Kind und zu impulsgesteuertem Verhalten: Es kann beispielsweise schlechter stillsitzen, keinen Blickkontakt halten und ist generell unkonzentrierter. Das sind auch genau die Zeichen, auf die Eltern achten sollten, wenn sie den Verdacht haben, dass das Kind stark gestresst ist: Bei impulsgesteuertem Verhalten wird der Nachwuchs meist nicht oder nur verzögert auf direkte Ansprache reagieren. Kommt das mehrmals in der Woche vor, sollten Sie den Kinderarzt darauf ansprechen.

Kinderärztin Dr. Nadine Hess
Stress bei Kindern bedeutet oft auch schlaflose Nächte Foto: iStock

Stress: Den Ursachen auf der Spur

Neben Problemen in der Schule zählen Schlafstörungen, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung zu den Hauptursachen für die Beschwerden. Am häufigsten ist es sogar eine Kombination dieser Auslöser, die zu einem Teufelskreis führt: Ist das Kind beispielsweise schlecht in der Schule und sorgt sich, den Anschluss nicht wiederzufinden, wird es von diesen Sorgen vom Schlafen abgehalten. Dadurch ist es dann in der Schule übermüdet und unkonzentriert und hängt noch mehr hinterher – ein Ausbrechen aus dieser Stressspirale ist ohne Hilfe praktisch unmöglich.

Abschalten unmöglich?

Ein weiterer verstärkender Faktor: Heute haben Kinder immer und überall die Möglichkeit, „on“ zu sein. In der Regel sendet das Gehirn uns Hinweise, wenn wir eine Pause brauchen und abschalten sollten. Smartphone, Laptop und Co. sorgen aber oft dafür, dass diese Signale ignoriert werden, weil man ja noch schnell diese eine Nachricht beantworten oder jenes Level in einem Spiel schaffen könnte. Die Folgen sind Reizüberflutung und das Gefühl, einfach keine Ruhe mehr zu finden. Viele Kinder verlernen bewusstes Abschalten dadurch komplett.

Damit das Kind aus dem Teufelskreis herauskommt, muss erst einmal herausgefunden werden, was den Stress auslöst. Beobachten Sie das Kind also genau, notieren Sie, in welchen Situationen es impulsgesteuert reagiert und erkundigen Sie sich auch nach dem Alltag, den Sie nicht direkt miterleben, beispielsweise wie es in der Schule läuft. Denn wenn die Ursachen gefunden sind, lassen sie sich in der Regel auch behandeln. Bei schulischen Problemen beispielsweise lohnt es sich immer, mit dem Klassenlehrer zu sprechen. Lehrer haben meist einen anderen Blick auf ihre Schüler als Eltern auf ihre Kinder. Wenn das Kind im Unterricht nicht mitkommt, kann Nachhilfe sinnvoll sein, bei Problemen mit Mitschülern sollten diese gezielt vom Lehrer angegangen werden. Liegen die Schwierigkeiten zuhause, beispielsweise beim Einschlafen, nehmen Sie sich abends ein paar Minuten mehr Zeit für Ihr Kind. Besprechen Sie den Tag und anstehende gemeinsame Ausflüge oder ähnlich Angenehmes. Dadurch entspannt das Kind leichter und kann eher einschlafen. Weitere Tipps für einen guten Schlaf finden Sie im Artikel „Was kann ich tun, wenn mein Kind schlecht schläft?“. Wichtig ist außerdem, dass Kinder wieder lernen, wie sich Ruhe eigentlich anfühlt. Experten empfehlen, dafür auch bei Kindern Yoga und Atemübungen auszuprobieren.