Windpocken – eine unterschätzte Gefahr?

Kinderärztin Dr. Nadine Hess gibt hilfreiche Tipps zu Windpocken
Expertin Dr. Hess: "Gegen den Juckreiz und eine mögliche Infektion aufgekratzter Stellen helfen austrocknende Lotionen mit Gerbstoffen – wie bei allen Juckreiz-stillenden Lokaltherapeutika ist der Effekt noch ein bisschen größer, wenn Sie sie gekühlt auft Foto: privat

Wir Erwachsenen hatten sie fast alle als Kind, kaum einer blieb davon verschont und jeder erinnert sich noch an die fürchterlich juckenden Pusteln, das rosa- bis lilafarbene Kaliumpermanganat-Bad, das den Juckreiz lindern und eine Superinfektionen verhindern sollte.

Das sagt die Kinderärztin Dr. Nadine Hess:

Der ein oder andere hat auch ein paar Narben zurückbehalten, die von der durchgemachten Windpocken-Infektion erzählen. Gut, unangenehm war es, aber wirklich schlimm nun auch wieder nicht – das berichten mir viele Eltern. Warum also gibt es mittlerweile eine Impfung dagegen, die auch von der ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts (STIKO) empfohlen wird?

Windpocken, auch Varizellen genannt, gehören zur Gruppe der Herpesviren und sind eine der infektiösesten Erkrankungen überhaupt. Ihr sogenannter Kontagions-Index – er gibt an, wie ansteckend eine Erkrankung ist – liegt mit fast 1,0 ähnlich hoch, wie bei Masern. Das bedeutet, dass von 100 Personen, die dem Virus ausgesetzt und nicht immun sind, mehr als 90 erkranken. Varizellen werden als Tröpfcheninfektion übertragen. Sie stecken unter anderem deshalb so viele Menschen an, da Erkrankte schon mehrere Tage vor Ausbruch des charakteristischen Ausschlages ansteckend sind.

Erst etwa 14 Tage nach der Ansteckung spüren die Betroffenen zunächst ein allgemeines Unwohlsein, manchmal kommt auch Fieber dazu. Ein bis zwei Tage später tritt dann der charakteristische Ausschlag auf. Vor allem im Gesicht und am Rumpf zeigen sich bläschenförmige Hautveränderungen, die teilweise starken Juckreiz verursachen. Grundsätzlich kann aber die gesamte Haut, inklusive der Schleimhäute betroffen sein. Eine Narbenbildung ist nicht besonders häufig, laut einer Studie aus dem Jahr 2001 liegt sie bei 18,7 Prozent, kann aber insbesondere bei starken Kratzeffekten auftreten*.

Windpocken, auch Varizellen genannt, gehören zur Gruppe der Herpesviren und sind eine der infektiösesten Erkrankungen überhaupt

Sind die lästigen Bläschen erstmal da, kann nicht viel getan werden – und muss in der Regel auch nicht, sofern es sich um Kinder mit normalem Immunsystem handelt. Gegen den Juckreiz und eine mögliche Infektion aufgekratzter Stellen helfen austrocknende Lotionen mit Gerbstoffen – wie bei allen Juckreiz-stillenden Lokaltherapeutika ist der Effekt noch ein bisschen größer, wenn Sie sie gekühlt auftragen. Also am besten im Kühlschrank lagern.

Bei Kindern zwischen einem und vier Jahren sind Komplikationen sehr selten, danach treten sie immer häufiger auf. Es kann im schlimmsten Fall zu schweren Lungenentzündungen und Hirnentzündungen kommen, zu Superinfektionen der Haut, sowie zu Entzündungen der Gefäße im Gehirn, die sich als Schlaganfälle mit plötzlicher Halbseitenlähmung, meist erst mehrere Monate nach der Windpockenerkrankung äußern. Ich selbst habe zwei Fälle mit solchen Komplikationen erlebt. Das eine Kind blieb glücklicherweise ohne Folgeschäden, die Lähmung ging vollständig zurück. Das andere Kind behielt leider bleibende Defizite.

Schwangere und immungeschwächte Menschen sind ebenfalls besonders gefährdet, wenn sie sich mit Windpocken infizieren. Die schweren Begleiterscheinungen treten aber in der Regel direkt auf –zum Beispiel in Form einer Lungenentzündung. Erkrankt eine Schwangere in den ersten 20 Schwangerschaftswochen, besteht die zwar sehr geringe Gefahr (etwa zwei Prozent) eines sogenannten neonatalen Varizellensyndroms, welches jedoch fatal ist – hier kommt es zu narbigen Hautdefekten, Fehlbildungen des Gehirns, der Augen, des Skeletts oder der Muskeln.** Erkrankt eine Schwangere zwei Tage vor bis fünf Tage nach der Geburt, ist das Kind ebenfalls besonders gefährdet, da die Mutter über die Nabelschnur keine ausreichenden Antikörper weitergeben konnte, damit das Baby geschützt ist. Bis zu 30 Prozent der Kinder erkranken dann ebenfalls mit einer hohen Komplikationsrate.

Die Babys sollen geimpft werden und  nach der Impfung für 12 Tage engmaschig auf Hauterscheinungen überprüft werden. Entwickeln sich die typischen Bläschen (Varizellen), ist eine Behandlung mit einem virushemmenden Mittel (Aciclovir) über die Vene notwendig:***

Aufgrund der hohen Komplikationsgefahr für Säuglinge und immungeschwächte Menschen, sowie der ab dem vierten Lebensjahr stetig steigenden Komplikationshäufigkeit und der zwar seltenen, aber teils schwerwiegenden Fehlbildungen bei Infektion in der frühen Schwangerschaft, ist die Impfung grundsätzlich ratsam und sinnvoll. Windpocken werden ab dem 12. Lebensmonat zusammen mit Masern, Mumps und Röteln geimpft, eine Auffrisch-Impfung (die dann als eine Spritze mit allen vier Komponenten erfolgen kann) erfolgt frühestens vier Monate später, bestenfalls bis zum 24. Lebensmonat. Danach sollte eine lebenslange Immunität bestehen.

Übrigens: Gürtelrose (Herpes zoster) ist eine Reaktivierung des Windpockenvirus. Davon geht in der Schwangerschaft allerdings keine Gefahr aus. Infektiös ist in dem Fall nur der Bläscheninhalt, dieser Bereich sollte also gut abgedeckt sein, dann kann keine Ansteckung anderer erfolgen.

* Leung AK1, Kao CP, Sauve RS: Scarring resulting from chickenpox. Pediatr Dermatol. 2001 Sep-Oct;18(5):378-80

** Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie DGPI, 5. Auflage, S. 556

*** Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie DGPI, 5. Auflage, besonders S. 560