Wie viel PS hat mein Herz?

Das Herz als Motor
Unser Herz bringt mehr Leistung als der Motor des besten Sportwagens – darum sollten wir pfleglich damit umgehen Foto: Fotolia

In unserem Körper arbeitet ein Hochleistungsmotor, der jeden Sportwagenantrieb in den Schatten stellt: das Herz. Aber was passiert, wenn ich zu viel Zucker im Tank habe? Wie funktioniert ein Boxenstopp für das Organ? Und kann sich unser Herz selbst heilen? Alles über die faszinierende Mechanik des Motors unseres Lebens.

Wäre unser Herz der Motor eines Sportwagens, dann hätte die Automobilindustrie ein Problem. Der Absatz neuer Motoren und der neuer Fahrzeuge würde stark zurückgehen. Denn herkömmliche Diesel- oder Benzinantriebe sind nur für etwa 5.000 Betriebsstunden ausgelegt. Dann brechen die ersten Verschleißteile, und der Motor sollte ausgetauscht werden. In der Regel wird gleich der ganze Wagen verschrottet. Mit einem menschlichen Herzen als Motor führe das Auto nicht nur schneller, es könnte auch sehr viel länger Asphalt fressen. Denn unser Herz springt nach etwa 5.000 Stunden erst richtig an, bis dahin läuft es in einer Art Testprogramm – Probefahrt im Mutterleib. Und danach erbringt es Leistungen, die jeden Konstrukteur vor Neid erblassen ließen: durchschnittlich 652.000 Stunden Dauerbetrieb ohne Pause, ohne Boxenstopp, Reifen- oder Ölwechsel – zumindest wenn wir das richtige Set-up, also die bestmögliche Motoreinstellung, gewählt haben.

Ein Kind im Mutterleib
Bei einem Ungeborenen beginnen die Zellen, die zum Herzmuskel heranwachsen, spätestens am 28. Tag zum ersten Mal rhythmisch zu pulsieren. Allerdings gleicht dieses frühe Herz noch nicht dem eines Erwachsenen Foto: Fotolia

Probefahrt im Mutterleib

Der Mutterleib ist die Konstruktionshalle des menschlichen Körpers, und auch das Herz entsteht hier. Nach 21 Tagen sind die ersten Strukturen angelegt, nach spätestens 28 Tagen beginnt es zu arbeiten. Während es noch in einer Art Testlauf schlägt, werden weitere Umbauarbeiten vorgenommen, und es nimmt langsam seine endgültige Form an. In den letzten Wochen vor der Geburt wird das Herz dann auf die Leistung eingestellt, die auf der Rennstrecke Leben notwendig ist. Die Leistungsdaten erhält das Herz des Ungeborenen von seiner Mutter. Die Wissenschaftlerin Linda E. May von der Kansas City University für Medizin und Biowissenschaften konnte in einer groß angelegten Studie nachweisen, dass die Pulsfrequenz der Mutter einen entscheidenden Einfluss auf das Set-up des Babyherzens hat, der noch Monate nach der Geburt zu beobachten ist. Durch viel Bewegung während der Schwangerschaft wird das Herz des Kindes in einen sportlichen Modus gebracht. Umgekehrt produziert wenig Bewegung in Kombination mit Alkoholgenuss einen leistungsschwächeren Motor mit höherem Verschleißpotenzial. Doch der wichtigste Test ist die Geburt selbst: Der Motor wird auf bis zu 180 Schläge – also auf Maximalgeschwindigkeit – beschleunigt. Außerdem wird ein letztes Bauteil justiert: das sogenannte Foramen ovale, ein Durchlass zwischen den beiden Herzkammern. Er verschließt sich durch den Druck der ersten Atmung. Damit ist das Herz bereit für seinen Einsatz.

Motorleistung – wie oft schlägt mein Herz?

Von jetzt an arbeitet unser Herz mit voller Leistung. Die faustgroße 300-Gramm-Konstruktion des erwachsenen Menschen pumpt rund 70-mal pro Minute bis zu 100 Milliliter Blut durch den Körper. Das sind etwa 7.000 Liter am Tag – allerdings im ersten Gang. Physiker haben diese eigentlich thermodynamische Leistung mit einer komplizierten Formel umgerechnet und dabei den Energiegewinn des Blutes beim Pumpen als Grundlage genommen: So gesehen entspricht die Leistung im Ruhezustand der eines 580-PS-Motors. Im höchsten Gang schickt das Herz sogar bis zu 1.200 Liter Blut pro Stunde durch die Adern. Im Laufe von 80 Lebensjahren kommen so etwa drei Milliarden Schläge zusammen – alle anderen Säugetiere erleben höchstens eine Milliarde Schläge.

200 Millionen Liter Treibstoff

Manche Menschen haben einen ausgesprochen niedrigen Ruhepuls von unter 40 Schlägen, der manchmal sogar im Bereich des Pulses von Komapatienten liegt. Trotzdem werden diese Menschen nicht älter als andere. Der Grund für den extrem niedrigen Ruhepuls liegt in einem großen Trainingsvolumen mit hohen Pulsfrequenzen. Dann pendelt sich die Gesamtzahl der Pulsschläge auf einen Durchschnitt ein. Daher wird jeder Mensch, der an Altersschwäche stirbt, mehr als 200 Millionen Liter Treibstoff durch seinen Körper gepumpt haben. Mit dieser Menge könnten zwei bis drei Supertanker befüllt werden. „Das Herz ist eine echte Hochleistungsmaschine“, sagt der Herzchirurg Dr. Ferdinand R. Waldenberger. Trotzdem gehen wir mit ihm schlechter um als mit jedem Automotor. Wir kämen nie auf die Idee, Fremdstoffe in unser Benzin zu kippen, denn jeder weiß, was dann geschieht.

Was passiert, wenn zu viel Zucker im Tank ist?

Viele zuckerreiche Speisen
Unser Herz funktioniert ähnlich wie ein herkömmlicher Verbrennungsmotor: Wenn zu viel Zucker oder Fett in den Tank gerät, streikt die Maschine. Denn Foto: Fotolia

Je mehr zucker- und fetthaltige Nahrung wir konsumieren, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass unser Körper zu viel LDL-Cholesterin produziert. Das lagert sich dann an den Gefäßwänden der Herzarterien ab und kann sie verstopfen: Die Treibstoffzufuhr des Motors ist blockiert, eine Herzoperation unausweichlich. Ziel der OP: die Blutzufuhr wieder herzustellen. Bis vor wenigen Jahren mussten die Patienten dazu in eine Vollnarkose versetzt werden. Dann wurde der Brustkorb mit einem Skalpell geöffnet und eine neue Leitung gelegt. Mediziner nennen das BypassOperation. Als Material wurde ein Stück Vene an anderer Stelle im Körper entnommen oder Kunststoff verwendet. Doch seit einigen Jahren gibt es ein Zusatzmodul, das in vielen Fällen eine Operation am offenen Herzen unnötig macht: den Stent. Dabei handelt es sich um ein winziges zusammen gefaltetes Gitterröhrchen, das durch eine Arterie zu der verstopften Stelle geführt wird. Eine Art Nano-Ballon bläst den Stent auf, die Stelle weitet sich, und der Ballon wird durch die Arterie wieder herausgezogen. Der Stent verbleibt in der Treibstoffleitung und soll sie weiterhin offen halten.

Vor einigen Jahren haben Mediziner festgestellt, dass sich der Motor Herz sogar viel besser selbst reparieren kann. Dafür müssen wir lediglich eine Art Reparaturprogramm ausführen. „Jedes Herz hat eine Art eigenes Back-up-System vorin stalliert“, sagt Waldenberger.

Wie heilt mein Herz sich selbst?

„Mediziner nennen das Arteriogenese.“ Wie funktioniert das? Kommt es in einer großen Arterie zu einem Verschluss, sucht sich das Blut neue Wege durch kleinere Äderchen, die Kollaterale. Diese Adern bilden sich durch den höheren Druck nach und nach um und verwandeln sich in Ersatz-Arterien, die die Funktion der verstopften Leitung vollständig übernehmen. Dafür verantwortlich ist ein biophysikalischer Befehl, der unter anderem durch den Sauerstoffmangel in der verstopften Arterie ausgelöst wird. Durch dieses molekulare Signal werden bestimmte Gene aktiviert, die eine ganze Reihe biochemischer Prozesse in Gang setzen, durch die Kollaterale zu Arterien umfunktioniert werden. Mit viel Bewegung lässt sich der Effekt schneller und mit höherer Wirksamkeit herbeiführen. Auch bei Gesunden wirkt gezieltes Ausdauertraining wie ein Schutzschild: Die vorhandenen Kollaterale sind bereits so stark vergrößert, dass ein Gefäßverschluss der Hauptarterie häufig gar nicht bemerkt wird. Das Problem: Viele Medikamente zur Senkung des Cholesterinspiegels wirken wie ein Trojaner, der das Auto-Repair-Programm deaktiviert. Daher raten immer mehr Ärzte von diesen Medikamenten ab. Denn die Arteriogenese ist der wirksamste Schutzmechanismus des Körpers gegen Schäden am Herzen. „Trotzdem sollte man seinen Motor nicht ständig hochtourig fahren“, sagt Waldenberger. „Mal langsamer, mal schneller, und wenn der Motor noch kalt ist, bitte keine hohen Drehzahlen! Sollte bei einem Auto der Motor für immer ausfallen, können wir ihn problemlos austauschen. Bei uns selbst ist das sehr viel problematischer – und wir haben keinen Ersatzantrieb!“ Aber warum eigentlich nicht?

Eine Grafik des Aufbaus des Herzens
Im rechten Vorhof wird das Blut gesammelt und unter hohem Druck in die rechte Kammer gepresst. Von der rechten Kammer aus wird das Blut in die Lunge gepumpt, wo es erneut Sauerstoff aufnimmt. Durch die Lungenarterie gelangt das mit Sauerstoff aufgefrischte Blut zurück ins Herz. Das frische Blut wird im linken Vorhof zum Einsatz bereitgehalten. Aus der linken Kammer wird das frische Blut durch den Körper gepumpt. Der Vorhof funktioniert dabei wie ein Turbocharger, der den Blutdruck um 20 Prozent erhöht Foto: Fotolia

Warum haben wir keine zwei Herzen?

Jeder Mensch ist mit zwei Armen, zwei Lungenflügeln, zwei Nieren, zwei Ohren und vielen anderen paarweise angeordneten Bauteilen ausgestattet, hat aber nur ein Herz. Der Grund: Unser Herz ist eigentlich auch ein Paar. In seinen ersten Entwicklungsstadien konstruiert unser Körper zwei Bauteile aus den zur Verfügung stehenden Herzzellen, die aber schon nach wenigen Tagen miteinander verschmelzen. In Experimenten mit Fröschen, bei denen der Prozess ähnlich abläuft, wurde das verantwortliche Gen deaktiviert, und es entwickelten sich gesunde Tiere mit zwei Herzen. Aus biologischer Sicht scheint ein einziges Herz jedoch die effektivere Lösung zu sein, denn seine Leistung ist völlig ausreichend. Außerdem würde ein zweites Herz nur in den seltensten Fällen gesund bleiben, wenn das andere erkrankt. Denn Motorschäden entstehen am häufigsten durch Verunreinigungen des Treibstoffs. Und der Treibstoff würde immer zugleich beide Motoren erreichen. Schließlich hat auch ein Kraftfahrzeug zwei Vorder-, zwei Hinterräder, zwei Kotflügel, aber nur einen Motor – auch wenn dieser im Vergleich zum Hochleistungsantrieb Herz dasteht wie ein schrankgroßer Computer aus den 1960er-Jahren gegenüber einem iPad 3.

Unser Herz ist mit seinen zwei Kammern (auch Ventrikel genannt) und zwei Vorhöfen (Atrium) aufgebaut wie ein Vier-Zylinder-Motor. Die Aufgabe dieses Motors ist es, den Blutkreislauf in ständiger Bewegung zu halten: Verbrauchtes Blut strömt durch die Herzklappe des rechten Vorhofs in die rechte Herzkammer. Von dort wird es in die Lunge gepumpt, wo es Kohlendioxid abgibt und frischen Sauerstoff aufnimmt. Anschließend wird das frische Blut durch den linken Vorhof in die linke Herzkammer geleitet und wieder durch das Adersystem gepumpt.

Warum können meine Adern verstopfen?

Mit dem Blut werden eine ganze Reihe von Stoffen durch die Highways unseres Körpers transportiert, darunter Cholesterin, Fett, Giftstoffe und Kalk. Beispiel: Ein bestimmter Cholesterin-Typ wird von weißen Blutkörperchen, die in den Gefäßwänden eingelagert sind, angezogen. Die Folge: Es entstehen sogenannte Schaumzellen, die eine Entzündung hervorrufen. Diese Reaktion sorgt wiederum dafür, dass mehr Blutzellen angelockt werden, die sich dann ebenfalls in der Gefäßwand einlagern – die Ader verstopft nach und nach.

Warum operiert man ein Herz ohne Vollnarkose?

Einer der wichtigsten Risikofaktoren bei Herzoperationen ist die Vollnarkose. Sie kann beispielsweise zu tödlichen Luftröhrenkrämpfen oder einer sogenannten Hyperthermie führen, bei der die Körpertemperatur plötzlich lebensbedrohlich ansteigt. Der indische Herzspezialist Dr. Vivek Jawali operiert daher seit einigen Jahren erfolgreich mit einer von ihm entwickelten Operationstechnik, bei der Patienten nur lokal betäubt werden. Ein weiterer Vorteil: Die überfüllten indischen Kliniken können die Patienten schneller entlassen.

Wozu braucht mein Herz einen Stoßdämpfer?

Das Herz ist von einem mit Gewebsflüssigkeit gefüllten, doppelwandigen Sack umgeben, dem Herzbeutel oder Perikard (Bild: Echokardiogramm einer krankhaften Flüssigkeitsansammlung (Pfeil) im Perikard). Das Perikard schützt das Herz vor Stößen und hält es an Zwerch- und Brustfell in seiner Lage fest. Seine Gewebsfasern verhindern, dass sich das Herz bei körperlicher Anstrengung überdehnt.