Wer mehr wiegt, lebt länger!
Verblüffend, aber wahr: Nicht die extra Dünnen sind die Gesunden, sondern die, die ihren Stress reduzieren können.
Ob Kohlenhydrat- oder Eiweiß-Diät, FDH oder Fasten: Menschen weltweit sagen ihrem Körperfett täglich den Kampf an. Im Glauben, damit nicht nur etwas für die schlanke Linie, sondern auch für ihre Gesundheit zu tun. Doch nun stellen aktuelle Erkenntnisse die jahrzehntelangen Annahmen auf den Kopf: Übergewicht ist gesund und kann sogar die Lebenserwartung steigern. Das belegt Hirnforscher Achim Peters in seinem neuen Buch "Mythos Übergewicht. Warum dicke Menschen länger leben". Wir stellen Ihnen dieses geradezu revolutionäre Konzept vor.

"Diäten bringen nichts"
Im Interview: Hirnforscher Prof. Achim Peters vom Uniklinikum Schleswig-Holstein.
Wie kann ich am besten abnehmen?
Achim Peters: Am besten gar nicht. Gewichtszunahme ist die Folge einer Strategie des Gehirns, mit der es sich vor den schädlichen Auswirkungen von Stress schützt.
Aber mein Arzt rät mir dazu.
Die Kalorienreduzierung im Rahmen einer Diät führt dazu, dass die Energieversorgung des Gehirns eingeschränkt wird. Die Folge ist Stress mit all seinen gesundheitsschädigenden Nebenwirkungen.
Und wenn ich noch mehr zunehme?
Das Gewicht jedes Menschen richtet sich nach dem individuellen Energiebedarf seines Gehirns. Jeder isst also so viel wie er auch braucht – und nicht mehr. Eine Diät würde auch hier das neue Gleichgewicht empfindlich stören.
Aber ich fühle mich unwohl.
Aus gesundheitlichen Gründen ist es wünschenswert, mit seinem Körper Frieden zu schliessen, statt einem Schlankheitsideal nachzueifern. Es gibt nur einen gesunden Weg, dem entgegenzuwirken – den Stress reduzieren!
Wieso Gewichtszunahme vor Stress schützen kann
Die Antwort liegt im Stoffwechsel des Gehirns. Es hat eine Strategie entwickelt, um sich vor den negativen Folgen der Stresshormone zu schützen. Ist das Hormon Cortisol nämlich dauerhaft erhöht, kann dies zu toxischem, also giftigem Stress führen. Beschleunigte Alterungsprozesse, ein Abbau von Muskel-, Knochen- und Bindegewebe und ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall sind die Folge. Wenn Menschen nun länger unter Anspannung stehen, zum Beispiel aufgrund von familiären Problemen, passt sich das Gehirn an diese Situation an. Dies gelingt ihm, indem es das Stresssystem herunterfährt. Dadurch verändert sich allerdings auch der Energiestoffwechsel im Körper: Das Gehirn benötigt mehr Energie von außen – und diese bekommt es nur durch Nahrung. Von den aufgenommenen Kalorien gelangt aber nur ein geringer Teil in die gierige Schaltzentrale, der Rest geht auf die Körperfettdepots.
Es ist also nicht die vermeintliche Willenlosigkeit, die Menschen dick macht. Wer ein paar Kilo mehr auf den Rippen hat, beherrscht sich in Bezug auf sein Essverhalten sogar besser als die Normalgewichtigen. "Es ist tatsächlich so, dass dicke Menschen bedarfsgerecht essen – nicht zu viel und nicht zu wenig – gerade genug, um ihr Gehirn ausreichend zu versorgen", sagt Achim Peters.
Gewichtszunahme durch Stress – eine Typfrage
Warum nicht jeder durch Stress zu? Es gibt zwei Typen von Menschen, die auf Stress unterschiedlich reagieren. Zu welchem Typ man gehört, ist genetisch festgelegt und kann durch keine Ernährungsstrategie der Welt verändert werden. Die einen nehmen bei Stress zu, wie eben beschrieben. Der zweite Typus bleibt schlank. Denn er fährt, sobald er unter Anspannung steht, sein Stresssystem hoch. Dabei versorgt sich sein Gehirn mit Energie aus den Körperdepots. Etwa die Hälfte der Menschen wird deshalb durch Stress nicht dick. Zumindest am Anfang des Lebens. Denn im Alter von 30, 40 Jahren entwickeln viele von ihnen Bauchfett, im Volksmund Bierbauch genannt. Doch diese Bezeichnung ist eigentlich nicht richtig, denn nicht der Alkohol ist schuld am Bauch, sondern das erhöhte Stresshormon Cortisol. Das Trinken von Bier ist somit nur die Folge, um mit der Anspannung umzugehen.
Gesunder Taillenumfang
Selbst wenn der Bauch klein erscheint, sind die Auswirkungen nicht zu unterschätzen. Auch in der Schulmedizin gilt der Cortisol-Bauch der Schlanken als Risiko-Marker. Der Grund: Ein Großteil dieses inneren Fetts lagert sich unsichtbar bis weit in die Bauchhöhle hinein an Organen wie der Leber an. Dort produziert es bestimmte Hormone, die zu Krankheiten führen können. So steigt zum Beispiel das Risiko für Krebs und Alzheimer, je größer der Bauch ist. Wenn bei Frauen der Taillenumfang unter 88 und bei Männern unter 102 Zentimetern liegt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, daran zu erkranken.
Welche Vorteile hat Übergewicht?
Zuerst ist es den Medizinern auf der Intensivstation aufgefallen: Ihre schwerkranken Patienten hatten im Schnitt bessere Überlebenschancen, wenn sie starkes Übergewicht hatten. Ob bei Nierenfunktionsstörungen, Blutvergiftung, Schlaganfall, Hirnblutung oder Krebs – stets sind die Molligen im Vorteil. Auch Buchautor Peters sagt, dass die positiven Aspekte des Übergewichts bei weitem die negativen schlagen. Dazu erhob er Daten aus mehr als 50 Studien und kam zu folgendem Ergebnis: Starkgewichtige leiden seltener unter Bluthochdruck, Koronarer Herzkrankheit, Depression, Muskelschwäche und Osteoporose. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall bekommen, sinkt. Minuspunkte sieht Peters in ihrer eingeschränkten Mobilität und bei Gelenkerkrankungen.
Und was passiert bei Diäten?
Diäten sind ein zusätzlicher Stressfaktor, die den Cortisolspiegel weiter erhöhen. Deswegen ist Hungern hoch gefährlich. Durch den dauerhaften Mangel an Nahrung ist die Energieversorgung des Gehirns gefährdet. In dieser "Notsituation" fährt das Gehirn die weniger wichtigen Funktionen herunter, um Energie zu sparen. Das führt zu "Nebenwirkungen" wie Konzentrationsschwäche, Müdigkeit und Unlust – und löst zusätzlich Stress aus. Und so, wie viele beleibte Menschen am Abnehmen verzweifeln, schaffen es dünne häufig nicht, zuzunehmen, indem sie mehr essen.
Unser Gewicht ist Veranlagung
Auch die Ärzte der Adipositas-Ambulanz am Leipziger Uniklinikum sehen Diäten kritisch. Sofern die Patienten gesund sind, machen Diäten keinen Sinn, außer wenn jemand sehr unter seinen Gelenkproblemen leidet. Am besten ist es also, sein Gewicht zu akzeptieren, statt vermeintlichen Schönheitsidealen nachzueifern.
Welche Ursachen hat Stress?
Wer sich nun gar nicht mit seiner Figur abfinden möchte, der hat nur eine Möglichkeit: Der Ursache für das Übergewicht auf den Grund gehen. Und das ist so gut wie in allen Fällen Stress. Laut Schätzungen leiden 80 Prozent der Bevölkerung unter erhöhten Cortisolwerten – sie stehen unter dauerhafter Anspannung. Größtenteils hat dies psychosoziale Gründe, also Konflikte auf zwischenmenschlicher Ebene, die nicht oder nur schwer zu lösen sind. Dazu zählen problematische familiäre Verhältnisse, wie dies häufig bei Alleinerziehenden oder in einer unglücklichen Partnerschaft der Fall ist. Aber auch Druck am Arbeitsplatz gekoppelt mit Angst vor dem Jobverlust, Mobbing, Armut oder die Pflege von kranken Angehörigen setzt uns dauerhaft unter Stress. Diese Situation sofort zu entschärfen ist oft nicht möglich – aber dennoch der einzige Weg, um gesund das ein oder andere Kilo abzunehmen.
Was heißt eigentlich dick?
Wie dünn oder dick sich jeder selbst sieht, ist individuell ganz verschieden. Der eine fühlt sich erst an der Grenze zum Untergewicht richtig schlank, der andere gefällt sich mit ein paar Kilo mehr. Aber was ist eigentlich Unter- und Übergewicht? Dafür gibt es eine Formel zur Messung des Body Mass Index BMI. Sie wird von fast allen Medizinern verwendet. Für eine genauere Betrachtung sollte auf jeden Fall auch der Bauchumfang gemessen werden.
Der Body Mass Index BMI – Schnell und einfach Ihren Wert herausfinden
BMI = Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch (Körpergröße in Metern x Körpergröße in Metern). Die Einheit des BMI ist demnach kg/m². Dies bedeutet, dass eine Person mit einer Körpergröße von 160 cm und einem Gewicht von 60 kg einen BMI von 23,4 hat. (60 : 2,56 = 23,4).
Untergewicht: BMI unter 18,5
Normalgewicht: BMI zwischen 18,5 und 25
Übergewicht: BMI zwischen 25 und 30
Fettsucht: BMI über 30
Wieso jeder Schritt guttut – Bewegung ohne Druck und Stress
Trotzdem gilt, ob dick oder dünn: Bleiben Sie in Bewegung. Aber bitte ohne Druck und Stress. Denn schon leichter Sport wie Walken oder Radfahren ist ein idealer Weg, um Stress abzubauen. Wer pro Woche gut 75 Minuten zügig geht, steigert seine Lebenserwartung im Schnitt um mehr als eineinhalb Jahre. Übergewichtige sportliche Menschen leben sogar drei Jahre länger als schlanke Bewegungsmuffel. Und ein Verdauungsspaziergang nach einer üppigen Mahlzeit ist nicht nur gesund, sondern schützt gleichzeitig vor Sodbrennen und Völlegefühl.
10 Sportarten für Mollige
Bei starkem Übergewicht sollten Sie vorher unbedingt mit dem Arzt absprechen, welche Sportart am besten geeignet ist.
- Walken ist die gelenkschonende Alternative zum Joggen. Für jeden geeignet und einfach umzusetzen.
- Aqua-Jogging schont u. a. Gelenke, Bänder und die Wirbelsäule. Spaß-Garantie durch das Gruppenerlebnis.
- Inline-Skaten verbessert fließend das Körpergefühl.
- Radfahren entlastet die Beine vom Körpergewicht. Einfach und zeitsparend in den Alltag einzubauen.
- Yoga entstresst und fördert die Beweglichkeit.
- Schwimmen regt den Stoffwechsel gleich doppelt an: Zum einen durch die Bewegung selbst. Zum anderen muss der Körper die Wärme, die das kalte Wasser ihm entzogen hat, wieder ausgleichen.
- Tanzen macht Spaß und bringt neue soziale Kontakte. Bei Gelenkproblemen: einen langsamen Rhythmus wählen.
- Wandern verbrennt die Kalorien wie nebenbei. Ein Natur-Erlebnis für die ganze Familie.
- Pilates stärkt alle Muskelgruppen, verbessert die Haltung und schenkt Ihnen ein völlig neues Körpergefühl.
- Ski-Langlauf ist leicht erlernbar und gesund für Körper und Seele. Langsam anfangen, um Überanstregungen zu vermeiden.