Weltdiabetestag 2020: Woran arbeitet die Forschung?
Diabetes ist eine Volkskrankheit, die etwa sieben Prozent der deutschen Erwachsenen betrifft. Wissenschaftler arbeiten unablässig an neuen Therapien und Präventionsmaßnahmen gegen die Stoffwechselerkrankung. Wir nehmen den Weltdiabetestag 2020 zum Anlass, um auf die wichtigsten Fragen zu blicken, die die Diabetesforschung aktuell beschäftigen.
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Am 14. November ist Weltdiabetestag. Jedes Jahr steht dieser Tag im Zeichen der Aufklärung und des Austauschs über die Stoffwechselerkrankung Diabetes. Als Datum wurde der Geburtstag von Frederick G. Banting gewählt, der 1921 das Hormons Insulin entdeckte – ein Meilenstein in der Diabetesforschung. Auch heute widmen sich Mediziner weltweit der Erforschung dieser Erkrankung. Ihre Ziele sind dabei Diabetespatienten das Leben zu erleichtern sowie die Zahl der Neuerkrankungen zu verringern.
Grob lässt sich die aktuelle Diabetesforschung in drei Bereiche einteilen: Neue Diabetestherapien, Diabetesentstehung und Diabetesprävention. Doch was genau beschäftigt die Forschenden aktuell in den jeweiligen Bereichen?
Neue Behandlungsformen: Heilung durch regenerative Therapien?
Ein wichtiger Schwerpunkt der Forschung nach neuen Diabetes-Behandlungsmethoden sind derzeit die sogenannten regenerativen Therapien, mit denen laut Medizinern sogar eine Heilung der Erkrankung möglich wäre.
Das Augenmerk der Forschenden liegt dabei auf den sogenannten Betazellen. Diese Zellen befinden sich in der Bauchspeicheldrüse und ihre Aufgabe ist die Produktion von Insulin – dieses Hormon ist dafür zuständig, den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Bei Diabetikern funktioniert dieser Prozess nicht mehr richtig: Die Autoimmunerkrankung Typ-1-Diabetes führt dazu, dass das Immunsystem die Betazellen zerstört. Bei der Entstehung von Typ-2-Diabetes entwickelt sich zunächst eine sogenannte Insulinresistenz: Der Körper reagiert immer weniger auf Insulin. Im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung verlieren die Betazellen schließlich ihre Fähigkeit, Insulin zu produzieren. Genau wie Typ-1-Diabetiker müssen Typ-2-Diabetiker in diesem Fall Insulin spritzen, um den Blutzuckerspiegel „extern“ zu regulieren.
Wissenschaftler suchen nach Möglichkeiten einer sogenannten Betazellersatztherapie – also dem Einsatz neuer, funktionsfähiger Betazellen in den Körper. Bisher ist dies nur durch Transplantationen möglich – entweder einer Spenderbauchspeicheldrüse oder von Spenderbetazellen. Diese Verfahren werden jedoch nur bei Diabetikern angewendet, bei denen trotz guter medikamentöser Einstellung immer wieder Komplikationen auftreten – denn Spenderorgane sind rar. Zudem handelt es sich um Eingriffe mit Risiken und Nebenwirkungen. Beispielsweise müssen nach der Transplantation dauerhaft das Immunsystem drosselnde Medikamente eingenommen werden, um Abstoßungsreaktionen zu vermeiden.
Stammzellenbasierte Betazellersatztherapie
Inzwischen forschen Mediziner an der Gewinnung neuer, im Labor gezüchteter Betazellen aus körpereigenen sogenannten pluripotenten Stammzellen des Patienten. Dabei handelt es sich um Zellen, die das Potenzial haben, sich in jede Art von Körperzellen zu entwickeln. Die Idee der Forschenden: aus diesen Stammzellen in der Petrischale Betazellen zu züchten, die dann wieder in den Körper des Patienten eingesetzt werden.
Eine Herausforderung dabei: Da Typ-1-Diabetes eine Autoimmunerkrankung ist, sind die neuen Betazellen potenziell auch den Angriffen des Immunsystems ausgesetzt. Dafür haben sich Wissenschaftler eine Lösung ausgedacht: Die im Labor hergestellten Stammzellen werden von Schutzmembranen umhüllt, um sie vor den Angriffen des Immunsystems abzuschirmen.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, bei der Herstellung der Betazellen im Labor eine möglichst hohe Ausbeute „reiner“ Betazellen zu erlangen. In verschiedenen Studien nähern sich Mediziner diesem Ziel immer weiter an. Experten rechnen damit, dass die stammzellenbasierte Betazellersatztherapie in etwa fünf bis zehn Jahren beim Menschen zur Anwendung kommen kann.
Regeneration vorhandener Betazellen bei Typ-2-Diabetes
Da die Betazellen bei Typ-2-Diabetikern im fortgeschrittenen Stadium zwar ihre Funktionsfähigkeit verlieren, prinzipiell aber noch vorhanden sind, gehen Wissenschaftler noch einer weiteren Frage nach: Lässt sich die Leistungsfähigkeit beschädigter Betazellen wiederherstellen?
In Studien hatten Mediziner bei diesem Versuch bereits erste Erfolge zu verzeichnen: Bei diabeteskranken Mäusen bewirkten neu entwickelte Medikamente, dass die beschädigten Betazellen die Insulinproduktion wieder aufnahmen.
Forschung zur Diabetesentstehung: Was haben Gehirn und Leber damit zu tun?
Diabetesforscher interessiert außerdem die Frage, welche Organe außer der Bauchspeicheldrüse an der Entstehung der Stoffwechselkrankheit beteiligt sind. Denn je mehr Kenntnisse Mediziner über die Entstehung von Diabetes haben, desto besser lässt sich der Krankheit vorbeugen. Dabei liegt das Augenmerk der Wissenschaftler vor allem auf dem Gehirn und der Leber.
Das Gehirn beeinflusst die Gewichtsentwicklung
Gehirn und Stoffwechsel arbeiten eng zusammen – ein Gebiet, auf dem es noch viel zu forschen gibt. So haben Wissenschaftler herausgefunden, dass das Hormon Insulin bei der Regulierung von Hungergefühl, Gewichtszunahme und Fettverteilung im Gehirn ein „Mitspracherecht“ hat. Beispielsweise sendet es nach jeder Mahlzeit ein Sättigungssignal ans Gehirn.
Menschen, deren Gehirn besonders empfindlich auf Insulin reagiert, haben darum seltener Gewichtsprobleme – führen sie dennoch eine Diät durch, wird diese häufiger mit Erfolg belohnt. Menschen, deren Gehirn weniger empfindlich auf Insulin reagiert, neigen dagegen eher zu Fettleibigkeit und haben größere Schwierigkeiten, Gewicht zu verlieren.
Forscher vermuten, dass sich eine schlechte Insulinsensibilität des Gehirns bereits im Mutterleib herausbildet, beispielsweise wenn die Mutter an Schwangerschaftsdiabetes leidet. Ein Schwerpunkt der Diabetesforschung liegt nun auf der Frage, wie sich die Insulinresistenz des Gehirns rückgängig machen lässt beziehungsweise wie das Gehirn empfänglicher für die Wirkung von Insulin gemacht werden kann.
Auch andere Hormone haben einen Einfluss auf die Gewichtsregulation im Gehirn. Forscher nutzen dieses Wissen bei der Entwicklung neuer Medikamente, die eine deutliche Gewichtsabnahme herbeiführen sollen.
Diabetes und die Leber: Kann Fasten Diabetes rückgängig machen?
Mediziner vermuten, dass etwa 20 bis 30 Prozent der Bewohner von westlichen Industriestaaten an einer nichtalkoholischen Fettleber leiden. Von einer Fettleber spricht man, wenn sich in den Leberzellen vermehrt Fett eingelagert hat. Dies ist häufig die Folge eines ungesunden Lebensstils.
Das Leberfett produziert Botenstoffe, die die Insulinsensibilität verschlechtern – die Folge: Das Diabetesrisiko steigt. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sich genau dieser Prozess rückgängig machen lässt, und zwar durch Nahrungsentzug, beispielsweise beim Intervallfasten. Ein Team aus Forschenden des Helmholtz Zentrums München, des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) und des Deutschen Krebsforschungszentrums konnten zeigen, dass die Leber beim Fasten vermehrt ein Protein (GADD45β) produziert, das den Leberstoffwechsel normalisiert. In der Studie korrelierte ein niedriger Spiegel dieses Hormons mit erhöhten Leberfettwerten sowie einem erhöhten Blutzuckerspiegel. Die Forschenden arbeiten nun an der Entwicklung von Medikamenten, die die beim Fasten im Körper ablaufenden Prozesse nachahmen.
Zudem forschen Mediziner nach Wegen, eine Fettleber besser zu behandeln beziehungsweise der Entstehung einer Fettleber besser vorzubeugen. Dazu gehört auch die Ursachenforschung: Wie entsteht eine Fettleber genau? Hier ist es beispielsweise interessant zu wissen, welche Gene bei der Entstehung der Fettleber eine Rolle spielen.
Diabetesprävention: Personalisierte Vorsorgemaßnahmen
Die Vorstufe von Diabetes, bei der bereits ein erhöhter Nüchternblutzucker und eine verschlechterte Insulinsensibilität vorliegt, wird als Prädiabetes bezeichnet. In diesem Stadium ist es in der Regel noch gut möglich, die Diabeteserkrankung durch gezielte Vorsorgemaßnahmen zu verhindern: Dazu gehören vor allem Lebensstiländerungen wie mehr Bewegung, eine gesündere Ernährung sowie die Gewichtsreduktion.
Bei einigen Menschen mit Prädiabetes zeigen diese Anstrengungen allein jedoch keine Wirkung. Genau auf diesen Patienten liegt das besondere Augenmerk der Wissenschaftler in der sogenannten multizentrischen Prädiabetes Lebensstil-Interventions-Studie (PLIS), die an acht Standorten in Deutschland durchgeführt wird. Hierbei zeigt sich, dass sich selbst bei diesen Patienten die Werte verbessern, wenn sie ein intensives Trainingsprogramm durchlaufen und dabei von Fachpersonal engmaschig begleitet werden.
Mediziner vermuten, dass sich bereits Patienten mit Prädiabetes in verschiedene Subgruppen einteilen lassen – auch diese spezifische Einteilung sowie die Definition der besten Vorbeugemaßnahmen für die jeweiligen Untergruppen ist ein wichtiges Thema in der Diabetesforschung.
Wissenschaftler haben darüber hinaus einen Onlinetest zum individuellen Diabetesrisiko entwickelt. Alle, bei denen dieser Test ein erhöhtes Risiko ergibt, in den nächsten fünf Jahren an Diabetes zu erkranken, sollten aktiv werden und gemeinsam mit einem Mediziner mit ihrer individuellen Diabetesvorsorge beginnen. Denn dank intensiver Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Diabetesprävention in den vergangenen Jahrzehnten lässt sich eine Diabeteserkrankung in vielen Fällen noch abwenden.
Quellen:
Stammzellen werden zu Betazellen: neue Chancen für die Zellersatztherapie, in: www.diabetologie-online.de
Mahaddalkar, P.U., et al. (2020): Generation of pancreatic β cells from CD177+ anterior definitive endoderm, in: Nature Biotechnology
Diabetestherapie mit Stammzellen: Aktueller Stand und Perspektiven, in: www.diabetes-deutschland.de
Betazellfunktion im Tiermodell wiederhergestellt: Neue Wirkstoffkombination könnte Diabetes-Remission ermöglichen, in: www.dzd-ev.de
Sachs, S., et al. (2020): Targeted pharmacological therapy restores β-cell function for diabetes remission, in: Nature Metabolism
Diabetes-Forschung, in: www.diabinfo.de
Fuhrmeister, J. et al. (2016):Fasting-induced liver GADD45β restrains hepatic fatty acid uptake and improves metabolic health, in: EMBO Molecular Medicine