Was Sie Ihrem Arzt nie sagen sollten

Ärzte geben sich oft mit der am nächsten liegenden Erklärung zufrieden, ohne nach weiteren Ursachen zu forschen – die Folge: ein verfrühter Diagnoseabschluss
Ärzte geben sich oft mit der am nächsten liegenden Erklärung zufrieden, ohne nach weiteren Ursachen zu forschen – mögliche Folge: ein verfrühter Diagnoseabschluss Foto: shutterstock

Wenn Ärzte falsche Diagnosen stellen oder Krankheiten übersehen, kann das für die Patienten fatale Folgen haben. Oft stecken hinter diesen Fehlentscheidungen emotionale Fallen, in die Ärzte tappen. Es gibt Wege, wie Patienten sich davor schützen können.

Wieder einmal leidet Michael Peters unter Oberbauchschmerzen und beschließt, zum Arzt zu gehen. Das letzte Mal, als er diese Beschwerden hatte, wurde bei ihm eine Magenschleimhautentzündung (Gastritis) diagnostiziert. Das Gespräch mit dem Arzt beginnt er deshalb mit den Worten: "Ich habe wohl wieder meine Gastritis." Es folgt eine Untersuchung, Labortests, Ultraschall. Dann wird ihm unter Annahme der mutmaßlichen Gastritis 20 Milligramm Pantoprazol (hemmt die Magensäureproduktion bei Entzündungen im Magen-Darm-Trakt) verschrieben. Beim Folgetermin sind die Bauchschmerzen verschwunden, ebenso sind die Laborergebnisse unauffällig, auch der Ultraschallbefund. Sechs Monate nach diesem Ereignis wird bei dem Patienten metastasierender Magenkrebs diagnostiziert. Dieses hätte man mit einem Hämoccult-Test (zur Früherkennung von Darmkrebs) schon ein halbes Jahr früher diagnostizieren können. Möglicherweise hatten sich damals noch keine Metastasen gebildet. Ein klarer Fehler des Arztes – den der Patient eventuell hätte verhindern können.

Die Denkfallen

Drei Wege zur Fehldiagnose

Fünfzehn Prozent aller Diagnosen – in Europa wie in Amerika – sind Fehldiagnosen, ergab eine Münchner Studie. Im Klartext: Wenn ich siebenmal zum Arzt gehe, werde ich rechnerisch einmal falsch behandelt. "Wir Ärzte nehmen Abkürzungen beim Denken, zumal wenn wir unter Zeitdruck stehen," sagt der Harvardprofessor Jerome Groopman. Und Hirnforscher fanden in einer Untersuchung heraus: Von rund 180 schwerwiegenden Diagnosefehlern (davon ein Drittel mit tödlichem Ausgang) spielten in 80 Prozent der Fälle drei Denkfehler der behandelnden Ärzte eine entscheidende Rolle:

1. Vorschnelle Diagnose

Ärzte geben sich oft mit der am nächsten liegenden Erklärung zufrieden, ohne nach weiteren Ursachen zu forschen oder den ersten Eindruck vor dem Hintergrund weiterer Informationen zu überprüfen. Hirnforscher sprechen von Ankern – man hakt sich an einem herausstechenden Merkmal eines Sachverhalts fest und konzentriert sich nur noch darauf. Die Folge: ein verfrühter Diagnoseabschluss.

2. Konzentration auf das Gewohnte

Ärzte orientieren sich im allgemeinen an klassischen Krankheitssymptomen. Hirnstrommessungen ergaben, dass das bloße Wiedererkennen ihre Entscheidungen maßgeblich beeinflusst.

3. Blindheit gegenüber der Ausnahme

Nach dem Motto "was ich nicht kenne, kann ich nicht sehen", versäumen es viele Ärzte, nach seltenen Krankheiten zu forschen, wenn eine verbreitete Diagnose auch auf die Symptome passt. Groopman: "Ließen sich diese Denkfehler vermeiden, würde die Sterberate weitaus niedriger ausfallen."

Die Patientenoffensive

Warum Ärzte Hilfe brauchen

Wie aber lässt es sich verhindern, dass der Arzt Fehldiagnosen stellt? "Patienten sollten mit mir auf eine Art und Weise in Verbindung treten, die mich davon abhält, in eine Denkfalle zu tappen," sagt Jerome Groopman und nennt vier Wege zum Ziel. Zunächst:

Seien Sie sympathisch

Ärzte müssen sich in den Patienten einfühlen, und Empathie hängt durchaus auch von Sympathie ab. Eine freundliche Mimik, Gestik und Stimme lösen bei unserem Gegenüber angenehme Gefühle aus: man bleibt entspannt, fühlt sich bestätigt und reagiert ebenfalls mit freundlichem Verhalten. Studien, in denen der Zusammenhang zwischen Sympathie beziehungsweise Antipathie und Kommunikationsverhalten untersucht wurde, zeigen: Ärzte behandeln Patienten, die ihnen unsympathisch sind, schlechter, lassen sie nicht ausreden und fixieren sich früh auf eine bequeme Diagnose.

Bleiben Sie ergebnisoffen

Auf keinen Fall sollte der Patient die Diagnose vorwegnehmen, weil ihn seine Beschwerden an vergangene Krankheiten erinnern. Denn in dem Moment fixiert sich der Arzt nur auf diese Möglichkeit (Anker) und zieht Alternativen nicht in Betracht. Der Körper aber denkt sich immer etwas Neues aus. Es ist wie mit der Münze: Auch wenn neun Würfe "Kopf" ergeben haben, liegt die Wahrscheinlichkeit beim zehnten Wurf wieder nur bei 50 Prozent. Gleiches gilt für die Medizin: Wenn es sich bei dem stechenden Kopfschmerz neunmal um Migräne gehandelt hat, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es auch bei der zehnten Schmerzattacke eine Migräne ist, nur bei 50 Prozent.

Schildern Sie Ihren Fall dramatisch

Forscher schickten Migräne-Patientinnen in 52 Hausarztpraxen. Diese Frauen berichteten den Ärzten, dass sie seit Tagen an starken Kopfschmerzen litten. Die eine Hälfte blieb bei diesem Bericht sachlich, die andere gab sich bei gleicher Krankheitsgeschichte ängstlich und streute dazu Sätze ein wie: "Ich habe fürchterliche Angst". Weil Gefühle ansteckend sind, wurde mit den Angst-Patientinnen zehn Minuten länger geredet, und sie wurden achtmal häufiger an einen Facharzt überwiesen, als die nüchtern auftretenden, bei denen sich die Ärzte auf das Gewohnte konzentrierten und die üblichen Medikamente verordneten.

Kümmern Sie sich darum, dass Sie ernst genommen werden

In Boston ist eine Frau innerhalb von fünfzehn Jahren zu 30 Ärzten gelaufen. Sie magerte zusehends ab. Die Ärzte bescheinigten ihr eine Essstörung. Sie unterstellten ihr, sie erbreche sich heimlich. Sie widersprach. Erst die letzte Ärztin nahm sie beim Wort, suchte und fand die Ursache: Die Frau litt unter Zöliakie. Sie war allergisch gegen Gluten, das in vielen Lebensmitteln vorkommt. "Dieses Schicksal zeigt doch, dass der Patient dem Doktor klarmachen muss: Ich sage die Wahrheit und will von Ihnen ernst genommen werden", sagt Jerome Groopman. Sein Credo: "Wir müssen nur dem Patienten zuhören, dann verrät er uns die Diagnose. Denn seine Krankengeschichte birgt die entscheidenden Informationen – diese muss ich heraushören, um verstehen zu können, was ihm fehlt." Das Problem: Studien zeigen, dass Ärzte Patienten, die ihre Symptome beschreiben, im Durchschnitt nach 18 Sekunden unterbrechen. Bereits in dieser kurzen Zeit haben sich Ärzte eine Meinung gebildet, was dem Patienten fehlt und welche Therapie angezeigt ist. Ein "lassen Sie mich bitte ausreden" oder "ich möchte, dass Sie mir jetzt zuhören" reicht daher oft, den Arzt vor einem folgenschweren Denkfehler zu bewahren.

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