Warum träumt man? 4 Theorien
Nervenaufreibend, hochemotional – und völliger Quatsch: So erinnern wir in der Regel unsere Träume. Doch warum das Ganze, oder steckt dahinter womöglich gar kein „höherer Sinn“? Die Diskussion um die Frage „warum träumt man?“ verläuft teils ähnlich aufwühlend wie unsere Träume selbst; denn in der Traumforschung gibt es unterschiedliche Lager.
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Naturgesetze können uns gar nichts im Traum: Wir fliegen, wechseln von einem Moment auf den anderen den Erdteil, sprechen mit Tieren und Verstorbenen – und wundern uns nicht im Geringsten darüber. Faszinierend, was das Gehirn da jede Nacht fabriziert – doch warum das alles? Warum träumt man? Und wie kommt es, dass wir Nacht für Nacht die unglaublichsten Geschichten erleben und sie beim Aufwachen schon wieder vergessen haben? Auf diese Fragen gibt es bis heute keine allgemein anerkannte Antwort. Aber es gibt verschiedene Theorien.

Wieso träumt man? Freuds Antwort
Für den österreichischen Nervenarzt Sigmund Freud, den Begründer der Psychoanalyse, waren Träume Wunscherfüllungen. Im Traum, so seine Theorie, treten unerfüllte, verdrängte Triebe, sehr häufig sexueller Natur, an die Oberfläche. Allerdings wäre es aufgrund von gesellschaftlichen Tabus selbst im Traum zu unerhört, diese Triebe tatsächlich frei auszuleben. Aus diesem Grund werden sie vom Unterbewusstsein „chiffriert“: Ein Gegenstand im Traum steht symbolisch für etwas anderes. Die Träume wieder zu dechiffrieren oblag aus seiner Sicht dem Psychoanalytiker.
Das „Material“ für den Traum besteht laut Freud aus Erinnerungen an den Vortag (der sogenannte „Tagesrest“). So träumte eine Frau in einem Beispiel Freuds von einem Kerzenständer, in den sie Kerzen steckte und dabei versehentlich eine Kerze abbrach, nachdem sie am Vortag tatsächlich mit Kerzen zu tun hatte. Laut Freud symbolisiert dieser Traum ihren Wunsch nach Masturbation aufgrund der Impotenz ihres Mannes (symbolisiert durch die abgebrochene Kerze).
Dieser Art der Traumdeutung würden heute nur noch wenige Traumforscher:innen zustimmen – sie gilt als überholt. Dennoch hat Freud den Umgang mit unseren Träumen einen großen Schritt vorangebracht: Denn bis dahin galten Träume als mystische Offenbarungen einer höheren Kraft; Freud sah ihren Ursprung erstmals in der Psyche der oder des Träumenden selbst.
Warum träumen Menschen? 4 aktuelle Theorien
Inzwischen gibt es einige andere Erklärungsansätze, warum wir träumen. Nicht alle widersprechen sich – die „Wahrheit“ könnte also durchaus eine Mischform aus verschiedenen Theorien sein.
1. In Träumen verarbeiten wir unseren Alltag
Viele Traumforscher:innen gehen davon aus, dass wir in unseren Träumen im Alltag Erlebtes verarbeiten. Ohne Ablenkungen von äußeren Eindrücken kann sich das Gehirn im Schlaf vor allem mit der Verarbeitung von Emotionen beschäftigen. Und das scheint es sehr eifrig zu tun. Denn insbesondere in den sogenannten REM-Schlafphasen (REM für Rapid Eye Movement, also schnelle Augenbewegungen) ist das limbische System, die emotionale Schaltzentrale des Gehirns, hochaktiv.
Auch inhaltlich sind unsere (erinnerten) Träume häufig sehr emotional. Weltweit kommen einige Traummotive immer wieder vor – dazu gehören beispielsweise Prüfungen, Verfolgungen, Fallen, Fliegen oder Sterben im Traum; für all diese Traummotive versucht die Traumdeutung Erklärungen zu finden. Möglicherweise beschäftigt sich das Gehirn in solchen Träumen mit Emotionen, die im Leben gerade vorherrschend sind; beispielsweise Versagensängste, die Angst vor Kontrollverlust oder die Beschäftigung mit dem Thema Tod.
2. Im Traum wird das Gedächtnis „sortiert“
Experimente mit Proband:innen zeigen, dass das Gehirn im Schlaf eine Priorisierung durchführt: Was soll ins Langzeitgedächtnis übertragen werden, was kann weg? Die Psychologinnen Ines Wilhelm und Susanne Diekelmann etwa ließen im Jahr 2010 Student:innen für ein Forschungsprojekt Wortpaare auswendig lernen. Am nächsten Tag wurden sie abgefragt. Eine Gruppe durfte in der Nacht dazwischen schlafen, die andere nicht. Wenig überraschend schnitten die ausgeschlafenen Proband:innen bei dem Test am nächsten Tag besser ab.
Erstaunlicher verlief ein weiteres Experiment der beiden Forscherinnen: Wieder sollten sich zwei Gruppen von Studierenden Wortpaare einprägen, wieder durfte eine Gruppe schlafen und die andere nicht. Der Unterschied: Die Teilnehmer:innen rechneten nicht damit, am Folgetag abgefragt zu werden, sondern dachten, es stünde ein ganz anderer Test auf dem Programm.
Als sie nun am nächsten Tag nach den Wortpaaren gefragt wurden, konnten sich alle schlecht erinnern – auch die Ausgeschlafenen. Die Erklärung der Studienleiterinnen: In diesem Fall sortierte das Gehirn das Gelernte in der Nacht aus, anstatt es ins Langzeitgedächtnis zu übertragen.
3. Im Traum trainiert das Gehirn für den Ernstfall
Der Tod naher Angehöriger, Verfolgung und Bedrohung des eigenen Lebens: Die meisten Menschen fürchten sich vor diesen Dingen. Meist schieben wir die Vorstellung aber weit von uns weg. Im Traum können wir uns vor dieser Konfrontation nicht drücken und müssen uns den Ängsten stellen. Einige Traumforscher:innen gehen darum davon aus, dass das Gehirn im Traum für den „Ernstfall“ trainiert, um – sollten solche Situationen im echten Leben auftreten – besser damit umgehen zu können.
Tatsächlich weisen Untersuchungen darauf hin, dass das Gehirn von solchen „Trainingseinheiten“ profitieren könnte. So zeigen Hirnscans von Proband:innen mit häufigen Angstträumen, dass das Gehirn dadurch im Wachzustand weniger stark auf Bilder potenziell angsteinflößender Szenarien reagiert.
4. Träume sind nur neurologischer Abfall
Eine vierte Theorie geht davon aus, dass im Schlaf zwar möglicherweise all diese Prozesse stattfinden – die Träume dafür aber nicht notwendig sind und nur „Abfall“ der dabei ablaufenden neurologischen Prozesse. Sie sind demnach komplett bedeutungslose Erinnerungsschnipsel, die uns nach dem Lernprozess in der Nacht bleiben.
Diese Theorie brachte der US-amerikanische Psychiater Allan Hobson in den 1960er Jahren in die Traumforschung ein – und sie dominierte lange Zeit die Diskussion um den Sinn unserer Träume. Inzwischen sind Wissenschaftler:innen aber weitestgehend wieder von ihr abgerückt – der Glaube, dass Träume durchaus eine Funktion erfüllen, ist inzwischen wieder vorherrschend. Auch der inzwischen verstorbene Allan Hobson selbst kehrte seiner Theorie später den Rücken zu und vertrat die Ansicht, dass das Gehirn im Traum in einer Art Simulation verschiedene Fertigkeiten für den Wachzustand trainiert.
Warum träumen wir so viel und erinnern so wenig davon?
Lange Zeit ging man davon aus, dass wir nur in den REM-Phasen träumen. Denn in diesen Schlafphasen erinnert die Aktivität des Gehirns an den Wachzustand und auch der Körper ist vergleichsweise aktiv – die Atmung wird schneller und unregelmäßiger, die Muskeln zucken und die Augen bewegen sich schnell hin und her. Tatsächlich finden in dieser Schlafphase typischerweise intensive und emotionale Träume statt und wir können uns beim Aufwachen besonders gut an sie erinnern.
Wissenschaftler:innen gehen aber inzwischen davon aus, dass auch in anderen Schlafphasen geträumt wird. Wie viel, ist schwierig zu erforschen. Doch viele glauben, dass wir die gesamte Nacht hindurch träumen, aber nur wenige kurze Traumschnipsel hinterher erinnern.
Warum wir den größten Teil unserer Träume sofort wieder vergessen, ist ein Rätsel, das die Forschung bislang nicht lösen konnte und das viele zahlreiche Traumforscher:innen bis heute umtreibt.
Warum träumt man so skurrile Geschichten?
Die meisten Träume, die wir erinnern, mögen amüsant oder erschreckend sein – logischen Sinn ergeben sie aber selten. Dabei trifft das gar nicht auf all unsere Träume zu: Am Anfang der Nacht beschäftigt sich das Gehirn Untersuchungen zufolge häufig noch mit eher sachlichen Informationen, die wir über den Tag aufgenommen haben. Diese Träume bestehen nicht aus kompletten Geschichten, sondern eher aus einzelnen Fakten, Informationsschnipseln, Vokabeln oder Zahlenreihen, die wir uns am Tag eingeprägt haben. An diese Träume, die häufig im tieferen NREM-Schlaf (Non-REM-Schlaf) stattfinden, können wir uns meist nicht erinnern.
Abenteuerlicher wird es in den Träumen, die gegen Ende der Nacht auftreten. Denn dann befinden wir uns hauptsächlich in REM-Phasen und die emotionalen Areale des Gehirns sind hochaktiv. Das Gehirn „spinnt“ Geschichten um die Gefühle, die wir in diesen Träumen bearbeiten. Da das logische Denken im Traum aber längst nicht so aktiv ist wie die Emotionen, können physikalische Gesetze dabei schon mal außer Kraft gesetzt werden.
Die Frage „warum träumt man“ ist also längst noch nicht abschließend geklärt – womöglich werden sich noch viele Generationen von Traumforscher:innen mit ihr Beschäftigen.
Quellen:
Wilhelm, I., et al. (2011): Sleep selectively enhances memory expected to be of future relevance, in: Journal of Neuroscience
Sterpenich, V., et al. (2020): Fear in dreams and in wakefulness: Evidence for day/night affective homeostasis, in: Human Brain Mapping
Malinowski, J. E., & Horton, C. L. (2014): The effect of time of night on wake–dream continuity, in: Dreaming