Von Alkohol bis Crystal Meth: Wie Sucht-Drogen den Körper zerstören

Crystal Meth: Kein anderer Wirkstoff zerstört den Körper in so kurzer Zeit. In der US-Serie Breaking Bad spielt die Droge eine Hauptrolle.  Breaking Bad wurde durchgehend als deutsche TV-Premiere auf dem Action & Entertainment-Sender AXN  ausgestrahlt –
Crystal Meth: Kein anderer Wirkstoff zerstört den Körper in so kurzer Zeit. In der US-Serie "Breaking Bad" spielt die Droge eine Hauptrolle. Breaking Bad wurde durchgehend als deutsche TV-Premiere auf dem Action & Entertainment-Sender AXN ausgestrahlt –

Wie Suchtstoffe das Gehirn und unseren Körper verändern, wo sie sich verstecken und welche zur tickenden Zeitbombe werden: Von Nikotin über Alkohol, Marihuana und Ecstasy bis zu Kokain und Crystal Meth.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als schliefe Philipp Benning. Nichts deutet darauf hin, dass der 24-Jährige vier Stunden zuvor an einer Überdosis Sucht-Drogen gestorben ist. Der Pathologe Steven Karch sieht das anders: „Die ausgetrocknete Haut, die Muskelspannung, die Tränensäcke unter den Augenalles spricht für Kokain oder Ecstasy.“ Als er dann die Bauchdecke aufschneidet, ist für den Mediziner klar: Der Mann war ein Ecstasy-Junkie. Sein Körper hat ihn verraten. Durch den jahrelangen Pillenkonsum sind Bennings Leber und Herz stark zerfressen. Eine sogenannte Nekrose, eine Zerstörung von Zellen der lebenswichtigen Organe. Verursacht durch den Ecstasy-Wirkstoff MDMA. Die letzte Dosis, 150 Milligramm, war zu viel. Die Leber kollabierte, das Herz hörte auf zu schlagen.

Steven Karch hat Hunderte Drogentote obduziert. „Nikotin, Alkohol, Ecstasy, Kokain oder Heroin: Jeder Wirkstoff hinterlässt eine andere Schneise der Verwüstung – so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck“, erklärt er. Wie ein Kartograf kann ein Pathologe so bei der Untersuchung einer Drogenleiche einen Körperatlas des Leidens erstellen. Durch die Obduktionsberichte von Karch und wissenschaftliche Studien von Psychologen und Ärzten lässt sich jetzt zum ersten Mal der Weg eines Stoffes durch den Körper genau verfolgen – und es wird deutlich, wie weitreichend die Wirkungen sein können.

Der Wüsten-Effekt: Kann Kokain mich verdursten lassen?

„Zu den gefährlichsten Drogen der Welt zählt Kokain“, sagt die Drogenforscherin Patricia Molina vom Louisiana State University Medical Center. Kaum ein anderer Wirkstoff hat eine so niedrige Hemmschwelle, ein so hohes Suchtpotenzial und greift gleichzeitig so viele verschiedene Körperregionen an. Ohren, Nase, Magen, Nerven, Herz und Gehirn – der Atlas der Zerstörungen weist für den Kokainkonsum kaum unberührte Gebiete auf.

Kevin schnupft eine sogenannte Line – eine Linie Kokainpulver, die etwa 0,1 Gramm wiegt. Über die Nasenscheidewand wird der Stoff aufgenommen. Innerhalb von zwei bis drei Minuten wirkt er im Gehirn. Denn Kokain gehört zu den wenigen Substanzen, die in der Lage sind, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden. Damit ist die körpereigene Firewall, die das Gehirn vor im Blut zirkulierenden Krankheitserregern und Toxinen schützen soll, durchbrochen. Das, was der 18-Jährige jetzt als berauschendes Glücksgefühl empfindet, ist ein komplexer hirnphysiologischer Vorgang. Die Wirkung entfaltet sich an den Kontaktstellen der Nervenzellen, den Synapsen. Die vom Kokain besetzten Hirnzellen können jetzt kein Dopamin mehr aufnehmen. Der körpereigene Botenstoff, der insbesondere für den Bewegungsapparat, für die Durchblutung der Bauchorgane sowie für die Steuerung der Nieren verantwortlich ist, sammelt sich daraufhin in den synaptischen Spalten. Wie ein gestauter Fluss, der den Uferbereich überschwemmt.

Die Auswirkungen dieser Blockade sind dramatisch: Der Bewegungsdrang wird gesteigert, es kommt zu extremen Euphorie-Ausbrüchen, das Schmerzempfinden wird minimiert. Gleichzeitig wird jedoch auch das natürliche Hunger- und Durstgefühl lahmgelegt. Zudem erhöht Kokain die Atemfrequenz, den Herzschlag und die Körpertemperatur. Ein Teufelskreis, denn der körpereigene Schutzmechanismus versucht, durch extremes Schwitzen dem Temperaturanstieg entgegenzuwirken. Wie bei einem tagelangen Wüstenmarsch ohne Wasser trocknet der Körper aus. „Ich habe schon Fälle erlebt, bei denen mit Kokain zugedröhnte Tänzer sich mit 42 Grad Fieber auf der Tanzfläche verausgaben, bevor sie kollabieren“, erklärt Molina. Und das sind nur die kurzfristigen Auswirkungen.

Proteine als Doppelagenten: Manipuliert Kokain mein Immunsystem?

Langfristig gilt für Kokain: „Je häufiger es konsumiert wird, desto mehr Körperregionen werden von der chemischen Substanz zerstört“, sagt Molina. So kann zum Beispiel nach nur wenigen Monaten regelmäßigen Schnupfens die Nasenschleimhaut zersetzt werden. Chronisches Nasenbluten und der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn sind die Folge. Zudem fand die Wissenschaftlerin mit ihrem Team in einer Studie jetzt heraus, dass dauerhafter Kokainkonsum wichtige Eiweiße im menschlichen Blut verändert. So wandelt es die Proteine Albumin und Globulin, die als eine Art Abwehrschild die Leber vor Giftstoffen schützen, in körperfremde Substanzen um, die die Leber angreifen und eine Autoimmunreaktion auslösen. Das durch Kokain veränderte Blut wird vom Immunsystem wie ein Virus attackiert. Da dieser Kampf nicht zu gewinnen ist, kommt es zu sehr schmerzhaften chronischen Entzündungen der Blutgefäße, Nekrosen, die kaum zu behandeln sind.

Tipp: Auf unserem YouTube-Kanal "Gefühlssache" gibt es ein informatives Video zum Thema Sucht. 

Frisst Heroin das Herz von innen auf?

Die Haut von John Frusciante spricht eine klare Sprache. Obwohl der ehemalige Gitarrist der US-Rockgruppe Red Hot Chili Peppers seit zwölf Jahren clean ist, verrät der Körper seine dunkle Vergangenheit. Dutzende Abszesse, Hunderte Einstiche, ausgefallene Zähne – Heroin hat den 40-Jährigen für sein Leben gezeichnet. Ein Stoff, den der Körper niemals vergisst. Und die Narben zeigen nur einen Bruchteil dessen, was Frusciante hinter sich hat.

„Der wahre Krieg findet bei Heroinabhängigen im Inneren des Körpers statt“, sagt der italienische Suchtmediziner Michele di Paolo. Verantwortlich dafür ist der Wirkstoff des Heroins, Diacetylmorphin, der meist mit Traubenzucker oder Aspirin gestreckt wird.

Nur Sekunden nach der Injektion von gerade einmal zehn Milligramm in die Vene flutet der Wirkstoff wie ein Tsunami das Gehirn. Dort angekommen, hemmt er die Nervenzellen, die für die Motorik zuständig sind, und sorgt gleichzeitig dafür, dass das Glückshormon Dopamin in großen Mengen ausgeschüttet wird. Was viele nicht wissen: Das Heroin kapert nicht nur das Gehirn, sondern auch den gesamten Blutkreislauf. Folge: Bereits nach wenigen Dosen Heroin schädigen die Giftstoffe auch die lebenswichtigen Organe. Die Zellwände von Leber, Nieren und Lungen werden zerstört. Zudem kommt es durch den Abbau der Giftstoffe zu Magen- und Darmstörungen bis hin zum Darmverschluss.

Besonders fatal: Nach nur wenigen Monaten Heroinabhängigkeit zerfrisst die Droge auch die Herzzellen, und es bilden sich Entzündungen der Herzinnenhaut und der Herzklappen – vorausgesetzt, man ist nicht vorher schon an einer Überdosis gestorben. „Keine andere Droge hinterlässt im Inneren des Körpers in so kurzer Zeit ein so großes Schlachtfeld“, sagt der Pathologe Steven Karch.

Lässt Nikotin meine Gene mutieren?

Ganz anders verhält es sich beim Nikotin. Ein Giftstoff, den Millionen Menschen jeden Tag mit dem Rauch ihrer Zigaretten inhalieren. Nikotin tötet vor allem durch Lungenkrebs. Längst ist belegt, dass das Pflanzengift die Krankheit auslöst. Der Genforscher Peter Campbell vom Wellcome Trust Sanger Institute im britischen Hinxton fand jetzt jedoch heraus, dass Nikotin sogar unsere Gene verändert: „Die Hauptwirkung von Nikotin ist geradezu paradox. Es erhöht die Lebensfähigkeit von Zellen.“ Denn eine zur Krebszelle mutierte Zelle stirbt nicht ab, sondern wächst sich zum Tumor aus. Nikotin löst aber auch selbst die Mutationen aus.

Und Peter Campbell hat mit Kollegen sämtliche Gene entschlüsselt, die für Lungenkrebs verantwortlich sind. Das Ergebnis: Ein Lungentumor hat mehr als 23 000 Mutationen hinter sich. Nur weil das Nikotin die Zellen beinahe unsterblich macht, können sich so viele Mutationen summieren. Die britischen Wissenschaftler gehen davon aus, dass jede 15. Zigarette ein Gen mutieren lässt. Also etwa eine Mutation pro Schachtel. Im Laufe eines Raucherlebens sammeln sich so genügend Gen-Veränderungen für eine mögliche Krebserkrankung an. Jahrzehntelanges Rauchen, so die Studie, ist ein fast 100-prozentiges Ticket für eine Krebserkrankung. Und zwar nicht nur für Lungenkarzinome – Zigarettenrauch wirkt auch auf Haut- oder Blasenzellen hochgradig krebserregend.

Wie viel Alkohol schaltet mein Alarmsystem im Körper ab?

„Wir brauchen noch eine Kochsalzlösung!“, ruft der Intensivmediziner seiner Assistentin zu. „Sonst stirbt er uns hier auf dem OP-Tisch.“ „Er“ heißt Jan, ist vor wenigen Stunden 16 Jahre alt geworden und liegt nun mit mehr als 3,6 Promille im Koma. 3,6 Milligramm Ethanol im Blut, das ist nicht nur für Jugendliche in der Regel eine tödliche Überdosis. Sein Körper hat den Kampf gegen die Alkoholvergiftung bereits aufgegeben. Jetzt kämpfen Ärzte um sein Leben – und dafür brauchen sie viel Kochsalzlösung.

Eine Kochsalzinfusion versorgt einen Menschen mit einer Flüssigkeit, die etwa den gleichen Salzgehalt hat wie seine Körperflüssigkeiten und die den Blutalkohol verdünnt. Über eine automatische Spritzenpumpe erhält Jan ein blutdruckstabilisierendes Medikament, zum Pushen des Kreislaufs auch noch künstliches Adrenalin. Nach einer Stunde hat sich Jans Zustand schließlich stabilisiert, und die Ärzte schieben ihn auf die Intensivstation. Aber wie kann es sein, dass innerhalb kürzester Zeit sämtliche Alarmsysteme im Körper ausgeschaltet werden?

„Wenn jemand in kurzer Zeit eine Flasche – oder je nach Körpergewicht und Gewöhnung auch mehr – hochprozentigen Alkohols trinkt, fällt er ohne Vorwarnung ins Koma. Im Grunde überlistet er seinen Körper“, erklärt der Rettungsmediziner Tim Neumann. „Daher sprechen wir von Koma-Saufen. Denn beim Schnelltrinken von hartem Alkohol greifen die Abwehrmechanismen des Körpers nicht mehr: Müdigkeit, Ekel und Erbrechen als Schutzreflexe gegen eine Überdosis treten erst zeitverzögert ein.“

Nur so lässt sich erklären, wie es ein Jugendlicher überhaupt schaffen kann, so wie Jan mehr als 40 Schnäpse, also 3,6 Promille Alkohol, zu trinken. Bei den meisten Menschen wird jedoch weitaus früher das Tor zum Alkohol-Koma aufgestoßen. So schätzen Experten, dass der Mensch ab 3,0 Promille im Blut das Bewusstsein verliert. Eine Überdosis, die man bereits ab acht Flaschen Bier erreichen kann – oder anders ausgedrückt: für fünf Euro.

Richtet ein einziger Joint Tausende Gehirnzellen hin?

Wie Alkohol gehört auch Cannabis zu den sogenannten weichen Drogen. Es beinhaltet Wirkstoffe, die weder besonders gesundheitsgefährdend sind noch ein hohes Abhängigkeitspotenzial haben – so zumindest die Ansicht, die bis heute von vielen Wissenschaftlern vertreten wird. Australische Forscher der Universität von Melbourne konnten in einer Langzeitstudie jetzt jedoch erstmals das Gegenteil beweisen. Sie untersuchten 15 Männer, die seit 20 Jahren regelmäßig Cannabis konsumierten, und verglichen verschiedene Regionen in ihren Gehirnen mit den Gehirnarealen von Menschen, die keine Drogen nahmen. Ergebnis: Der Mandelkern im Gehirn, der für die Emotionsverarbeitung zuständig ist, war bei der „Cannabis-Gruppe“ durchschnittlich sieben Prozent, der für das Gedächtnis wichtige Hippocampus im Gehirn sogar um zwölf Prozent kleiner. Ein Verlust von mehreren Milliarden Gehirnzellen. Den Grund dafür vermuten die Wissenschaftler im Hauptbestandteil von Cannabis, dem Wirkstoff Tetrahydrocannabinol, kurz THC.

„THC dockt vor allem an den sogenannten B1-Rezeptoren an, die größtenteils im Hippocampus und im Mandelkern sitzen. Dadurch wird dort die Aktivität der Synapsen reduziert, und es kommt zum Gedächtnisverlust“, erklärt der Neuropsychologe Murat Yucel, der die Studie leitete.

Zudem hat sich die Konzentration des Wirkstoffes in den vergangenen 30 Jahren radikal verändert: So enthält laut den Drogenexperten des Bundeskriminalamts (BKA) heute ein Gramm Marihuana oder Haschisch die dreifache Menge des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol. Doch nicht nur das Zerstörungspotenzial, sondern auch das Abhängigkeitspotenzial von Cannabis wird unterschätzt. So fanden Mediziner heraus, dass ähnlich wie bei Nikotin das Belohnungszentrum im Gehirn manipuliert wird. Langfristig kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung des beglückenden Botenstoffs Dopamin, sodass sich ein „Suchtgedächtnis“ wie bei anderen Drogen herausbildet.

Crystal Meth: Verrät mein Fettgewebe, was ich vor 20 Jahren genommen habe?

Hautentzündungen, Haarausfall, Zahnausfall, Magendurchbruch, extremer Gewichtsverlust, Zersetzung der Schleimhäute – kein anderer Wirkstoff greift in so kurzer Zeit so viele verschiedene Regionen des Körpers an. Crystal Meth ist eine Art Atomkrieg auf dem Planeten Körper – es vernichtet schnell und radikal. Und das nach nur wenigen Monaten.

Aber wie schafft es die Droge, ganze Kontinente in unserem Körper zu zerstören? „Crystal Meth ist hochreines, kristallisiertes Methamphetamin, das wie Eis oder Glassplitter aussieht. Es kann sowohl geschnupft oder geraucht als auch injiziert werden“, erklärt der Suchtmediziner Bob Gilham. Die Droge bewirkt die Freisetzung körpereigener Botenstoffe wie Dopamin und Noradrenalin. Grund dafür ist die extreme Fettlöslichkeit von Crystal Meth. „Je fettlöslicher ein Wirkstoff ist, desto schneller kann er die Blut-Hirn-Schranke überwinden“, erklärt Gilham. Folge: Die Wirkung dort ist zehnmal stärker als bei Kokain, 30-mal stärker als bei Ecstasy und hält dementsprechend länger an. Nach nur wenigen Minuten fühlen sich die Konsumenten topfit und absolut unverletzlich und können dann bis zu 72 Stunden lang wach bleiben.

Bei einer Überdosis, die ab 50 Milligramm einsetzen kann, droht eine Hirnblutung oder Herzversagen. Die hohe Fettlöslichkeit von Crystal Meth hat jedoch noch einen weiteren Effekt: Während 90 Prozent des Stoffs nach drei bis vier Tagen mit dem Urin ausgeschieden werden, bleiben die restlichen zehn Prozent jahrelang im Fettgewebe gespeichert und können selbst nach 20 Jahren noch Zellgewebe zerstören.

Ein weiterer Unterschied zum Kokain: Crystal Meth zerstört nicht nur die Nasenschleimhäute, sondern beginnt nach nur vier Wochen auch die Zähne, die Haare und die Organe anzugreifen. Grund: Da der Körper mehrere Tage braucht, um das neurotoxische Gift abzubauen, zersetzt Crystal Meth die Zellen über diesen Zeitraum im gesamten Körper. „Der Mensch altert in nur wenigen Monaten um mehrere Jahre“, erklärt Steven Karch: „Crystal Meth formt daher einen Körperatlas des Leidens, der Hunderte Legenden braucht, um alle Krankheiten zu erfassen.“

Quelle: Welt der Wunder, 2/2010