Verbitterungsstörung: Symptome, Ursachen und Tipps

Eine Verbitterungsstörung ist vor allem für Betroffene, aber auch für Familienmitglieder und Freund:innen sehr belastend. Schlechte Stimmung, Zorn und Hilflosigkeit sind nur einige Merkmale, mit denen umgegangen werden muss. Welche Ursachen Verbitterungsstörungen zugrunde liegen können, in welchen Symptomen sie sich äußern und was hilft, um die Verbitterung zu überwinden.

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Im Leben kommt es zu so manchen einschneidenden, unschönen Erlebnissen. Todesfälle, Scheidungen, schwere Krankheiten und Arbeitslosigkeit sind nur einige Beispiele der Begebenheiten, die Menschen langfristig beschäftigen und neben Trauer und Verzweiflung auch zu Verbitterung führen können. Doch ab wann handelt es sich tatsächlich um eine Verbitterungsstörung, was können Angehörige tun und wie schaffen es Betroffene letztendlich, ihre Verbitterung zu überwinden?

Frau mit heruntergezogenen Mundwinkeln
Verbitterte Menschen leiden oft unter schlechter Laune und isolieren sich Foto: iStock/Justlight

Definition der Verbitterungsstörung nach ICD-10

In der internationalen Klassifikation ICD-10 wird die Verbitterungsstörung unter F43.8, „sonstige Reaktionen auf schwere Belastungen“, eingefasst. Zugrunde liegt immer ein einschneidendes Lebensereignis, das die Wertvorstellungen und Ideale des oder der Betroffenen verändert. Es wird als Kränkung, Herabwürdigung oder Ungerechtigkeit wahrgenommen – dabei entsteht das Gefühl einer unfairen Behandlung und der hilflosen Auslieferung an das Schicksal. In der Folge auf das Erlebnis verändert sich die psychische Befindlichkeit anhaltend negativ. Dabei gibt es verschiedene Arten der Erkrankung sowie Unterschiede in der Anfälligkeit von Menschen, die eine Verbitterungsstörung erleiden:

1. Klassische Verbitterungsstörung

Normalerweise endet der Zustand der Verbitterung, wenn der Anlass für diese nicht mehr gegeben ist – also zum Beispiel die Trennung vom Partner oder der Partnerin verarbeitet wurde. Wenn die Stimmung jedoch anhaltend negativ bleibt und Betroffene in ihrem Alltag belastet, wird von einer Verbitterungsstörung gesprochen.

2. Posttraumatische Verbitterungsstörung

Wenn die Verbitterung auf genau einem einschneidenden Erlebnis basiert und die negative Grundstimmung mindestens sechs Monate anhält, wird von einer posttraumatischen Verbitterungsstörung gesprochen. Vor dem Ereignis bestand das Verhalten wie die Vermeidung von Orten und Personen, die damit in Verbindung gebracht werden, noch nicht – es hat sich sofort und ab dann langanhaltend verändert.

3. Komplexe Verbitterungsstörung

Im Gegensatz zum posttraumatischen Fall wird von einer komplexen Verbitterungsstörung gesprochen, wenn mehrere belastende Lebensereignisse passiert sind und sich aus der Vielzahl dieser die Verbitterung ergeben hat. Statt akut aufzutreten, geht die Persönlichkeitsveränderung eher schleichend vonstatten beziehungsweise wird nach dem nächsten einschneidenden Erlebnis stufenweise immer negativer.

4. Chronische Verbitterungsstörung

In der Regel überträgt sich die Verbitterung auf sämtliche Lebensbereiche und wird daher für Betroffene (und Angehörige) sehr belastend. Diese Generalisierung unterstützt auch die Tatsache, dass Verbitterungsstörungen häufig nicht nur wenige Tage, sondern chronisch über mehrere Monate bis Jahre verlaufen – denn während es vielleicht noch möglich erscheint, sich von einem Konflikt im Berufsfeld zu befreien, der die Verbitterung ausgelöst hat, wird es schon schwieriger, wenn sich die Stimmung auch auf das gesamte private Umfeld überträgt.

5. Verbitterungsstörung bei Narzissmus

Narzissmus tritt in vielen Fällen nicht allein, sondern begleitet von anderen Persönlichkeitsstörungen auf. So tritt Verbitterung bei narzisstischen Menschen häufiger auf. Weitere Persönlichkeitsmerkmale: Verzweiflung, Gefühl der Machtlosigkeit, Hoffnungslosigkeit.

Verbitterungsstörung: Symptome im Überblick

Eine Verbitterung kann grundsätzlich als lang andauernder Zustand von Bitterkeit beschrieben werden. Die negativen Emotionen treten darüber hinaus immer dann erneut auf, wenn an das auslösende, einschneidende Ereignis gedacht wird. Zu den Symptomen gehören folgende:

  • Hilflosigkeit

  • Verzweiflung

  • Aggression

  • Gefühl der Machtlosigkeit

  • Zorn

  • Hoffnungslosigkeit

  • Resignation

  • Schamgefühl für das, was passiert ist

  • Machen sich Vorwürfe, dass sie das Erlebte nicht verhindern konnten

Verbitterungsstörung körperliche Symptome

Darüber hinaus können Verbitterungsstörungen auch Änderungen auf körperlicher Ebene mit sich bringen. Betroffene klagen u.a. über Appetitverlust und Schmerzen. Auch eine Schlafstörung tritt häufig in Kombination mit Verbitterung auf.

Posttraumatische Verbitterungsstörung: Symptome nur in der Dauer unterschiedlich

Der wichtige Unterschied zu einer posttraumatischen Verbitterungsstörung im Gegensatz zu einer nicht-posttraumatischen ist die Dauer, in der die Symptome auftreten. Psycholog:innen nennen als Voraussetzung für eine posttraumatische psychische Störung das Auftreten der Anzeichen für mindestens sechs Monate nach dem Auslöser. Ansonsten unterscheiden sich die Symptome nicht.

Verbitterungsstörung: Selbsttest als erste Orientierung  

Online-Selbsttests bieten immer nur einen ersten Eindruck und ersetzen niemals die Diagnose des Fachpersonals. In diesem Fall gilt: Wenn Sie sich in der Beschreibung einer Verbitterungsstörung wiedererkennen und unter mehreren der Symptome leiden, suchen Sie eine psychotherapeutische Praxis auf und fragen Sie dort nach Hilfe. Auch Ihr Hausarzt oder Ihre Hausärztin können eine erste Anlaufstelle sein.  

Verbitterungsstörung: Auslöser kann sehr unterschiedlich sein

Wie bei anderen psychischen Erkrankungen kann sich auch die Ursache einer Verbitterungsstörung individuell unterscheiden. Die folgenden drei treten dabei sehr häufig auf:

Verbitterungsstörung aus der Kindheit

Ein häufiger Auslöser für eine Verbitterungsstörung sind ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit. Betroffene werden in verschiedenen Situationen oder durch unterschiedliche Personen immer wieder daran erinnert, was die Verbitterung aufrechthält. Dabei ist es nicht selten, dass der Ursprung bereits bis in die Kindheit zurückzuführen ist.

Verbitterungsstörung durch Trennung, Arbeitslosigkeit & Co.

Darüber hinaus können ein oder mehrere einschneidende Ereignisse die Verbitterung auslösen. Das kann die eigene Trennung oder die der Eltern sein, eine Kündigung bei der Arbeit oder ein Todesfall in der Familie. Die Symptomatik wird noch verstärkt, wenn das Ereignis weitere negative Konsequenzen mit sich bringt – nach einer Kündigung zum Beispiel finanzielle Schwierigkeiten.

Posttraumatische Verbitterung: Ein entscheidendes Erlebnis

Schicksalsschläge müssen leider viele Menschen in ihrem Leben durchmachen – ob im privaten oder beruflichen Kontext. Insbesondere das plötzliche Auftreten eines negativ folgenreichen Erlebnisses reißt Betroffene dabei aus der Bahn und führt oft zu einer posttraumatischen Verbitterung. Der Unterschied zu einer posttraumatischen Belastungsstörung liegt darin, dass diese durch lebensbedrohliche Ereignisse hervorgerufen wird und die Patient:innen unter Angst leiden. Die Verbitterung wird hingegen durch eine Kränkung ausgelöst, die als verletzend und ungerecht empfunden wird.

Verbitterungsstörung: Depression als Folge

Bei Betroffenen einer Verbitterungsstörung ändert sich die Persönlichkeit. So kann ihr Verhalten in der Folge depressiv-ängstlich, aber auch aggressiv sein. Oft isolieren sich die Personen, wodurch die Stimmung noch schlechter wird. In der Folge kann es zu einer depressiven Verstimmung und schlimmstenfalls sogar zu Selbstmordgedanken kommen. Wenn Sie unter diesen leiden, ist es wichtig, die nächstgelegene Klinik mit psychiatrischer Notaufnahme aufzusuchen. Bei akuten Sorgen oder Ängsten können Sie jederzeit anonym die Telefonseelsorge unter den Telefonnummern 0800/111 0 111 oder 116 123 anrufen.

Verbitterungsstörung: Was Angehörige tun können

Neben den Betroffenen leiden in den meisten Fällen auch Angehörige und Freund:innen unter der psychischen Erkrankung mit. Weil sich viele Menschen zunächst nicht selbst eingestehen wollen, dass sie Hilfe brauchen, spielen die Außenstehenden eine besonders wichtige Rolle. Wenn Sie bei jemandem in Ihrem Umfeld eine abrupte Stimmungsverschlechterung beobachten, fragen Sie, was die Person beschäftigt. Oft tut es schon gut, sich einfach über das zugrundeliegende Ereignis zu unterhalten. Beobachten Sie das Verhalten des oder der Betroffenen über mehrere Tage und Wochen. Zeigen Sie, dass Sie für ihn oder sie da sind. Wenn Sie dabei depressive Symptome bemerken, erhalten Sie auf der Website der Deutschen Depressionshilfe konkrete Handlungsempfehlungen.  

Verbitterung überwinden: Mit diesen Tipps ist es möglich

Das der Verbitterung zugrundeliegende Ereignis kann im Nachhinein nicht verändert werden – der Umgang mit diesem aber schon. Weil sich die Betroffenen in der Regel jedoch als Opfer sehen und nicht erkennen, dass sie sich selbst helfen können, ist der Beginn einer Behandlung oft schwierig und erfolgt erst spät. Dennoch kann die Verbitterung überwunden werden – die folgenden Tipps und Ansätze helfen dabei:

Weisheitstherapie gegen Verbitterung

Der wohl bekannteste Weg eine Verbitterungsstörung zu überwinden, ist die sogenannte Weisheitstherapie. Eine Berliner Forschergruppe entwickelte diese abgewandelte Form der Verhaltenstherapie. Weisheit kann den Forschenden zufolge als „Expertise zur Bewältigung von schwierigen Lebensfragen“ definiert werden, als „Resilience- und Copingfaktor im Umgang mit negativen Lebensereignissen“. Die Therapie besteht aus zehn Weisheitskompetenzen, die helfen, das negative Erlebnis besser verarbeiten zu können:

  1. Fähigkeit zum Perspektivwechsel

  2. Empathiefähigkeit

  3. Emotionswahrnehmung und -akzeptanz

  4. Serenität

  5. Fakten- und Problemlösewisse

  6. Kontextualismus

  7. Wertrelativismus

  8. Nachhaltigkeitsorientierung

  9. Ungewissheitstoleranz

  10. Selbstdistanz und Anspruchsrelativierung

Entscheidend für den Erfolg ist vor allem, dass Betroffene erlernen, sich emotional von dem Erlebten zu distanzieren und es aus anderen Perspektiven zu betrachten. Einer Studie zufolge beurteilten die Betroffenen nach der Weisheitstherapie Lebensfragen weiser und konnten besser mit ihren Emotionen umgehen.

Posttraumatische Verbitterung: Heilung durch kognitive Umstrukturierung und Exposition

Neben der Weisheitstherapie kann es vor allem bei posttraumatischer Verbitterung durch z.B. ungelöste Konflikte auch sinnvoll sein, nach dem emotionalen Durchspielen der verbitterungsauslösenden Situation diese erneut real zu durchleben, sich also z.B. mit den damals integrierten Personen zu treffen.

Denn wer unter einer Verbitterungsstörung leidet, möchte das ihr zugrundeliegende Ereignis oft nicht vergessen und erlebt es in Gedanken immer wieder. Physisch wird die Situation jedoch strikt gemieden – wie bei einer Phobie. Durch die Vermeidung wird die Symptomatik allerdings immer weiter aufrechterhalten.

Mit kognitiven Strategien, z.B. der Analyse automatischer Gedanken, und Expositionsverfahren können Betroffene aus diesem Muster ausbrechen. Sie lernen wieder realitätsnaher zu leben und ihren Gedanken nicht die vollständige Kontrolle über das Handeln zu überlassen.

Konkret bedeutet das: Schreiben Sie sich Ihre negativen Überlegungen auf, die kommen, wenn Sie an die verbitterungsauslösende Situation denken. Begeben Sie sich dann in diese und reflektieren Sie hinterher, was wirklich passiert ist. Sind die Befürchtungen eingetreten? Wie wahrscheinlich ist es, dass die automatisch negativen Gedanken Realität werden?

Diese Option ist natürlich nur möglich, wenn beispielsweise ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit der Grund für die Verbitterungsstörung ist. Eine Kündigung oder Trennung kann schwierig erneut durchlebt werden – doch auch dabei kann es helfen, sich mit den beteiligten Personen auszusprechen.

Verbitterungsstörung: Therapie führt zu langfristigem Erfolg

Expositionen beziehungsweise generell Psychotherapien können sehr anstrengend und belastend sein. Nicht selten passiert es, dass sich die Stimmung in den ersten Tagen oder Wochen, je nach Schwere der Verbitterungsstörung, noch einmal verschlechtert. Der Grund ist, dass die Verbitterung durch das konkrete und viele Beschäftigen mit ihr, der Ursache und ihren Symptomen, noch präsenter ist als sonst. Langfristig gesehen gehören Verhaltenstherapien jedoch zu den effektivsten Wegen, psychische Erkrankungen zu überwinden. 

Verbitterungsstörung: Behandlung durch Meditationen unterstützen

Um die negativen Emotionen, die bei einer Verbitterungsstörung auftreten, überwinden zu können, helfen neben den Behandlungsmaßnahmen wie Expositionen und der Weisheitstherapie auch Entspannungsübungen und Meditationen. Betroffene können sich mithilfe dieser voll und ganz auf ihren Körper, ihre Atmung und das Hier und Jetzt fokussieren – und für den Moment die Vergangenheit und Verbitterung loslassen. Integrieren Sie solche Maßnahmen im besten Fall fest in Ihren Alltag, führen Sie zum Beispiel jeden Abend vor dem Schlafengehen eine Meditation durch. Mit der Zeit hält die Entspannung des Körpers und des Geistes über den Zeitraum der Übung auch im Alltag an.

Verbitterungsstörung: Medikamente als Unterstützung?

Die Therapie mit Medikamenten gehört bei einer Verbitterungsstörung nicht zum Standard. Dennoch können Ärzt:innen oder Psycholog:innen natürlich individuell entscheiden, ob die Einnahme von stimmungsfördernden Mitteln sinnvoll ist. Es sollte dabei jedoch immer bedacht werden, dass sich die Laune nach dem Absetzen der Arznei wieder verschlechtern kann – dementsprechend ist es grundsätzlich am wichtigsten, an der Ursache der psychischen Erkrankung zu forschen und dort anzusetzen.

Ganz wichtig: Verbitterungsstörungen ernstnehmen

Sowohl für Betroffene als auch für Angehörige ist es am wichtigsten, plötzliche Verhaltensveränderungen nach einem einschneidenden Erlebnis ernst zu nehmen – denn aus kurzzeitiger Trauer oder Wut kann sich schnell eine Verbitterungsstörung entwickeln. Außerdem gilt: Je frühzeitiger die Verbitterungsstörung erkannt und behandelt wird, desto besser und schneller kommt es wieder zu Erleichterung im Alltag der Betroffenen.

Quelle:

Baumann, K., & Linden, M. (2008). Weisheitskompetenzen und Weisheitstherapie. Lengerich, Pabst.