Tuberkulose-Impfung gegen Corona? Eine neue Hypothese
Im Kampf gegen das Coronavirus gehen Wissenschaftler aktuell einer neuen Theorie nach: Könnte eine Lebend-Impfung gegen Tuberkulose resistenter gegen SARS-CoV-2 machen? Die ersten Studien zu dieser Frage laufen bereits.
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Laut der Johns Hopkins Universität sind derzeit weltweit über 3,5 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert (Stand 4. Mai). Wissenschaftler jeder Nation suchen fieberhaft nach möglichen Schutzmaßnahmen gegen das Virus, das die potentiell tödliche Krankheit COVID-19 auslöst. Aktuell folgen die Experten einer neuen "Arbeitshypothese", wie RKI-Chef Lothar Wieler es nannte: Könnte es sein, dass eine Lebend-Impfung gegen Tuberkulose resistenter gegen SARS-CoV-2 macht, indem sie unspezifische Reaktionen des Immunsystems hervorruft?
Niedrige Infektionszahlen in Ostdeutschland
Die Hypothese, dass sich eine Tuberkulose-Impfung mildernd auf eine Infektion mit dem Coronavirus auswirken könnte, fußt auf den Infektionszahlen in Deutschland:
In Ostdeutschland sind aktuell wesentlich weniger Menschen mit SARS-CoV-2 infiziert als im Rest des Landes. Laut Robert Koch-Institut ist Bayern im Süden mit knapp 43.000 gemeldeten COVID-19-Patienten das Bundesland mit den meisten Krankheitsfällen, das ostdeutsche Mecklenburg-Vorpommern mit 698 hingegen das mit den wenigsten Fällen (Stand 3. Mai).
Die niedrigen Infektionszahlen in Ostdeutschland gehen auf mehrere Faktoren zurück. Dazu zählt die niedrigere Bevölkerungsdichte im Osten, sowie die Tatsache, dass die Menschen, die dort leben, im Durchschnitt älter und damit weniger mobil sind. Sie reisen weniger und verbreiten das Virus so weniger schnell.
RKI-Präsident Lothar Wieler stellte der Presse nun einen weiteren möglichen Faktor vor, den Wissenschaftler derzeit genauer untersuchen.
Corona und Tuberkulose
Die niedrigen Infektionszahlen in Ostdeutschland brachten die Wissenschaftler auf folgende Spur: In der ehemaligen DDR waren so genannte BCG-Impfungen, also Lebend-Impfungen gegen Tuberkulose, Pflicht. Es könnte folglich möglich sein, dass diese Impfung jetzt dazu beiträgt, dass sich das Virus im Osten weniger schnell ausbreitet.
Bei BCG-Impfungen werden den Patienten Tuberkulose-Erreger in abgeschwächter Form gespritzt, um das Immunsystem auf eine mögliche Tuberkulose-Infektion vorzubereiten. Im Zuge dessen kommt es zu unspezifischen Reaktionen des Immunsystems, die den menschlichen Organismus gegen andere Erreger – wie das Coronavirus – stärken können. Seit Ende der 90er gilt diese Impfung in Deutschland als unnötig, weil Tuberkulose selten geworden ist.
Mehrere Forscher, darunter der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tedros Ghebreyesus, tragen aktuell Belege zusammen, die die Arbeitshypothese stützen sollen. So hätten frühere Studien gezeigt, dass BCG-Impfungen Atemwegserkrankungen vorbeugen können, schreiben die Experten in einem Artikel der Fachzeitschrift "Lancet".
Studien in den Niederlanden
Die im "Lancet" zitierten Belege gelten bisher lediglich als Indizien für die Theorie. Konkrete Beweise für einen Zusammenhang zwischen Corona und einer Tuberkulose-Impfung müssen noch gefunden werden.
In den Niederlanden ist im April eine Studie mit 1.000 Ärzten und Pflegern angelaufen, bei der die Probanden entweder eine BCG-Impfung oder ein Placebo erhalten. Im Folgenden soll beobachtet werden, wie häufig sich die Mitarbeiter beider Gruppen mit dem Coronavirus infizieren.
Zeitgleich läuft eine zweite Studie an der Universitätsklinik von Utrecht. Dabei stehen 1.600 ältere Patienten ab 60 Jahren im Fokus. Untersucht werden soll, ob eine BCG-Impfung einen möglicherweise schweren Krankheitsverlauf von COVID-19 abmildern kann.
Auch in Deutschland, England und Australien laufen aktuell Untersuchungen in diese Richtung.
BCG-Impfung: Kein Wundermittel gegen Corona
Sämtliche Wissenschaftler, die an der neuen Hypothese forschen, betonen, es sei viel zu früh, eine Lebend-Impfung gegen Tuberkulose als Schutzmaßnahme gegen das Coronavirus auszurufen. Niemand solle zum jetzigen Zeitpunkt also zum Hausarzt gehen und eine BCG-Impfung verlangen.
Die WHO führt das unter anderem darauf zurück, dass eine Schutzwirkung der BCG-Impfung nicht abschließend bewiesen sei und so durch die Impfung ein falsches Sicherheitsgefühl entstehen könnte. Außerdem würde ein spontaner Anstieg der Impfungen zu Lieferengpässen bei dem Impfstoff führen, sodass die Studien nicht regulär fortgeführt werden könnten.
Quellen:
COVID-19 Dashboard by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU), in: coronavirus.jhu.edu
Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) 03.05.2020, in: rki.de
Considering BCG vaccination to reduce the impact of COVID-19, in: thelancet.com
Suche nach Covid-19-Schutz: Der Tuberkulose-Trick, in: spiegel.de