Toxische Positivität: Darum ist zu viel Optimismus schädlich
„Don’t worry, be happy“ ist ein Song von Bob Marley, fasst aber auch die Quintessenz von toxischer Positivität zusammen: In allem immer krampfhaft das Positive sehen zu wollen. Warum Beziehungen unter dieser Einstellung leiden können und warum es toxisch positiven Menschen auch mal guttut, schlecht drauf zu sein.
Für das Abspielen des Videos nutzen wir den JW Player der Firma Longtail Ad Solutions, Inc.. Weitere Informationen zum JW Player findest Du in unserer Datenschutzerklärung.
Bevor wir das Video anzeigen, benötigen wir Deine Einwilligung. Die Einwilligung kannst Du jederzeit widerrufen, z.B. in unserem Datenschutzmanager.
Weitere Informationen dazu in unserer Datenschutzerklärung.
- Was gesunde Positivität auszeichnet
- Unterschied zwischen toxischer Positivität und Optimismus
- Warum ist jemand toxisch positiv?
- So belastet toxische Positivität Beziehungen
- An diesen Sätzen erkennen Sie toxische Positivität
- Warum toxische Positivität für einen selbst schädlich sein kann
- Toxische Positivität überwinden: Von der Kunst, negative Gefühle zuzulassen
- Sätze, die trösten – und nicht toxisch positiv sind
„Hingefallen? Aufstehen, Krone richten, weiter geht’s!“ Dieser Spruch begegnet einem heutzutage überall. Doch was macht es mit uns, wenn wir niedergeschlagen und traurig sind – aber sofort das Positive in der Situation sehen sollen? Diese toxische Positivität kann nicht nur nerven, sondern auch verletzend sein. Was Menschen dazu antreibt, alles zwanghaft in ein positives Licht rücken zu wollen und wie es gelingt, eine gesunde Positivität zu entwickeln.

Was gesunde Positivität auszeichnet
Eine optimistische Lebenseinstellung ist gesünder als eine pessimistische – keine Frage. Wer grundsätzlich positiv und dankbar gestimmt ist, profitiert von zahlreichen gesundheitsfördernden Effekten, die wissenschaftlich belegt sind: Die Zufriedenheit steigt, das Risiko für Herzerkrankungen sinkt und sogar die Lebenserwartung soll durch Optimismus höher sein. Auch Krankheiten können durch eine positive Grundeinstellung zum Leben milder verlaufen, beispielsweise mithilfe von Affirmationen für die Gesundheit.
Gesunde Positivität zeichnet aus, ein Grundvertrauen darin zu haben, dass sich die Situation auch wieder zum Guten wenden kann. Zudem ist man in der Lage, negative Emotionen zuzulassen und mit ihnen gut umgehen zu können, damit sie besser verarbeitet werden. Doch wann ist die Grenze zur toxischen Positivität erreicht?
Unterschied zwischen toxischer Positivität und Optimismus
Toxische Positivität schießt schlichtweg über das Ziel hinaus: Wer alles immer durch die rosarote Brille sehen will, leugnet negative Gefühle, die zum Menschsein dazugehören und ganz natürlich sind. Dieses Verhalten ist gekennzeichnet durch eine betont optimistische Herangehensweise an Probleme und führt dazu, negative Emotionen zu verdrängen oder zu verharmlosen. Es kommt also auf das Maß an, an dem sich entscheidet, ob Positivität in der jeweiligen Situation adäquat ist oder nicht.
Warum ist jemand toxisch positiv?
Menschen, die toxisch positiv sind, spüren oftmals einen Druck, optimistisch sein zu müssen. Vermutlich, weil sie verinnerlicht haben, dass negatives Denken und belastende Gefühle etwas Schlechtes seien. Diese Prägung kann aus der Kindheit herrühren, wenn in der Familie kein Platz für belastende Emotionen war und nicht darüber gesprochen wurde. Betroffene wissen daher oft nicht, wie sie mit diesen Gefühlen angemessen umgehen können oder wie sie auf Traurigkeit von anderen reagieren sollen. Eine gewisse Hilfslosigkeit spricht daraus.
Doch nicht nur das Elternhaus, auch andere externe Faktoren wie die gesellschaftliche Haltung zu negativen Gefühlen kann zu toxischer Positivität führen. Wenn Influencer:innen in sozialen Medien immer die positive Seite des Lebens darstellen, ständig lächeln und „Good vibes only“ verkünden, wird der Eindruck erweckt, dass negative Gefühle nicht erwünscht seien und nicht der gesellschaftlichen Norm entsprächen.
So belastet toxische Positivität Beziehungen
Toxisch positive Menschen haben nur Gutes im Sinn zu haben, wenn sie jemanden in einer schwierigen Situation mit „Alles wird gut!“ Mut zusprechen wollen. Das Problem ist jedoch: Das Gegenüber fühlt sich mit seinen belastenden Gefühlen nicht ernstgenommen und zurückgewiesen. Krampfhafter Optimismus wirkt in solchen Situationen mitunter höhnisch – und weniger empathisch.
Die betont gute Stimmung kann diese negativen Effekte in Beziehungen haben:
Schuldgefühle: Die traurige Person fühlt sich noch schlechter, aufgrund der Tatsache, dass sie sich schlecht fühlt. Schließlich wird vom Gegenüber eine Erwartungshaltung aufgebaut, dass man seine Gefühle sofort ändern und einen Weg aus der Traurigkeit finden müsse. Die Folge: ein schlechtes Gewissen.
Schamgefühle: Wer traurig oder wütend ist und darüber reden möchte, wird bei Menschen mit toxischer Passivität nicht weit kommen – denn nur positive Gefühle sind erlaubt. Die Folge: Schamgefühle, weil man sich mit seiner Traurigkeit oder Wut fehlerhaft fühlt.
Distanz: Toxische Positivität kann auf Dauer dazu führen, dass sich das Gegenüber allmählich distanziert, weil er oder sie sich nicht verstanden fühlt.
An diesen Sätzen erkennen Sie toxische Positivität
Im Beziehungsende sollten wir eine Chance sehen, eine chronische Krankheit will uns vermeintlich etwas mitteilen oder die Geldsorgen wären ja nicht so schlimm, schließlich sind andere Menschen noch schlechter dran. Dies sind Situationen, in denen nicht toxische Positivität, sondern echtes Mitgefühl angebracht wäre.
Hier ein paar Beispielsätze, die toxische Positivität verbreiten:
„Das musst du positiv sehen!“
„Denke positiv!“
„Alles hat einen bestimmten Grund!“
„Das ist doch nicht schlimm, anderen Menschen geht es viel schlechter.“
„Sei doch einfach dankbar dafür, was du hast!“
„Mach das Beste draus!“
„Denk einfach an etwas anderes.“
„So machst du dir das Leben selbst nur schwer.“
„Die Zeit heilt alle Wunden.“
Natürlich können die angeführten Sätze auch mal wohltuend sein, wenn man sie von seiner Freundin oder seinem Partner hört. Es kommt immer darauf an, wie stark die negative Emotion des Gegenübers ist und welches Bedürfnis erfüllt werden soll: Ist es in dem Moment wichtig, den Gefühlen nachzugeben oder ist es besser, sich auf das Positive zu konzentrieren? Das lässt sich pauschal nicht sagen und ist von Situation zu Situation und von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Warum toxische Positivität für einen selbst schädlich sein kann
Nicht nur für die Beziehung, sondern auch für einen selbst ist krampfhaft positives Denken nicht gesund – und entpuppt sich bei näherer Betrachtung sogar als hoher innerer Stressfaktor. Der Grund: Belastende Gefühle, die unter dem Deckmantel der Positivität versteckt sind, sind eben doch da und führen zu Stress.
Wie schädlich es ist, negative Emotionen zu unterdrücken, haben diverse wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, wie beispielsweise zwei Studien, die im 2003 veröffentlichten Fachartikel „The social consequences of expressive suppression“ beschrieben werden. Das Ergebnis der Forschenden: Die Unterdrückung negativer Emotionen stört die Kommunikation in Beziehungen und erhöht das eigene Stresslevel. Zudem wurde ein erhöhter Blutdruck gemessen, sowohl beim Partner als auch bei demjenigen, der die Gefühle nicht offenbart.
Auch eine 2006 durchgeführte Studie der University of California kommt zu dem Schluss, dass es gesünder ist, seine negativen Gefühle zu akzeptieren, statt sie zu leugnen. Das Forscherteam um Laura Campbell-Sills zeigte den 60 Studienteilnehmenden, die unter Angststörung oder einer affektiven Störung litten, einen auswühlenden Film. Die eine Gruppehälfte sollte sich dabei von ihren Gefühlen leiten lassen und sie akzeptieren. Die andere Hälfte war dazu angehalten, die aufkommenden Emotionen zu unterdrücken. Das Stressempfinden war bei allen Teilnehmenden gleich ausgeprägt, jedoch zeigte sich, dass die belastenden Gefühle der Akzeptanzgruppe nach dem Film weniger geworden sind. Auch die Herzfrequenz war deutlich niedriger als bei der Unterdrückergruppe, die auch nach dem Film noch ein hohes Stresslevel aufwies.
Andere Studien legen den Schluss nahe, dass die Akzeptanz der eigenen Gefühlslage die psychische Gesundheit fördert – und das Risiko für Depressionen oder Angststörungen verringern könnte. Nicht ohne Grund ist die sogenannte Akzeptanz-Commitment-Therapie (ACT) ein verhaltenstherapeutischer Behandlungsansatz, in dem es um den flexiblen Umgang mit belastenden Gefühlen in verschiedenen Situationen geht.
Eine weitere Studie von 2014 zeigt zudem auf, warum das Streben nach Glück nicht immer erstrebenswert ist: Der ständige Wunsch, glücklich zu sein, löst den Untersuchungen zufolge eher das Gegenteil aus und stellt einen Risikofaktor für Depressionen dar, weil die Suche nach dem ultimativen Glück enttäuscht wird.
Toxische Positivität überwinden: Von der Kunst, negative Gefühle zuzulassen
Wer toxisch positiv anderen Menschen gegenüber ist, duldet auch keine negativen Gefühle bei sich selbst. Daher ist es sinnvoll, am Umgang mit den eigenen Gefühlen zu arbeiten, um schließlich weniger toxischen Optimismus zu verbreiten.
4 Selbsthilfe-Tipps, um einen gesunden Optimismus zu entwickeln – und sich von der eigenen Toxizität zu befreien:
Selbstreflektion: Ehrlich mit sich selber zu sein ist ein wichtiger Schritt, um sich vor Augen zu führen, wie toxische Positität auf andere und auf einen selbst wirkt. Gibt es Situationen, in denen der erzwungene Optimismus vielleicht das Gegenüber verletzt haben könnte? Wie verhalte ich mich eigentlich, wenn jemand traurig oder wütend ist?
Achtsamkeit: Ein achtsamer Umgang mit der eigenen Gefühlswelt hilft dabei, sich selbst besser kennenzulernen. Wie geht es mir jetzt in diesem Moment? Welche Gefühle spüre ich? Dürfen diese Gefühle da sein oder versuche ich, sie zu unterdrücken? Akzeptanz der eigenen Gefühlslage hilft, eine gesunde Positivität zu entwickeln.
Reframing: Bei einer Neubewertung von unangenehmen Gefühlen geht es darum, seine eigene Perspektive darauf zu hinterfragen. Zum Beispiel, inwiefern negative Gefühle auch mal gut und gesund sein könnten.
Sich mitteilen: Wem es schwerfällt, andere zu trösten und für sie einfach nur da zu sein, kann dem Gegenüber das auch mitteilen. Manchmal hilft es, sich zu öffnen und zu sagen, dass man einfach nicht weiß, was man sagen soll.
Wer von einem toxischen zu einem gesunden Optimismus finden möchte, sollte sich unbedingt die Hoffnung, dass sich die Dinge zum Guten wenden, bewahren. Denn eine positive Grundhaltung zum Leben steigert das eigene Wohlbefinden.
Einen konstruktiven Umgang mit unangenehmen Gefühlen zu finden, ist nicht immer leicht. Wenn das schwerfällt oder die Gefühle plötzlich überstark und nicht mehr kontrollierbar erscheinen, kann sich psychotherapeutische Hilfe suchen.
Sätze, die trösten – und nicht toxisch positiv sind
Wer zur toxischen Positivität neigt, kann lernen, bei Traurigkeit oder Ärger mitfühlend dem anderen gegenüber zu sein. Das „Rezept“: Aufrichtig zuhören, Empathie zeigen und vielleicht eine Umarmung. Wenn plötzlich Allgemeinsätze wie „Alles wird gut“ in Gedanken aufkommen, hilft es, innezuhalten und stattdessen zum Beispiel diese Sätze zu sagen:
Toxisch positive Aussagen | Mitfühlende Aussagen | ||
---|---|---|---|
„Alles wird gut!" | „Ich weiß, wie hart das für dich ist. Ich bin für dich da.“ | ||
„Das schaffst du schon.“ | „Ich weiß, dass du die Stärke hast, diese schwierige Zeit zu durchstehen.“ | ||
„Anderen Menschen geht es viel schlechter.“ | „Ich bin für dich da, wenn du Hilfe brauchst.“ | ||
„Mach das Beste draus!“ | „Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst – sowas ist bestimmt nicht einfach.“ | ||
„Das ist doch nicht so schlimm.“ | „Ich sehe deine Traurigkeit – du bist für mich trotzdem ein liebenswerter Mensch.“ | ||
„Sieh doch mal das positive an der Situation.“ | „Es ist vollkommen okay, wie du dich fühlst.“ |
Statt krampfhaft immer sofort das Gute in Dingen zu sehen und toxische Positivität zu verbreiten, kann es auch heilend sein, sich diesen Satz vor Augen zu führen: Es ist okay, auch mal nicht okay zu sein.
Rozanski, A., Bavishi, C., Kubzansky, L. D., & Cohen, R. (2019). Association of optimism with cardiovascular events and all-cause mortality: a systematic review and meta-analysis. JAMA network open, 2(9), e1912200-e1912200.
Butler, E. A., Egloff, B., Wlhelm, F. H., Smith, N. C., Erickson, E. A., & Gross, J. J. (2003). The social consequences of expressive suppression. Emotion, 3(1), 48.
Ford, B. Q., Shallcross, A. J., Mauss, I. B., Floerke, V. A., & Gruber, J. (2014). Desperately seeking happiness: Valuing happiness is associated with symptoms and diagnosis of depression. Journal of social and clinical psychology, 33(10), 890-905.
Zwanghaft gute Laune, in: spektrum.de