Tödliche Wundinfektionen durch Alkohol?

Häufiger und übermäßiger Alkoholkonsum, lässt Verletzungen schlechter heilen. Das zeigt eine aktuelle Studie aus den USA. Patienten, die betrunken in ein Krankenhaus eingeliefert werden, müssen länger das Krankenbett hüten und sterben auch häufiger an Wundinfektionen. Besonders gefährdet sind Jugendliche, deren Trinkverhalten immer problematischer wird. Können Eltern etwas dagegen tun? Praxisvita hat dazu den Experten Wolfgang Bergmann befragt.
Eine aktuelle Studie der Loyola Universität in Maywood (Illinois) belegt erstmals, dass Verletzungen, die unter Alkoholeinfluss entstanden sind, schlechter und langwieriger heilen. Im Schnitt dauerte es im Vergleich zu nüchternen Patienten doppelt so lange, bis Patienten, die betrunken in Behandlung kamen, das Krankenhaus wieder verlassen konnten. Die Untersuchung zeigt außerdem, dass bei betrunkenen Patienten die Gefahr, an einer Wundinfektion zu versterben, um 100 Prozent ansteigt. Besonders Menschen, die häufig und übermäßig Alkohol trinken, seien betroffen. Veröffentlicht wurde die Studie in der April Ausgabe der Fachzeitschrift Alcoholism: Clinical and Experimental Research.
Alkohol blockt Immunzellen
Die Forscher entdeckten, dass vor allem häufig und viel trinkende Patienten über weniger Makrophagen – eine Unterart der weißen Blutkörperchen – verfügen. Diese für den menschlichen Organismus sehr wichtigen Fresszellen zersetzen körperfremde Stoffe wie Bakterien oder Staubteilchen und reinigen so auch Wunden. Durch diese Körperreinigung werden Wundinfektionen verhindert.
Gemäß der Studie werden die Makrophagen an der Wundstelle verringert, da ein häufiger und übermäßiger Alkoholkonsum die Produktion eines bestimmten Proteins (MIP-1α) einschränkt. Dieses Protein alarmiert bei Entzündungsgefahr die Makrophagen und leitet sie an die Wundstelle. Auch ein anderes Protein (CRAMP), das in der obersten Hautschicht Bakterien tötet und Signale an der Immunsystem sendet, wird durch Alkohol unterdrückt. „Zusammen sind diese Effekte wahrscheinlich für die verzögerte Wundheilung und Steigerung der Wundinfektionsgefahr verantwortlich“, berichten die Forscher.
Gefährlich: Betrunkene verletzen sich öfter
Eine andere Studie der Universität zeigte kürzlich, dass bis zu 40 Prozent der Einlieferungen in Krankenhäuser mit dem regelmäßigen oder übermäßigen Konsum von Alkohol in Zusammenhang stehen. Besonders Jugendliche sind davon überproportional stark betroffen.
In Deutschland gehörte 2013 nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) jedes fünfte Kind zwischen 12 und 16 Jahren sowie jeder dritte Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren zur Gruppe der regelmäßigen und übermäßigen Rauschtrinker. Im vergangenen Jahr zählte die BZgA zudem mindestens 26000 Fälle, bei denen Jugendliche mit schweren Alkoholvergiftungen in Krankenhäusern behandelt werden mussten.
Das sagt der Experte
Jugendtherapeut Wolfgang Bergmann erklärt, warum für Jugendlichen selbst regelmäßiges und übermäßiges Trinken oft normal ist und was Eltern tun können, um ihren Kindern zu helfen.
Haben Sie eine Erklärung dafür, dass ein junger Mensch sich ins Koma trinkt, Herr Bergmann?
Komatrinken entsteht aus Langeweile und ängstlichem Geltungsdrang. Befeuert wird diese Entwicklung durch das Bewerben in der Gastronomie, wo Jugendliche mit Dumping-Preisen zum Alkoholkonsum animiert werden. Hier funktioniert Jugendschutz in Deutschland nicht mehr.
Wieso ängstlicher Geltungsdrang?
Jugendliche rivalisieren heute stärker als in früheren Generationen. Auf manchen Partys geht es zu wie auf einem Laufsteg. Styling, Coolness sind elementare Eintrittskarten für die Gruppenkommunikation. Das führt zu einer starken Hemmung bei den ohnehin sozial weniger geübten modernen Medien-Kids. Alkohol betäubt solche Vergleichsängste. Deshalb kommen viele Jugendliche schon betrunken auf die Party.
Jugendliche trinken also, um ihre Angst gar nicht erst spüren zu müssen?
Sozusagen – und das ist auch nicht verwunderlich. Wir leben doch von der Anerkennung, aber genau die bekommen viele 14-bis 18-Jährige heute nicht mehr.
Und warum ist das so?
Viele von ihnen erleben eine große Vereinsamung in sich selber. Kontakte und Kommunikation ereignen sich nicht mehr selbstverständlich. Gleichzeitig wird der Druck in der Schule immer größer. Hohe Anforderungen auf der einen und wenig Anerkennung auf der anderen Seite können zum seelischen GAU führen.
Sie reden nur vom Druck in der Schule - kann Schule nicht auch Schutz vor Alkoholmissbrauch bieten?
Schulen haben in ihrem zugleich langweilenden und leistungsorientierten Charakter überhaupt keine Chance, auf das Bewusstsein der jungen Menschen einzuwirken. Das zeigt sich bei allen Versuchen, Gesundheits- oder demokratisches Bewusstsein über Unterricht zu wecken. Außerdem finden Schüler zu wenig vorbildliche Lehrer, die mit dem, was sie sagen, authentisch wirken und zugleich als Persönlichkeit eine Autorität ausstrahlen, die Jugendliche beeindruckt. Alkoholmissbrauch ist auch das Versagen der Schule als pädagogischer Institution.
Auch? Wer versagt denn hier noch?
Wenn ein Jugendlicher sich regelmäßig volllaufen lässt, haben die Eltern ganz sicher auch nicht alles richtig gemacht.
Wie können sie denn ihr Kind vor übermäßigem Alkoholkonsum schützen?
Erstens, indem sie ihre Vorbildfunktion wahrnehmen. Wer jeden Abend mit einer Flasche Bier vor dem Fernseher sitzt, tut das nicht. Zweitens sollten Eltern den Kontakt zu ihren Kindern suchen und sich Zeit für gemeinsame Aktionen nehmen.
Wie soll das gehen – Pubertierende gehen doch von sich aus auf Abstand?
Sicher tauchen sie in ihre eigene Welt ab, aber insgeheim wünschen sie sich auch, dass ihre Eltern ihnen Angebote für gemeinsame Erlebnisse machen. Das muss nichts Großes sein – gemeinsame Mahlzeiten, mal ein Kinobesuch. Eltern sollten auf eine Schnittmenge bestehen: Klar, du hast deine eigene Welt, aber wir haben auch eine gemeinsame. Deshalb will ich auch wissen, mit wem du unterwegs bist. Wer Ruhe vor seinen launischen Kindern sucht, kann Alarmsignale nicht erkennen.
Und drittens?
Enormen Schutz bieten auch Musikschulen, Sportvereine, Kunstgruppen - hier erleben Jugendliche Anerkennung, die Abwesenheit von Langeweile, und sie üben den Umgang mit Niederlagen. Eltern sollten die Interessen und Talente ihrer Kinder unterstützen, wann immer es geht - so entsteht fürsorgliche Autorität.
Und wie wichtig ist Aufklärung?
Aufklärung und ausführliches Reden hat in der Erziehung noch nie viel bewirkt. Halt geben heißt vielmehr: Eltern müssen selber "cool" sein. Wer mit hochrotem Kopf ausflippt, wer glaubt, Bindung durch Strafe ersetzen zu können, hat schon verloren.