Kann Stress Tinnitus auslösen?
Ein Tinnitus bedeutet für viele Betroffene eine enorme psychische Belastung. Wenn unangenehme Ohrgeräusche zum ständigen Begleiter werden, ist Stress die logische Folge. Doch kann Stress Tinnitus auch auslösen oder ist Stress durch Tinnitus ein Mythos?
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Dauerstress sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn anhaltende psychische Belastungen können sich irgendwann durch körperliche Beschwerden bemerkbar machen: Magenprobleme, Migräne, Rückenschmerzen und Bluthochdruck sind nur einige Erkrankungen, die durch Stress entstehen können. Daher spricht man in der Medizin auch von „psychosomatischen“ Beschwerden – das sind körperliche Symptome, die durch seelische Belastungen ausgelöst werden. Doch ist es möglich, dass Stress auch Tinnitus auslöst? Und wenn ja: Was kann man tun, wenn der Tinnitus durch Stress nicht mehr weggeht? So hängen Tinnitus und Stress zusammen.
Der Begriff Tinnitus aurium ist aus dem lateinischen abgeleitet ("tinnīre" = klingeln, „auris“ = Ohr) und beschreibt ein Klingeln der Ohren. In der Realität klingen die störenden Ohrgeräusche für jeden Betroffenen anders. Doch ob es nun klingelt, pfeift, summt oder rauscht – gemein haben die Geräusche, dass sie ohne erkennbare äußere Schallquelle auftreten.
Nur in sehr wenigen Fällen liegt die Ursache eines Tinnitus an einer Schallquelle im Körperinneren, etwa im Innenohr. Dann spricht man von einem „objektiven Tinnitus“. Sehr viel häufiger ist der „subjektive Tinnitus“, der ohne Schallquelle auftritt und in einer fehlenden Nervenaktivität in Teilen des Gehörgangs oder des Gehirns begründet ist. Ursache ist meist eine Schädigung des Hörnervs oder des Gehirns durch Krankheit oder Trauma.
Je nach Schwere der Schädigung kann ein Tinnitus das Leben der Betroffenen unterschiedlich stark beeinträchtigen. Die Wissenschaft spricht von vier Schweregraden der Phantomgeräusche. Auch wie lange die Störung anhält und ob sie von allein wieder verschwinden kann, ist je nach Ursache unterschiedlich.

Kann Tinnitus Stress auslösen?
Die möglichen Auslöser von störenden Ohrgeräuschen sind zahlreich. Zu ihnen zählen unter anderem Lärmschwerhörigkeit, Schall- oder Knalltraumata, Hörstürze, Verletzungen des Trommelfells und sogar Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Doch kann auch psychischer Stress Tinnitus auslösen? Tatsächlich ist emotionaler Stress ist ein wesentliches Begleitsymptom von Tinnitus. Studien zufolge berichten die meisten Betroffenen von starkem Stress, Ängsten, Überforderung oder psychischen Erkrankungen. Eine Studie von 2014 zeigte zum Beispiel, dass 75 der insgesamt 100 Studienteilnehmer:innen ein permanent hohes Stressniveau haben.
Dies legt den Schluss nahe, dass als Tinnitus-Ursache Stress infrage kommt. Und tatsächlich spüren viele Menschen, die unter Ohrgeräuschen leiden, dass sich ihre Symptome bessern, wenn sie sich mehr entspannen und ihr Stresslevel senken. Allerdings gibt es zum jetzigen Zeitpunkt nur wenige empirische Untersuchungen zu diesem Thema. Der Zusammenhang zwischen Stress und Tinnitus ist wissenschaftlich noch nicht gesichert, wie Forscher der Berliner Charité in der Fachzeitschrift „HNO“ mitteilen.
Kann Stress Tinnitus verstärken?
Auch wenn Stress als Auslöser von Tinnitus noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist, kann er sich stark auf die Wahrnehmung des Tinnitus auswirken – Stress kann den Tinnitus demnach verstärken.
Psychische Faktoren haben einen enormen Einfluss darauf, wie Betroffene die Geräusche erleben und mit ihnen umgehen. Vor allem, solange die Störung noch akut ist (unter drei Monate). Wer in dieser Phase stark seelisch belastet ist, der hat mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit einen höheren Leidensdruck durch die Ohrgeräusche als Menschen, die ihre Stressfaktoren im Alltag während der akuten Krankheitsphase reduzieren. Wem es nicht gelingt, sich an das Ohrensausen zu gewöhnen, hat einen „dekompensierten“ Tinnitus entwickelt, der sich auf alle Lebensbereiche negativ auswirken kann.
Das gilt auch bei langanhaltenden, also chronischen Phantomgeräuschen. Dazu kommt noch, dass der Tinnitus bei vielen chronischen Patienten immer enger mit den eigenen Emotionen verbunden wird. Denn laut Studien des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim nehmen chronisch von Tinnitus Betroffene emotionale Eindrücke auch mit Teilen des Gehirns wahr, die mit dem Gehör vernetzt sind. Emotionen werden buchstäblich „gehört“.
Wenn der Tinnitus akut auftritt, fällt es vielen Betroffenen schwer, einfach „so wie bisher“ weiterzumachen – schließlich wird man permanent abgelenkt durch die Ohrgeräusche. Hinzu kommt, dass ein plötzlicher Tinnitus die Psyche belasten kann. Aus diesen Gründen stellen HNO-Ärzt:innen in den meisten Fällen eine Krankschreibung aus: Die Betroffenen können sich so besser auf die Akut-Therapie konzentrieren und dafür sorgen, dass sie im Alltag weniger Stress haben. Die Krankschreibung bzw. das Fernbleiben vom Arbeitsstress kann dafür sorgen, dass sich die Beschwerden nicht verstärken. Wie lange die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt wird, ist sehr individuell – von einigen Tagen bis zu mehreren Wochen.
Wichtig ist auch, zusammen mit dem Arzt einen ganzheitlichen Blick auf die allgemeine gesundheitliche Verfassung zu werfen: Bemerke ich den Tinnitus vielleicht nur, weil ich mich ständig gestresst fühle? Wenn dies der Fall ist, sollte ebenfalls schnell gehandelt werden, damit der Dauerstress nicht in einem Burnout mündet.
Wie geht ein „Tinnitus durch Stress“ wieder weg?
Es ist ein Teufelskreis: Tinnitus, der durch Stress entstanden sein kann, verursacht durch das quälende, permanente Ohrgeräusch wiederum Stress. Umso wichtiger ist es, mögliche Stressoren zu beseitigen. Natürlich ist dies meist leichter gesagt als getan.
Folgende Maßnahme kann jedoch helfen:
Tinnitus-Stress-Management mit genauer Zeiteinteilung und regelmäßigen Arbeitspausen hilft, stressige Situationen zu vermeiden, in denen die störenden Geräusche besonders stark wahrgenommen würden.
Bei der spezifischen Retraining-Therapie sind neben HNO-Ärzten und Audiologen auch klinische Psychologen beteiligt. Diese Therapie mit individueller psychologischer Betreuung hilft, stressverstärkende Gewohnheiten zu erkennen und zu bewältigen.
Auch, wenn die Frage, ob Stress Tinnitus auslösen kann, noch nicht abschließend geklärt ist – Stressreduktion kann in jedem Fall dazu beitragen, die Beschwerden zu lindern.
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