Studie: Doch keine hohe Dunkelziffer unter Kindern?

Die „hohe Dunkelziffer“ unter Kindern, die in den Debatten um die Schulpolitik in Coronazeiten häufig eine dominierende Rolle spielt, gibt es offenbar gar nicht – so lautet das Ergebnis einer Analyse von Kinderärzten.

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In der Debatte um die Schulpolitik in der Coronakrise wurde bisher häufig davon ausgegangen, dass es unter Kindern eine hohe Dunkelziffer von Infizierten gibt. Der Grund: Kinder können sich zwar genauso wie Erwachsene mit SARS-CoV-2 infizieren, entwickeln aber häufig nur leichte oder gar keine Symptome, sodass Infektionen unentdeckt bleiben können. Die Annahme lautete darum bisher, dass die Infektionsrate unter Kindern vermutlich deutlich höher ist, als offiziell bekannt.

Die Chefärzte dreier deutscher Kinderkliniken (Passauer Kinderklinik, Haunersche Kinderklinik in München und Universitätskinderklinik in Regensburg) gingen dieser Annahme nun mit Unterstützung des Verbands der leitenden Kinderärzte und Kinderchirurgen Deutschlands in einer Studie auf den Grund.

Ansteckungsgefahr an Schulen „eher überschätzt“

Die Kinderärzte werteten die Daten von mehr als 110.000 Kindern aus, die seit Juli in fast 100 Kinder- und Jugendkliniken in Deutschland auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Dabei handelte es sich um Routinetests, der Großteil der jungen Patienten hatte die Klinik aufgrund anderer Erkrankungen oder Verletzungen aufgesucht. Darum kommt das Ergebnis aus Sicht der Autoren einer „Zufallsstichprobe am nächsten“.

Das Ergebnis: Die Kinderärzte fanden keine Hinweise auf eine hohe Corona-Dunkelziffer unter Kindern. Die Annahme, dass die Infektionsrate unter Kindern und Jugendlichen deutlich höher sei als offizielle Statistiken widerspiegelten, müsste man jetzt in Frage stellen, so Prof. Matthias Keller, Chefarzt der Passauer Kinderklinik, gegenüber der Passauer Neuen Presse. Zum Stichtag 18. November seien „im Mittel nur 0,53 Prozent der Kinder und Jugendlichen positiv“ gewesen. „Wir schließen daraus auch, dass die Ansteckungsgefahr an Schulen eher überschätzt wird“, so Prof. Keller. Darauf wiesen auch Studienergebnisse aus anderen Ländern hin, die ergaben, dass Lehrer keinem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt seien. 

Weniger Emotionen, mehr datenbasierte Debatten

Erklärtes Ziel der Autoren ist es laut Prof. Keller, in der Diskussion um Kinder und Jugendliche in der Coronakrise „weg von Emotionen, hin zu einer daten- und sachbasierten Debatte“ zu kommen. Entgegen der Darstellung mancher Politiker oder Verbandsvertreter seien Kinder keine „Virenschleudern“.

In einer gemeinsamen Stellungnahme von Kinder- und Jugendärzten heißt es: „Die öffentliche Diskussion und Darstellung, wie z.B. ‚brandgefährlicher Schulunterricht‘, wird durch die oben dargestellten Daten an über 110.000 Kindern und Jugendlichen auch in dieser Phase der Pandemie nicht gestützt und untergräbt das Engagement von Lehrenden, Schülerinnen und Schülern und Eltern, die sich tagtäglich mit Erfolg für einen Schulbetrieb und damit für die Bildung und Zukunft unserer Zivilgesellschaft einsetzen. Darüber hinaus führt es zu Ängsten, Unsicherheiten und Polarisierung, lenkt von einer gezielten Lösungsfindung ab und sollte deshalb unterlassen werden.“

Auch Kinder können das Virus übertragen

Dennoch betonen die Mediziner auch: „Es steht außer Frage, dass Kinder und Jugendliche sich infizieren und auch das Virus weitergeben können.“ Allerdings gebe es „deutlich Hinweise, dass die Infektionsquellen in der Mehrzahl außerhalb des schulischen Bereiches liegen, so dass neben den notwendigen Hygienemaßnahmen in den Schulen es weitere außerschulische Ansätze zur Eindämmung der Pandemie geben muss“.

Frühere Studie kam zu anderem Ergebnis

Eine Ende Oktober veröffentlichte Studie des Helmholtz Zentrums Münchens zur Corona-Dunkelziffer bei Kindern ergab dagegen, dass in Bayern zwischen April und Juli sechsmal mehr Kinder eine Corona-Infektion durchgemacht haben, als durch Tests offiziell wurde. Die Forscher hatten Blutproben von 12.000 Kindern mit neu entwickelten, besonders zuverlässigen Tests auf Antikörper untersucht.

Etwa die Hälfte der positiv getesteten Kinder zeigte während der Infektion keine Symptome. Diese Kinder wurden in der Regel auch nicht getestet – auch dann nicht, wenn sie ein infiziertes Familienmitglied hatten. Die Autoren der Helmholtz-Studie plädieren daher dafür, alle Kinder zu testen, die Kontakt zu einer infizierten Person hatten. In der Studie wurde allerdings nicht vergleichend die Dunkelziffer bei Erwachsenen untersucht.