Stressmanagement mit effektiven Mentaltechniken

Mit Entspannungstechniken können Sie Stress und Überlastung besiegen. Für ein effektives Stressmanagement eignen sich z. B. autogenes Training, Atem-Übungen, bewusste Gedankensteuerung und gezielte Körperreize
Mit Entspannungstechniken können Sie Stress und Überlastung besiegen. Für ein effektives Stressmanagement eignen sich z. B. autogenes Training, Atem-Übungen, bewusste Gedankensteuerung und gezielte Körperreize

Stress ist der gefährlichste Feind unserer Gesundheit. Doch wir können ihn besiegen. Ein Gespräch mit dem Stress- und Burn-out-Experten Dr. Werner Ehrhardt – und vier erprobte Mentaltechniken für ein aktives Stressmanagement im Alltag.

Herr Dr. Ehrhardt, Sie beschreiben Stress als eine Art inneren Machtkampf. Können wir diese Auseinandersetzung überhaupt gewinnen?



Im Prinzip ja. Aber grundsätzlich funktioniert das Stresssystem eben nicht wie ein Muskel, den ich bewusst an- und entspannen kann. Es reagiert von selbst auf unterschiedlichste Schlüsselreize, die übrigens bei jedem Menschen völlig anders aussehen können. Viele dieser Stressfaktoren, auch Stressoren genannt, lassen sich jedoch nicht vermeiden. Menschen, die stark unter psychosozialem Stress leiden, können beispielsweise nicht einfach aus der Gesellschaft aussteigen. Das ist auch nicht die richtige Lösung.



Und die wäre?



Es geht um unseren Umgang mit Stress. Obwohl wir unser Stresssystem nicht bewusst steuern können, sind wir doch in der Lage, es zu entmachten. Und das ist auch notwendig, denn ein gestresster Organismus verschleißt schneller und ist anfälliger für Krankheiten. Nur ein Beispiel: Die Nebennierenrinde schüttet Cortisol aus. Ein dauerhaft erhöhter Spiegel des Stresshormons beschleunigt Alterungsprozesse und steigert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Infarkt oder Schlaganfall.



Aber warum versetzt unser Organismus uns trotzdem so häufig in einen Stresszustand?



Das ist tatsächlich das Problem: Bei den meisten Menschen springt das Stressprogramm auch dann an, wenn die Situation eigentlich harmlos ist. Die Ursachen dafür sind individuell höchst unterschiedlich. Aber zum Glück gibt es eine ganze Reihe einfacher Mentalübungen, die das Stressmanagement unterstützen.



Arbeitsplatz, Beziehung, Rente – nichts scheint mehr sicher. Ist das ein Grund dafür, dass sich heute viele Menschen so gestresst fühlen?



Ja und nein. Wir leben in der Tat in unsicheren Zeiten – die Anforderungen an den Einzelnen werden immer komplexer. Wir müssen mobiler und flexibler sein, wenn wir einen Job suchen oder behalten wollen. Alte Strukturen werden aufgebrochen: Heute sind nur noch 50 Prozent der Arbeitsverträge unbefristet. Das macht Angst. Wir fürchten uns davor, Fehler zu machen, zu versagen, den Anforderungen an uns nicht gerecht zu werden.

 Kein Wunder, dass viele Menschen verzweifelt nach Halt suchen...darüber darf man aber nicht vergessen, dass unsere Sicherungssysteme – soziale und gesundheitliche – gleichzeitig zu den besten der Welt gehören. Wir müssen allerdings lernen, umzudenken. Das Leben ist eine Herausforderung und lässt sich einfach nicht bis ins kleinste Detail planen. Jeder, der das versucht, scheitert. In Wahrheit ist es doch so: Wer viel hat, fürchtet sich umso mehr vor Verlust. Und das ist selbst gemachter Stress. Unser Sicherheitsbedürfnis ist so groß, dass wir in Deutschland inzwischen die höchste Versicherungsquote der Welt pro Einwohner haben.


Bewerber Jobsuche
Jobsuche verursacht Stress: Wir müssen mobiler und flexibler sein, wenn wir einen Job suchen oder behalten wollen Foto: Fotolia

Das mag zwar ein Gefühl von Sicherheit vermitteln, aber es ändert doch am eigentlichen Stress wenig, oder?



Stimmt. Bei existenziellen Ängsten hilft keine Versicherung. Was wir brauchen, ist Stressmanagement für die verschiedenen Stresssituationen. Und die Strategien können wir uns selbst erarbeiten. Allerdings funktionieren sie nur, wenn wir lernen, auch unter großem Druck so entspannt zu bleiben, dass wir sie auch anwenden können.



Wie soll das Stressmanagement aussehen?



Das Bedürfnis nach Sicherheit sollten wir schon ernst nehmen. Denn ein gewisses Maß an Sicherheit ist für uns lebensnotwendig. Und je besser mein Stressmanagement in der Krise greift, je effektiver es mich beruhigt, desto sicherer werde ich. Dazu muss ich die Stressstrategien allerdings vorher in Ruhe einüben. Ein Beispiel: Wir werden zum Chef gerufen, das Herz rast. Mit der richtigen Atemtechnik können wir unser Stresslevel um 50 Prozent senken (siehe unten).



Das hilft mir zwar im Moment dabei, Spannung abzubauen, aber es verringert mein allgemeines Stresslevel nicht, oder?



Doch, denn mit diesen einfachen Übungen lernen wir, Stress zu entmachten. Vorhanden ist er immer. Und allein durch positives Denken können wir ihn nicht entwaffnen.



Aber habe ich überhaupt eine Chance, den Stress zu entmachten?



Natürlich. Wir geben dem Stress vor allem dann Macht, wenn wir nicht auf ihn vorbereitet sind, ihn negieren. Damit unterdrücken wir unsere Gefühle. Das geht meist eine Zeit lang gut, doch sobald etwas Unerwartetes geschieht, wir etwas dünnhäutiger sind, werden wir verwundbar, und die verdrängten Emotionen kommen jetzt mit aller Macht hoch. Wenn ich Stress jedoch als Teil meines Lebens akzeptiere, wie ein Kung-Fu-Kämpfer auf ihn geübt mit Achtsamkeit und Kreativität reagiere, meine Stresswerkzeuge beherrsche, dann ist Stress kein Problem mehr. Alle Stressabwehrschilder funktionieren nicht lange – bei Erschöpfung brechen sie zusammen. Das Zauberwort ist Kompetenz und Selbstbewusstsein.



Selbstbewusstsein als Medizin gegen Stress?



Das ist der beste Bodyguard. Selbstbewusstsein hilft uns dabei, in Krisen zu improvisieren. Zu handeln, statt lange nachzudenken. Oder uns auch einfach mal durchzuwursteln.



Was kann ich tun, wenn immer mehr Leistung in immer kürzerer Zeit verlangt wird?



Das Geheimnis erfolgreicher Menschen besteht darin, dass sie gar nicht erst versuchen, perfekt zu sein. Sie reagieren flexibel auf die an sie gestellten Anforderungen und versuchen, ihr Bestes zu geben – und das genügt.



Und wie stille ich in diesen turbulenten Zeiten meine Sehnsucht nach Sicherheit?



Durch einen persönlichen Wohlfühlbereich. Freunde, die zu uns passen, eine Familie, mit der wir uns verbunden fühlen. Wir brauchen eine Art Kokon, eine Rückzugsmöglichkeit, um uns zu regenerieren und Kraft zu tanken. Und uns zu entspannen. Übrigens: Schon sechs Minuten autogenes Training täglich können Ihr Leben retten.



Familie und Freunde
Freunde und Familie bieten eine Rückzugsmöglichkeit, um uns zu regenerieren und Kraft zu tanken Foto: Fotolia

Kann man den besseren Umgang mit Stress lernen?



Ja. Wir können lernen, mit Stress spielerischer umzugehen. Aber wer nach der Parole ,durchhalten' lebt, verliert erst seine Begeisterung, dann die Leidenschaft und später die Libido. Ich setze da lieber auf gezieltes Abschalten. Bei jedem negativen Gedanken, den ich bemerke, schnaufe ich im Geist kräftig durch. Bei manchen reicht einmal, bei anderen brauche ich 30 Durchgänge. Die Technik ist simpel, wirkt aber verblüffend. Das Stresssystem fährt sofort herunter. Probieren Sie es einfach mal aus.

Vier Techniken für ein effektives Stressmanagement

Mit diesen vier Mentalübungen, auf die unser Alarmsystem besonders gut reagiert, lässt sich Stress effektiv entmachten:



1. Entspannungstechnik

Autogenes Training ist z. B. so einfach, dass es wirklich jeder lernen kann. Sie müssen nur konsequent dabei bleiben. Setzen Sie sich dreimal täglich für zwei Minuten ganz entspannt auf einen Stuhl. Der Kopf sinkt leicht zur Brust, die Schultern hängen lassen, die Arme liegen locker auf den Oberschenkeln. Die Augen schließen. Jetzt sagen Sie sich: Mein rechter Arm wird schwer. Dann geht es zum linken, anschließend zu den Beinen. In der zweiten Runde werden alle Gliedmaßen warm. Beim ersten Mal passiert oft nichts. Nach 14 Tagen klappt es meist bei einem Arm. Später mit dem Rest. Bei dieser einfachen Übung fährt der Körper das gesamte System herunter auf totale Entspannung. Bleiben wir 100 Tage dabei, können wir die Technik in jeder Situation anwenden.



2. Atemtechnik

Erwachsene atmen 10- bis 12-mal pro Minute ein und aus. Wer in Belastungssituationen die Atmung auf sechs Züge bewusst drosselt, entspannt sofort. Wichtig: Das Ausatmen sollte etwa doppelt so lange dauern wie das Einatmen. Und dabei loslassen. Diese Phase bringt die deutlichste Stressreduktion.



Hände unter kaltes Wasser
Bei anstrengenden Konferenzen oder Treffen entstresst dieser Trick: Halten Sie Ihre Handgelenke unter eiskaltes Wasser Foto: Fotolia

3. Gedankensteuerung

In Stressmomenten tauchen oft negative Gedanken auf, die den Druck noch verstärken. Hilfreich ist folgende Technik: Mit geschlossenen Augen tief in den Bauch atmen und dabei über folgende Fragen nachdenken: Wie würde ein neutraler Beobachter die Situation bewerten? Wie werden Sie in einem Jahr darüber denken? Das sorgt für Abstand.



4. Körperreize

Bei anstrengenden Konferenzen oder Treffen entstresst dieser Trick: Halten Sie Ihre Handgelenke unter eiskaltes Wasser. Da die Pulsadern direkt unter der Hautoberfläche liegen, erreicht die Kälte sehr rasch die Blutgefäße, die sich daraufhin zusammenziehen. Und das beruhigt wiederum den Blutfluss. Danach heißes Wasser, dann wieder kaltes usw. Zwei Minuten - und Sie gehen entspannt in die nächste Runde.