Ständige Wutausbrüche – Was hilft?
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Choleriker sind wie Zeitbomben. Keiner weiß, wann sie ausrasten. Manchmal nicht einmal sie selbst. Die Hamburger Psychotherapeutin Cora Besser-Sigmund erklärt die Hintergründe der Wutstörung.
Jeder von uns hat schon einmal mit ihnen zu tun gehabt. In der Verwandtschaft, bei der Arbeit oder im Straßenverkehr: Choleriker. Menschen, die häufig schon wegen einer Kleinigkeit aus der Haut fahren und ihren Standpunkt mit Gebrüll und auf den Tisch hauen verteidigen müssen. Wie geht man mit so jemandem um? Vor allem wenn es der Partner oder das eigene Kind ist? Die Hamburger Psychotherapeutin und Coaching-Expertin Cora Besser-Sigmund erklärt, was es mit der sogenannten Wutstörung (engl. Intermittend Explosive Disorder = IED) auf sich hat.
„Jeder Mensch trägt gewisse Muster an Emotionen in sich, diese sind angeboren und nicht antrainiert. So gibt es eine Freudematrix, eine Wutmatrix usw. Die Stimme zu erheben, die Augen zu verengen oder die Fäuste zu ballen, gehören zu typischen Verhaltensmustern bei Wut“. Aber wann werden bestimmte Gefühlsausbrüche krankhaft und belastend für das Umfeld? „Ein Knackpunkt von Emotionen ist, dass sie mit reiner Vernunft kaum zu bändigen sind. Auch der Choleriker weiß im Grunde genommen, dass seine Wutausbrüche nicht immer angemessen sind. Dennoch ist es ihm im Moment der Rage unmöglich, damit aufzuhören und sich zu beruhigen. Während eines Wutausbruchs ist im limbischen System und in der Amygdala – den Bereichen, in denen Emotionen verarbeitet werden – sehr viel Aktivität. Im Cortex, auch Sitz unseres Verstandes genannt, geht hingegen die Aktivität runter“. So ist auch zu erklären, warum man manchmal einen sogenannten Blackout hat. Zusammen mit ihrem Mann Harry Siegmund hat die Diplom-Psychologin die Methode wingwave-Coaching entwickelt, das Kurzzeit-Verfahren nennen die Begründer auch „Emotions-Management“.

Ein „emotionaler Tinnitus“
Zur Veranschaulichung des Emotionsmanagements nennt Besser-Siegmund das Beispiel eines überfüllten Parkplatzes am Samstag Nachmittag in der Innenstadt: Die Nerven liegen ohnehin blank und plötzlich kommt ein dreister Fahrer und schnappt einem den Parkplatz weg. In dieser Situation rastet fast jeder aus. Bei gesunden Menschen ist es aber so, dass sie zwar am nächsten Tag noch genau wissen, warum sie so wütend waren, die eigentliche Wut aber längst verraucht ist, man empfindet keinen Groll mehr. Das liegt auch an der Emotionsverarbeitung, die über Nacht in unserem Gehirn stattfindet. Nicht umsonst kommt das Wort Emotion von lateinisch Motio = Bewegung: Emotionen sind Gefühle, die auch wieder vergehen können. Bei Cholerikern ist die Gefühlsverarbeitung häufig eingeschränkt. Sie behalten immer einen „Restgroll“ in sich und auch kleinere Anlässe, als ein gestohlener Parkplatz reichen aus, um zu explodieren. Besser-Siegmund nennt das auch einen emotionalen Tinnitus, ein Grundrauschen, das sich bei verschiedenen Anlässen mit einem Knall entladen kann. Doch was sind diese Anlässe?
Wut-Trigger lösen die Ausbrüche aus
Dabei haben Choleriker fast immer bestimmte Trigger-Situationen, die bei ihnen – bewusst oder unbewusst – Wutanfälle auslösen. Diese „wunden Punkte“ sind individuell verschieden und können schwer verallgemeinert werden.
So beschreibt die Psychologin einen Fall aus ihrer Coaching-Praxis, in dem eine Klientin sehr empfindlich und aggressiv auf eine bestimmte Kollegin reagierte. Die wingwave-Methode ist dafür bekannt, dass man mit ihr schnell den „wunden Punkt“ für Gefühlswallungen finden kann, hier stellte sich schon nach zehn Minuten heraus, dass die Klientin besonders empfindlich auf die hohe Stimme der Kollegin reagierte. Ihre Abneigung mündete in Wutausbrüchen, wenn diese Frau auch noch in einem besonders lieben Ton mit ihr sprach. Während der Behandlung begaben sich die Psychologin und die Klientin mit einem im Rahmen der wingwave-Studien angewendeten Muskeltest auf Ursachensuche. Mit Hilfe dieses Testverfahrens zeigte sich schnell, dass sich die Patientin generell bei „lieben“ Frauen, auf die sie so unverhältnismäßig reagierte, an ihre eigene kleine Schwester erinnert fühlte. Diese war in der Kindheit immer das kleine und süße Mädchen gewesen, das für seine Missetaten nie bestraft wurde. Die Strafe erhielt die große Schwester, die sich bis ins Erwachsenenalter nicht von dieser Ungerechtigkeit erholen konnte. Man spricht dann von einem Sozialtrauma oder sogar von einem „Verbitterungs-Syndrom“.
Woher kommt der Trigger?
In diesem Fall ist es für das Umfeld fast unmöglich einzuschätzen, woher der Wutanfall kommt. Das macht es so schwer, mit dem Intermittend Explosive Disorder umzugehen.
Hat man einen Choleriker im Familienkreis, ist es häufig sinnvoll, die versteckten Trigger gemeinsam aufzuspüren. Laut Cora Siegmund-Besser sind es übrigens nur zu 50 Prozent gesprochene Wörter, die die heftigen Emotionen auslösen. In einem anderen Fall aus ihrer Praxis hatte ein Paar große Probleme mit den cholerischen Ausbrüchen des Ehemanns. Durch den besagten Muskeltest mit der Erwähnung spezifischer Reizwörter konnte die Psychologin gemeinsam mit dem Paar herausfinden, dass die Ehefrau, immer, wenn sie etwas nicht genau verstanden hatte, unbewusst die Augen verdrehte. Genau das brachte den Mann jedes Mal auf die Palme – ohne dass beiden bewusst war, dass darin die Ursache lag.
Wie soll das Umfeld reagieren?
In solchen Fälle lässt sich die spezifisch identifizierte Trigger-Situation leicht behandeln – recht schnell konnte der Mann dann plötzlich lachen, wenn seine Frau die Augen verdrehte. Und sie selbst achtete auf eine gleichbleibenden Augenkontakt im Gespräch und versuchte, das Augenverdrehen zu reduzieren. . Das heißt natürlich nicht, dass das Umfeld immer Rücksicht auf Choleriker nehmen muss. Allgemein sei es nach Besser-Siegmund leider in unserer Kultur so, dass Wut mit Stärke und Macht assoziiert sei. Ein Chef, der in Meetings aus der Haut fährt und seine Mitarbeiter anschreit, werde in unseren Breitengraden als durchsetzungsstarker, selbstbewusster Mensch wahrgenommen, der Autorität ausstrahlt. In asiatischen Ländern werde ein solches Verhalten viel weniger geduldet, wer in beispielsweise in China oder Japan vor anderen aus der Haut fährt, wird als schwach und disziplinlos oder gar lächerlich wahrgenommen. In diesen Ländern ist die Wutstörung übrigens eher unbekannt.
Ereignisse aus der Kindheit prägen häufig das ganze Leben
Diese Beobachtung liefert einen wichtigen Hinweis auf die Entstehung der Wutstörung. Auch wenn neuere Studien nahelegen, dass IED-Patienten eine schlechtere Verbindung zwischen sprach- und gefühlsverarbeitenden Bereichen im Gehirn haben, sind es vor allem unsere Erziehung und das Umfeld, die eine Wutstörung auslösen können. Auch Besser-Siegmund erklärt, dass es zwar Dispositionen gibt, die auch weitervererbt werden können, dass aber in der Realität vor allem Umwelteinflüsse, Vorbilder und das Verhalten von Bezugspersonen den intensivsten Einfluss auf die emotionale Entwicklung eines Menschen haben. Oft sind es Ereignisse in der Kindheit, aus der Schule und auch aus der Gleichaltrigen-Gruppe in der Pubertät, die einen wunden Punkt bis ins Erwachsenenalter hinterlassen. Das sind häufig Verletzungen des Selbstwertgefühls, empfundene Ungerechtigkeiten oder einfach schlechte Vorbilder. Hat ein Kind etwa einen Vater, der seinen Willen stets mit lautem Gebrüll durchsetzt und bei der kleinsten Gelegenheit aus der Haut fährt, wird es dieses Verhalten auch ausprobieren und bei Erfolg übernehmen. Hat es Liebe, Verständnis und emotionale Stabilität bei den Erwachsenen erlebt, wird es eher das ausleben, man spricht dann vom „Modell-Lernen“.
Wie behandeln?
Bei der Wingwave-Methode werden die Augenbewegungen der REM (Rapid Eye Movement)-Schlafphase simuliert. Diese schnellen Augenbewegungen finden normalerweise nur im nächtlichen Traumschlaf statt und sind essentiell für die Verarbeitung der Ereignisse und Emotionen des Tages. Mit Hilfe eines Muskeltests suchen Behandler und Klient auf der Grundlage von Referenz-Wörtern und Referenz-Sätzen nach so genannten „Buzz-Words“, auf die das Gehirn schneller reagiert, weil es mit Emotions-Sensationen verknüpft ist. Besser-Siegmund spricht hier auch vom „Coaching-Kompass“, der mit dem Sprachmaterial der Klienten auf neurolinguistischer Basis die Ursache des Problems und den Weg zur Lösung findet. Wird so die Trigger-Situation herausgefunden, führt der wingwave-Coach anschließend durch schnelle Handbewegungen den Blick des Klienten beim Gedanken an den Trigger hin- und her und simuliert so die Augenbewegung während der REM-Phase. Abschließend prüft man mit dem Muskeltest, ob die vorherigen Stress-Wörter und Stress-Sätze immer noch als Trigger wirken. Fällt der Test dann stark aus, gilt die Intervention als gelungen.
Situationen schon im Vorfeld analysieren
Im Alltag ist es außerdem wichtig, dass IED-Betroffene ein Gespür dafür entwickeln, in welchen Situationen sie besonders reizbar sind. Endet jedes Familienfast im Desaster, weil man sich mit allen in die Haare kriegt? Dann sollte man solchen Zusammenkünften vielleicht lieber fernbleiben und sich im kleinen Kreis mit ausgewählten Verwandten treffen, mit denen die „Wellenlänge“ stimmt. Sind die Kollegen schon genervt und meiden die Zusammenarbeit? Dann ist sicherlich eine Entschuldigung, verbunden mit einer Erklärung zum eigenen Verhalten hilfreich. Verstärkt Alkohol die Wutausbrüche? Dann heißt es, Finger weg von Wein und Bier, ihrem Umfeld und sich selbst zuliebe.
Denn die ständigen Wutausbrüche vertreiben nicht nur Freunde und Bekannte, sondern sind auch gesundheitsschädlich. Cora Besser-Siegmund warnt, dass eine Wutstörung neben chronischen Muskelverspannungen, Schädigungen der Gefäße auch einen lebensbedrohlichen Herzinfarkt begünstigen kann. Sport kann zu einem Gefühlsausgleich und der Beruhigung der Körperfunktionen beitragen.