Sind wir alle Kondom-müde?

Kondome bieten die größte Sicherheit, sich beim Geschlechtsverkehr nicht mit dem HI-Virus zu infizieren
Kondome bieten die größte Sicherheit, sich beim Geschlechtsverkehr nicht mit dem HI-Virus zu infizieren

„Gib Aids keine Chance.“ Dieser Slogan aus den 90ern hat sich vielen von uns ins Gedächtnis gebrannt. Doch diese Zeiten sind vorbei. „Wir steuern auf eine neue Unbekümmertheit zu, in der die Menschen wieder häufiger ungeschützten Sex haben“, bestätigt der Sprecher der Deutschen Aids-Stiftung, Dr. Volker Mertens.

Hat das HI-Virus seinen Schrecken verloren?

„Viele wiegen sich in der trügerischen Sicherheit, dass man an Aids nicht mehr sterben muss“, sagt Volker Mertens. „Sie verbinden Aids und Tod nur mit Afrika oder Asien. Doch das ist ein fataler Irrtum. Jährlich sterben allein in Deutschland immer noch 600 Menschen.“ Es gibt zwar mittlerweile Medikamente, die die Krankheit lindern können. Eine Heilung jedoch ist bislang noch Zukunftsmusik.

Inzwischen gehören längst nicht mehr nur Homosexuelle zu den Hauptbetroffenen. Deren Anteil liegt seit Jahren konstant bei 50 Prozent. Die andere Hälfte „teilen“ sich heterosexuelle Männer und Frauen – wobei der Anteil der Frauen mit HIV beständig zunimmt: Von 2000 Neuinfizierten war jede vierte Person eine Frau.

Größtmögliche Sicherheit gibt nur ein Kondom

Warum sind so viele Frauen betroffen? Die 32-jährige Reiseverkehrskauffrau Petra Kalm aus Münster versucht eine Erklärung: „Bei One-Night-Stands ist es für uns Frauen mit dem Kondom eigentlich nie ein Problem. Da sorgen inzwischen viele Männer selbst vor. Aber wenn du dich verliebst, dann vergisst du schon mal das Thema Aids. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mit meinem jetzigen Freund schon beim ersten Mal ohne Kondome geschlafen. Und mein letzter Aids-Test liegt auch schon fünf Jahre zurück.“

Leider typisch für viele Beziehungen. Neueste Studien belegen: Die Gefahr einer Ansteckung ist nicht nur auf kurze Affären beschränkt. Gerade in Beziehungen, die auf Dauer angelegt sind und nicht nur auf ein sexuelles Abenteuer, wird HIV schnell außen vorgelassen. Denn welches Paar zeigt sich schon am Anfang einer Beziehung gegenseitig seinen Aids-Test?

Volker Mertens: „Hundertprozentige Sicherheit wäre nur gegeben, wenn die Partner in den ersten drei Monaten ihres Kennenlernens geschützten Sex haben. Und dann einen Aids-Test machen. Alles, was danach kommt, ist Vertrauenssache. Sobald einer fremdgeht und keine Kondome benutzt, ist das Risiko wieder da.“

Sexualtherapeutin Ina Maria Philipps (51) weiß um den Konflikt der Frauen. „Lust und Vernunft stehen sich da gegenüber. Und beides lässt sich schwer miteinander vereinbaren. Doch angesichts der Risiken – es geht ja nicht nur um HIV, sondern auch um andere Krankheiten bis hin zu Gebärmutterhalskrebs – kann ich den Frauen nur raten, an sich selbst zu denken. An ihre eigene Sicherheit. An ihren Schutz. Wenn der Partner kein Kondom benutzen will, müssen sie sich stur stellen. Das ist der einzige Weg.“

Aids: von der Entdeckung des Virus bis heute

Seit Anfang der 80er Jahre hat sich Aids immer mehr ausgebreitet. Trotz diverser Aufklärungskampagnen steigt die Zahl der HIV-Infizierten auch in Deutschland weiter an.

1981 wird Aids erstmals in Amerika diagnostiziert. In den folgenden Jahren breitet sich die Krankheit in den westlichen Industrie-Nationen immer mehr aus, vor allem Homosexuelle und Drogenabhängige sind betroffen.

1983 isoliert der Franzose Luc Montagnier ein bis dahin unbekanntes Virus aus dem Lymphknoten eines Erkrankten. Ein Jahr später wird dieses Virus als Auslöser der Aids- Erkrankung bestätigt und HIV genannt.

1984 entwickelt der Amerikaner Robert Gallo den ersten Aids-Test.

Mitte der 80er hängen in Deutschland die ersten Aufklärungs-Plakate mit dem Slogan „Aids geht jeden an!“

1985 stirbt der US-Schauspieler Rock Hudson („Giganten“) an Aids.

1990 sind rund 38 000 Deutsche offiziell mit HIV infiziert.

1993 startet bundesweit die heute noch bekannte „Mach's mit“-Kampagne.

2004 leben in Deutschland etwa 43 000 HIV-Infizierte. Die Dunkelziffer wird auf rund 100 000 geschätzt.

Ende 2012 lebten in Deutschland nach einer Schätzung des Robert Koch-Instituts 78.000 Menschen mit einer HIV-Infektion.