Seltene Genmutation macht Menschen intelligenter, aber auch blind

Deutsche Neurobiolog:innen konnten nachweisen, wie eine Genmutation ihren Trägern sowohl Vor- als auch Nachteile bringt. Zum einen macht sie Menschen intelligenter, zum anderen lässt sie sie erblinden. Alle interessanten Details!

Genmutation
Genmutation Foto: iStock/peterschreiber.media

"Es ist sehr selten, dass eine Mutation zu einer Verbesserung statt zu einem Verlust an Funktionen führt", kommentiert Neurobiologe Prof. Tobias Langenhan aus Leipzig die Besonderheit der aktuellen Studienergebnisse. Gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Manfred Heckmann aus Würzburg hatte Langenhan erforscht, wie eine bestimmte Genmutation ihre Träger zwar erblinden lässt, aber zeitgleich intelligenter macht.

Genmutation verbessert Kommunikation zwischen den Nervenzellen

Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen war eine andere wissenschaftliche Publikation. Darin hatten Forschende über Patient:innen berichtet, die aufgrund einer Genmutation erblindet sind, aber auch überdurchschnittlich intelligent waren. In verschiedenen Tests hatten die Proband:innen mit Blick auf ihre verbale Intelligenz und ihr Arbeitsgedächtnis auffallend gut abschnitten.

Bei den Betroffenen lag die sogenannte CORD7-Mutation vor, bei der eine Aminosäure in einem Protein ausgetauscht ist. Dieses Protein ist sowohl in der Netzhaut als auch im Gehirn aktiv.

Die Besonderheit: In der Netzhaut sorgt die Genmutation für einen Niedergang der Sehsinneszellen, was zur Erblindung führt, und im Gehirn für eine verbesserte Kommunikation zwischen den Nervenzellen, was die Betroffenen schlauer macht.

Genmutation mithilfe von Fruchtfliegen nachgewiesen

Seniorautor Tobias Langenhan und sein Team machten sich daran, die Wirkweise der CORD7-Mutation genauer zu untersuchen. "Natürlich kann man die Messungen an den Synapsen nicht in den Hirnen der Patienten vornehmen. Man muss dafür auf Tiermodelle zurückgreifen", erklärte der Wissenschaftler.

Die Neurobiologen nutzten Fruchtfliegen, um die Wirkweise der Genmutation zu analysieren. Das von der CORD7-Mutation betroffenen RIIM-Gen kommt in Fruchtfliegen vor. Die Forschenden fügten das entsprechende Gen also in die Tier-DNA ein und nahmen anschließend elektrophysiologische Messungen der Synapsenaktivität vor.

Das Ergebnis war fiel eindeutig aus: "Wir konnten tatsächlich beobachten, dass die Tiere mit der Mutation eine gesteigerte Informationsübertragung an den Synapsen zeigten."

Fruchtfliege - Foto: iStock/nechaev-kon
Von Fruchtfliegen und Menschen

Nicht nur das von der CORD7-Mutation betroffene RIIM-Gen kommt Fruchtfliegen vor. Grundsätzlich weisen die kleinen Tiere eine extrem hohe genetische Ähnlichkeit mit uns Menschen auf. "Man schätzt, dass 75 Prozent der krankheitsbetroffenen Gene des Menschen auch in der Fruchtfliege zu finden sind", so Dr. Langenhan.

Mehr Neurotransmitter führen zu höherer Intelligenz

Synapsen fungieren im Gehirn als Kontaktstellen, über die Nervenzellen miteinander kommunizieren. Durch Senden und Empfangen entsteht eine Reizübertragung zwischen Nerven-, Sinnes- und/oder Muskelzellen. Im Falle der CORD7-Mutation rücken die aktiven Zonen auf dem sendenden Teil der Synapse enger zusammen. Dadurch kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung von Neurotransmittern. "Dies verursacht eine schnellere, effizientere Synapsenreaktion und erhöht die Menge des für die Freisetzung zur Verfügung stehenden Botenstoffpools", so die Neurobiologen.

Die schnellere, effizientere Synapsenreaktion scheint die Basis des verbesserten Denkvermögens der Betroffenen zu sein. "Dieser erstaunliche Effekt auf die Fliegensynapsen findet sich wahrscheinlich so oder ähnlich auch bei den Patienten und könnte die gesteigerten kognitiven Leistungen, aber auch ihre Erblindung erklären", erklärt Dr. Langenhan.

Ihre Erkenntnisse zur Genmutation, die zeitgleich intelligenter und blind macht, haben die Wissenschaftler in der renommierten Fachzeitschrift "Brain" veröffentlicht.

Quellen:

Seltene Entdeckung: Wie eine Genmutation für eine höhere Intelligenz sorgt, in: uni-leipzig.de

The human cognition-enhancing CORD7 mutation increases active zone number and synaptic release, in: academic.oup.com