Schwingen lernen: So balancieren Sie Stimmungsschwankungen aus
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- Das sagt der Experte
Wann werden Stimmungsschwankungen als krankhafte psychische Störung eingeordnet? Wie können wir unsere innere Balance stärken, damit uns die Tief- und Hochphasen des Lebens nicht auf die Gesundheit schlagen? Das und mehr verrät uns Diplom-Psychologin Cora Besser-Siegmund im Experteninterview.
Stimmungsschwankungen als Charaktereigenschaft oder psychische Störung: Wie erkenne ich, ob ich krank bin?

Sprechen wir von Stimmungsschwankungen als psychische Erkrankung, ist damit die sogenannte zyklothyme Störung gemeint. Ihre stärkste Ausprägung ist die manisch-depressive Erkrankung. Typisch für diese Erkrankung ist die lange Dauer der Hoch- bzw. Tiefphasen des Patienten. Eine durch das charakterliche Temperament bedingte Stimmungsschwankung in die eine oder andere Richtung dauert in der Regel höchstens ein bis zwei Tage, bei einem an einer zyklothymen Störung Erkrankten dauert sie mindestens eine Woche. Auch kann der Betroffene weder durch sich selbst noch durch andere aus seiner Phase befreit werden – in der Hochphase ist er nicht zu bremsen, in der Tiefphase hilft nichts, seine Stimmung wieder zu heben.
Wie funktionieren Stimmungsschwankungen bei gesunden Menschen?
Ein gesunder Mensch besitzt die sogenannte »Schwingungsfähigkeit«. Er reagiert angemessen auf Dinge von außen – auch mit großer Freude oder tiefer Traurigkeit –, die gesunde Balance schwingt sich bei ihm dann aber relativ schnell von allein wieder ein. Es gibt z. B. sehr temperamentvolle Menschen, die einen Film sehen und dabei eine Packung Taschentücher vollheulen. Anschließend treffen sie sich mit Freunden und freuen sich über einen fröhlichen Abend. Bei einem kranken Menschen verselbstständigen sich die Stimmungen, ohne äußere Einflüsse. Es findet keine Schwingung mehr statt.
Sind bestimmte Menschen besonders anfällig für die Erkrankung?
Man kann sagen, dass es häufig Menschen trifft, die perfektionistisch veranlagt sind. Sie sind sehr fantasievoll, können sich viele Dinge vorstellen und sind hochmotiviert, ihre Entwürfe zu leben. Wenn es dann aber zu Abweichungen kommt, wenn unvorhergesehene Dinge eintreten, wirft sie das meist unverhältnismäßig aus der Bahn, sie empfinden Ärger, hadern mit der Situation und der Welt, ergehen sich in Selbstvorwürfen. Sie halten rigide an einer perfekten Welt fest und räumen auch den eigenen Fehlern keine Toleranz ein. Eine Haltung zum Leben, die Wendungen auch eine Chance einräumt, Überraschungen positiv bewertet, im Unglück auch mal ein Glück sieht, ist weniger anfällig für krankhafte Stimmungsschwankungen, da hier mit äußeren Umständen mitgeschwungen wird.
Sind Frauen häufiger betroffen von krankhaften Stimmungsschwankungen?
Nein, die Häufigkeit der Erkrankungen ist zwischen den Geschlechtern gleich verteilt. Das Problem ist allerdings, dass gerade bei Männern das Umfeld die manische Phase, also die Hochphase, oft weniger besorgt wahrnimmt. Sogar ganz im Gegenteil: Männer werden oft dafür bewundert, wenn sie in einer Hochphase vermehrt falsche Investitionen tätigen, immense Geldausgaben veranlassen, mehrere Firmen gleichzeitig gründen, die dann bankrott gehen. Eher selten kommt der Gedanke auf, dass sie sich komisch verhalten, sich alles machbar vorstellen ohne kritisch zu hinterfragen. Hier wird fatalerweise ein Krankheitsbild bewundert.
Wird die depressive Phase dafür umso intensiver wahrgenommen?
Unsere Gesellschaft reagiert sehr schnell und sensibel auf eine depressive Phase. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und depressive Menschen sind nicht zu gebrauchen. Sie sitzen in der Ecke und machen nichts mehr, das fällt auf – nicht nur dem Umfeld, sondern auch dem Depressiven selbst, der sich als nutzlos empfindet. Das kann die Talfahrt der Seele weiter verschlimmern. Im Umkehrschluss profilieren sich Menschen in einer manischen Phase über ihr eigentlich krankhaftes fehlendes Körpergefühl: Sie brüsten sich damit, weniger Schlaf als die anderen zu benötigen, sind höhnisch gegenüber Menschen, die sagen, dass sie nicht mehr können und eine kurze Pause brauchen. Die anderen sind dann die Schwächlinge, sie selbst fühlen sich herkulesgleich und werden häufig auch so wahrgenommen.
Gibt es organische Ursachen für Stimmungsschwankungen?
Ja, der Klassiker sind die Wechseljahre. Dabei kommt es zu starken hormonellen Veränderungen. Es wird auch eine genetische – also erbliche – Veranlagung vermutet. Häufig stehen auch die normalen Stimmungsschwankungen in einem sehr engen Verhältnis zum Organismus. Ein Beispiel: Hunger verschlechtert rapide die Laune. Das ist dann kein Krankheitsbild, sondern eine normale körperliche Reaktion: Meinem Gehirn fehlt Glukose, es kann nicht mehr richtig arbeiten und suggeriert nun, dass ich mich sehr schnell um die Notlage kümmern soll. Da ist für gute Laune kein Platz mehr.
Sind dicke Menschen fröhlicher gestimmt als dünne Menschen?
Dicke Menschen sind nicht unbedingt sehr viel fröhlicher als dünne Menschen, nur macht ihnen Stress weniger aus. Sie sind dadurch im Schnitt etwas besser gelaunt.
Woran liegt das?
Das liegt an der Funktionsweise des individuellen Stresssystems. Meist ist die Stressreaktion bei übergewichtigen Menschen sehr vermindert, weil sich ihr Körper bereits an dauerhaften, großen Stress gewöhnt hat und nur noch sehr vermindert das Stresshormon Kortisol produziert. Parallel dazu sorgt das Gehirn für einen erhöhten Glukosebedarf und „bestellt“ weitaus mehr Zucker als in stressfreien Zeiten. Den kann es aber gar nicht verarbeiten und so wird er im Fettgewebe des Körpers abgelagert – als Notreserve, weil der Körper nicht weiß, wie lange die Stressphase andauern wird. Betroffene leben dann meist mit einer enormen Leibesfülle, gleichzeitig verdirbt ihnen aber auch nichts so schnell die Laune.
Können Alkohol und Nikotin zu krankhaften Stimmungsschwankungen führen?
All diese Stoffe, dazu gehört auch Koffein, besetzen Rezeptoren im Gehirn, wo eigentlich körpereigene Hormone hingehören. Im Laufe des Konsums hat der Körper deren Produktion herabgesetzt. Die Stoffe verleihen in der Folge keinen Kick mehr, sondern werden konsumiert, um sich normal zu fühlen. Wird nun kein Nikotin, Alkohol oder Koffein mehr zugeführt, kommt es zum Entzug, weil der Körper eine gewisse Zeit benötigt, die Eigenproduktion der entsprechenden Hormone wieder hochzufahren. Es setzt der sogenannte Hangover ein, man fühlt sich sehr schlecht, die Stimmung ist im Keller. Dies ist aber keine unmittelbare Erkrankung an einer Stimmungsschwankung, sondern die Konsequenz des Entzugs.
Ab wann sollte man bei einer Stimmungsschwankung den Arzt aufsuchen?
Bei einer manisch-depressiven Erkrankung – wenn ich also über einen langen Zeitraum entweder himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt bin – sollte ein Facharzt aufgesucht werden, der Psychiater zum einen, der Psychotherapeut zum anderen. Der Psychiater kann Psychopharmaka verschreiben, die helfen, die Nervenbotenstoffe wieder in Ordnung zu bringen. Deren Einnahme sollte aber unbedingt mit einer Psychotherapie verbunden werden, denn es ist genauso wichtig, ein richtiges Verhalten einzuüben – das betrifft sowohl das Management der eigenen Gedanken als auch den Umgang mit sich selbst.
Kann ich auch selbst etwas gegen die Erkrankung tun?
Eine wichtige Rolle spielt ein regelmäßiger Biorhythmus: regelmäßig schlafen, sich ausgewogen und ausreichend ernähren, mindestens drei- bis viermal die Woche Sport, nach Anstrengungen ausreichend Pausen einbauen. Das unterstützt nicht nur die Wiederherstellung der »Schwingungsfähigkeit«, sondern ist auch ein gutes Mittel, um Stimmungsschwankungen allgemein vorzubeugen.
Im Interview: Cora Besser-Siegmund
Diplom-Psychologin, Business-Coach, Lehr-Coach; wingwave-Begründerin, Buchautorin (zuletzt erschienen: Schnelle Hilfe bei Angst und Stress).
Website: www.besser-siegmund.de
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