Schlafentzug: Ab wann wird es gefährlich?
Schlaflose Nächte haben zur Folge, dass man am nächsten Tag mit starker Müdigkeit und Konzentrationsproblemen zu kämpfen hat. Aber was passiert, wenn man 24, 36 oder 72 Stunden wach ist – welche Folgen kann ein Schlafentzug haben? Und ab wann wird es gefährlich?
Für das Abspielen des Videos nutzen wir den JW Player der Firma Longtail Ad Solutions, Inc.. Weitere Informationen zum JW Player findest Du in unserer Datenschutzerklärung.
Bevor wir das Video anzeigen, benötigen wir Deine Einwilligung. Die Einwilligung kannst Du jederzeit widerrufen, z.B. in unserem Datenschutzmanager.
Weitere Informationen dazu in unserer Datenschutzerklärung.
Ohne Luft, Wasser und Nahrung ist menschliches Leben unmöglich. So weit, so klar. Aber in dieser Liga der Grundelemente des Überlebens gibt es noch ein viertes, das genauso wichtig ist: Schlaf. Wer dauerhaft zu wenig schläft, hat ein höheres Risiko für Übergewicht, Herz-Kreislauferkrankungen, Depressionen und Diabetes. Was ist, wenn man gar nicht mehr schläft? Welche Folgen kann Schlafentzug haben?

Schlafentzug – die ersten Symptome
Die meisten Wissenschaftler:innen sind der Ansicht, dass wir Schlaf zur Regeneration des Körpers und zur "Formatierung" des Gehirns brauchen. Schlafen wir zu wenig oder überhaupt nicht, werden am Tag wahrgenommene Sinnesreize und Gefühle nicht verarbeitet und in den vorgesehenen Speicherregionen abgelegt. Schlafentzug ist daher nicht nur eine der größten Fehlerquellen, sondern auch einer der schlimmsten Feinde des Gehirns und des Organismus.
Es kommt erstmals zu Mikro-Schlaf-Zuständen, auch Sekundenschlaf genannt. In diesem Stadium dauert er in der Regel nur zwischen ein und drei Sekunden – später bis zu sechs Sekunden. Testpersonen bestreiten so gut wie immer, geschlafen zu haben, aber die Aufzeichnungen ihrer Hirnströme verraten die Schläfer: Für einen geringen Zeitraum überlagern Theta- und Deltawellen – die im Schlaf vorherrschenden Hirnströme – die Alpha- und Betawellen des Wachzustands. Das Gehirn erzwingt sozusagen eine kurze Erholungsphase, die sich ausschließlich durch die Messung der Gehirnwellen mit einem Elektroenzephalogramm (EEG) nachweisen lässt. Der Betroffene schläft mit offenen Augen.
Mikro-Schlaf ist ein erstes Zeichen, dass Körper und Gehirn vor dem Schlafentzug kapitulieren. Wer länger wach bleibt, bewegt sich auf eine Phase zu, in der Körper und Psyche extrem belastet werden.
Schlafentzug: Folgen setzen bereits früh ein
Schlafentzug beginnt ganz harmlos mit großer Müdigkeit. Typischerweise setzt sie zwischen drei und fünf Uhr morgens in der ersten schlaflosen Nacht ein. Der Grund dafür ist die Ausschüttung verschiedener Botenstoffe im Gehirn, die signalisieren, dass der Körper Schlaf benötigt. Ist diese Phase überwunden, beginnt der eigentliche Schlafentzug. Die Körperchemie verändert sich. Dies kann zu physiologischen und neurologischen Fehlfunktionen führen.
Ein Gefühl der Euphorie täuscht zunächst darüber hinweg. Denn das Gefühlszentrum wird stärker als gewöhnlich durchblutet. Der Erfolg des Wachbleibens wird dort als positiv verbucht, sodass Glückshormone ausgeschüttet werden. Doch diese Phase geht schnell vorüber, und die körperlichen Auswirkungen machen sich bemerkbar. Schon nach einem Tag sinkt die Körpertemperatur leicht ab, man fühlt sich unterkühlt. Der Herzschlag beschleunigt sich, das Immunsystem beginnt die Leistung herunterzufahren, indem es weniger weiße Blutkörperchen produziert.
Zudem wird die Amygdala, das Gefühlszentrum, stärker durchblutet als üblich. Daneben koppelt sich mit dem medialen Präfrontalkortex (mPFC) das rationale Kontrollzentrum ab. Dadurch werden negative Gefühle stärker empfunden und ausgelebt. Ungewöhnlich hohe Aggressivität und Reizbarkeit ist das Resultat.
Auch neurologische Konsequenzen werden jetzt spürbar: Das sogenannte Default Mode Network, ein Bereich, der für die Hirnaktivität ohne Außenreize zuständig ist, gerät aus dem Takt. Das bedeutet, dass sich Fehler in den Signalaufbau und -abbau einschleichen. Die Folge: Das Kurzzeitgedächtnis funktioniert nur noch mit etwa 60 Prozent Leistung.
Bei Anbruch der zweiten Nacht ohne Schlaf nehmen die physiologischen Effekte des Entzugs weiter zu. Reaktionszeit und Körperbeherrschung sinken auf ein Niveau, als habe man 0,85 Promille Alkohol im Blut; der Blutdruck steigt. Dadurch schwillt das Gesicht an und wirkt aufgedunsen. Nach zwei Tagen treten Muskeln und Gehirn in die Erschöpfungsphase ein. Bleibt man länger als 72 Stunden wach, verursacht der Schlafentzug Halluzinationen, Paranoia, depressive Verstimmungen und Angstzustände.
Ab wann ist Schlafentzug tödlich?
Schlaf belegt auf der Überlebensskala den dritten Platz: Ohne Sauerstoff bzw. Atemluft sterben wir nach durchschnittlich fünf Minuten. Bekommen wir kein Wasser, tritt nach spätestens vier bis fünf Tagen der Tod durch Austrocknung des Körpers ein. Ohne Nahrung können wir etwa 60 Tage durchstehen. Dann erst wird der Mangel an Nährstoffen so groß, dass überlebenswichtige Organe nicht mehr funktionieren. Schlafentzug kann für Menschen bereits nach 11 Tagen tödlich enden. Aber schon nach 96 Stunden können Langzeitfolgen wie dauerhafte Schlafstörungen und Persönlichkeitsveränderungen eintreten.
Schlafentzug bei Depression: Wachtherapie als Behandlungsmethode
Schlafentzug ist nicht immer schlecht für den Organismus – ganz im Gegenteil: Die sogenannte Wachtherapie wird zur Behandlung gegen schwere Depressionen eingesetzt. Schlafstörungen bei Depressionen ist ein häufig auftretendes Phänomen. Betroffene leiden nicht nur unter Einschlaf- und Durchschlafstörungen. Die Symptome wie ein nächtliches Gedankenkarussell, Ängste und eine hohe innere Anspannung können auch dazu führen, dass man die ganze Nacht wach liegt. Zugleich verschärfen Schlafprobleme die Depression.
Die Wachtherapie kann dazu beitragen, dass sich sowohl die depressive Verstimmung als auch schwere Schlafprobleme bessern. Unter ärztlicher Überwachung bleiben die Patient:innen bis zu 36 Stunden wach. Die euphorische Stimmung, die durch den Schlafentzug entsteht, lässt die depressive Verstimmung verschwinden.
Zwar hält der Effekt nur kurzzeitig an – nach einer durchgeschlafenen Nacht ist davon nichts mehr zu spüren. Allerdings machen Patient:innen die positive Erfahrung, dass sich ihre Symptome bessern können. Das steigert die Motivation für die klassischen Behandlungsansätze der Depression (Medikamente und Therapie) und nährt die Hoffnung, die Erkrankung überwinden zu können. Statt auf einen kompletten Schlafentzug setzen jedoch viele Einrichtungen und Therapeut:innen auf eine Schlafrestriktion gegen Depressionen – die erlaubte Schlafdauer wird reduziert, damit ungesunde Schlafmuster durchbrochen werden.