Pica-Syndrom: Wenn Menschen wahre Allesfresser werden

Das Pica-Syndrom ist eine zwanghafte Essstörung, die schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben kann. Warum tritt sie auf und wie lässt sie sich behandeln?

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Insekten sind noch eine der harmloseren "Speisen", die Betroffene essen Foto: iStock/doble-d

Bei vielen Essstörungen haben Betroffene Probleme damit, die für den Körper gesunde Menge an Nahrung zu sich zu nehmen. Beim Pica-Syndrom hingegen werden Dinge verzehrt, die für gewöhnlich nicht auf dem Speiseplan des Menschen stehen oder gar giftig und gefährlich sein können.

Wie macht sich das Pica-Syndrom bemerkbar?

Der Name des Syndroms leitet sich vom lateinischen Wort “pica” für Elster ab. Ähnlich wie der Vogel, der zum Nestbau verschiedene Gegenstände verwendet und sie im Schnabel transportiert, essen vom Pica-Syndrom betroffene Menschen bestimmte Dinge, die in der Regel nicht unbedingt zum Verzehr geeignet sind.

Oft handelt es sich dabei um Sonderbares oder sogar Unappetitliches. Gegenstände, bestimmte Substanzen oder sogar ungenießbare Abfälle werden dann zwanghaft verschluckt. Dieses Phänomen ist auch unter den Bezeichnungen Pikazismus und Allotriophagie bekannt.

Als besonders milde Form des Pica-Syndroms werden auch Schwangerschaftsgelüste eingestuft. Hierzu zählt beispielsweise der Heißhunger auf besonders scharfe Lebensmittel oder Nahrungsmittel, die man sonst nicht anrühren würde. Um eine Krankheit handelt es sich hierbei aber nicht.

Was essen Betroffene?

Wer am Pica-Syndrom leidet, verzehrt Ungewöhnliches und zum Teil sogar Ungenießbares. Dabei ist von Fall zu Fall unterschiedlich, was genau gegessen wird. Unter anderem nehmen Betroffene häufig Folgendes zu sich:

  • Erde
  • Steine
  • Gras
  • Haare
  • Seife
  • Papier
  • Schaumstoff
  • Mehl
  • Insekten
  • Kot
  • Zement

Während Kinder häufiger ungenießbare Objekte in den Mund stecken oder sogar hinunterschlucken, ist dies bei Jugendlichen und Erwachsenen ein Alarmsignal. Besteht das Problem über einen längeren Zeitraum (mindestens einen Monat), ist es hilfreich, ärztlichen Rat einzuholen.

Der Arzt bezieht in seine Untersuchung mit ein, was vorrangig gegessen wird und ob es soziokulturelle Gründe dafür gibt – denn einige Substanzen wie Gräser und bestimmte Erdsorten, aber auch Urin werden zum Beispiel von manchen Menschen zur Selbstheilung eingesetzt.

Mögliche Ursachen: Wie entsteht das Pica-Syndrom?

Grundsätzlich kann jeder vom Pica-Syndrom betroffen sein. Experten gehen davon aus, dass als Ursachen biologische, aber auch psychische Prozesse eine Rolle spielen. Häufiger werden die genannten Symptome bei Menschen mit Schizophrenie oder geistiger Behinderung festgestellt.

Auch Hirnschäden, Zwangsstörungen und Depressionen können das Pica-Syndrom auslösen. Wie stark das Syndrom ausgeprägt ist, unterscheidet sich bei den einzelnen Betroffenen. Die typischen Anzeichen können sich auch verstärken oder wieder zurückgehen.

Zudem können ernährungswissenschaftliche Faktoren als Ursache entscheidend sein. Verschiedene Untersuchungen ergaben zum Beispiel, dass die Essstörung vermehrt in Regionen auftritt, in denen beispielsweise Eisen-, Kalzium- oder Zinkmangel herrscht. Um den Nährstoffmangel auszugleichen, könnte der Körper instinktiv nach essbaren Alternativen suchen.

Risiken des Pica-Syndroms

Der Verzehr von ungiftigen und leicht verdaulichen Substanzen oder Objekten ist für gewöhnlich nicht mit gesundheitlichen Risiken verbunden, sollte aber immerhin in Hinblick auf ein bestehendes Pica-Syndrom beobachtet werden. Es kann hier je nach verzehrtem Gegenstand zu Zahnschmelzproblemen und Geschwüren im Mund kommen (zum Beispiel, wenn Holz oder Steine gegessen werden).

Problematisch ist dagegen der Konsum von gefährlichen Nicht-Lebensmitteln. Spitze Gegenstände können die Verdauungsorgane schwer schädigen. Der Verzehr von Kot oder Urin, wie es auch bei bestimmten sexuellen Praktiken vorkommt, ist gefährlich. Denn dadurch können Keime in den Körper gelangen, die schwer zu bekämpfen sind und den Körper belasten.

Werden unverdauliche Objekte geschluckt, ist unter Umständen auch eine Operation nötig. Bei größeren und festen Gegenständen kann die betroffene Person unter Umständen ersticken oder einen sogenannten Schocktod erleiden. Dabei kommt es zu einem plötzlichen Herzstillstand und Kreislaufversagen.

Erde und Pflanzen können mit Giften, aber auch Parasiten belastet sein und somit auch zu verschiedenen unspezifischen Beschwerden führen, die ein Arzt zunächst nicht unbedingt dem Pica-Syndrom zuordnen kann. Werden Haare oder andere langfaserige Objekte verschluckt, kann es im schlimmsten Fall zu einem gefährlichen Darmverschluss kommen. Ebenso kann in seltenen Fällen das sogenannte “Rapunzelsyndrom” auftreten, bei dem das Bauchfell durch die im Magen befindlichen Haare entzündet ist.

Wie wird das Syndrom behandelt?

Wie bereits erwähnt, äußert sich das Pica-Syndrom bei jedem Betroffenen anders und muss daher auch so behandelt werden. Zunächst müssen die Ursachen geklärt und eine eventuelle Grunderkrankung festgestellt werden. Anschließend kann mit einer Psychotherapie (Verhaltenstherapie oder auch tiefenpsychologische Therapie) begonnen werden, um das Essverhalten zu normalisieren und mögliche weitere psychische Probleme anzugehen.

Hierzu gehört auch, den Zugriff zu den jeweiligen Objekten oder Substanzen möglichst einzuschränken. Beispielsweise kann Seife aus dem Badezimmer entfernt werden, wenn diese immer wieder verzehrt wird. In bestimmten Fällen kann auch eine medikamentöse Behandlung sinnvoll sein. Außerdem sollte geklärt werden, ob bestimmte Mangelerscheinungen vorliegen – eventuell lässt sich das Pica-Syndrom so auch durch die Gabe von bestimmten Mineralstoffen oder einer speziellen Diät lindern.

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