Parasiten – wie gefährlich sind sie?

Unter dem Mikroskop lassen sich Leishmanien erkennen
Leishmanien sind Parasiten, die die Infektionskrankheit Leishmaniose auslösen und nur unter dem Mikroskop zu erkennen sind Foto: Fotolia
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Was sind Leishmanien oder Fliegenschimmel? Wieso können manche Parasiten die Kontrolle über uns erlangen? Ist ein Schutz vor ihnen überhaupt möglich? Wir haben alle spannenden Fakten für Sie zusammengefasst.

Als Broughton Coburn den kleinen Teeladen betritt, dämmert ihm zum ersten Mal, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Und zwar ganz und gar nicht in Ordnung. "Der Junge hinter dem Tresen starrte mich an, als sei ich einem Gruselkabinett entstiegen", sagt der Reiseschriftsteller. "Als ich dann den Mund aufmachte, um meinen Tee zu bestellen, drehte er sich um und rannte schreiend aus der Tür." Ratlos betrachtet Coburn an diesem Abend sein Spiegelbild im Badezimmer – und plötzlich sieht er, was den Jungen so entsetzt hat: Ganz langsam kriecht ein braunes, wurmartiges Wesen aus seinem Nasenloch. Es windet sich hierhin und dorthin, als wittere es die Luft – und zieht seinen dicken Leib eilig in die Nase zurück, als Coburn panisch nach ihm greift.

Parasiten überwinden alle Grenzen der Natur

Zwei Tage später entfernt ein Arzt das Monstrum aus Broughton Coburns Nase. Es ist ein Blutegel. Drei Wochen zuvor – noch im Jungstadium – hatte er den Amerikaner angefallen, als dieser auf einer Urlaubsreise aus einem Bergfluss in Nepal trank. Inzwischen hatte der Egel das Dreifache seines Eigengewichts an Blut gesaugt – und in rasendem Tempo die Länge eines menschlichen Unterarms erreicht. Das Exemplar aus Coburns Nase misst mehr als 25 Zentimeter. Doch ohne den Jungen aus dem Teeladen hätte Coburn ihn nicht bemerkt... Willkommen in der Welt der Parasiten – den einzigen Lebewesen der Welt, die alle Grenzen der Natur überwinden. Nach Schätzungen stellen sie 75 Prozent aller Lebensformen – Experten vermuten allerdings, dass die Dunkelziffer weit höher liegt, denn bis heute ist nur ein Bruchteil der parasitären Arten überhaupt bekannt. Eines aber steht außer Frage: Es gibt kein Wesen auf diesem Planeten, das nicht von einem Parasiten befallen werden kann. Eine einzige Maus beherbergt bis zu 47 verschiedene Parasiten-Arten und sogar Viren – die zähesten Lebensformen überhaupt – zählen zu ihrer Zielgruppe. Für Menschen gefährlich sind rund 300 Arten – Hochrechnungen zufolge verschwinden allein neun Millionen Liter Blut jeden Tag in den Körpern von Hakenwürmern. Das ist so viel, wie in den Adern von eineinhalb Millionen Menschen fließt ...

Es gibt kein Abwehrsystem der Welt, das Parasiten nicht durchdringen können ...

"Parasiten gehören zu den spezialisiertesten Wesen der Erde", sagt Daniel Brooks, Zoologe an der Universität von Toronto. "Weil sie sich immer von einem Wirt ernähren, müssen sie in der Lage sein, dessen Abwehr nicht nur zu durchdringen, sondern auch dauerhaft zu überlisten, um unentdeckt zu bleiben." Mit anderen Worten: Egal, wie gut ein Immunsystem ist – die Parasiten sind besser. Denn sie finden jede Schwachstelle. Ein Beispiel: die einzelligen Leishmanien. Um in ihren Hauptwirt, bevorzugt Schafe, Hunde und Menschen, zu gelangen, befallen sie zunächst verschiedene Mückenarten, deren Darm sie verstopfen. Die Insekten können kein Blut mehr trinken, hungern – und erhöhen instinktiv ihre Stechrate um fast 300 Prozent. Mit jedem Stich gelangen die Leishmanien in die Blutbahn ihres neuen Wirtes – und beginnen dort mit einer Strategie, die Forscher als "Trojanisches Pferd" bezeichnen: Ohne jede Gegenwehr lassen sich die Einzeller von den heraneilenden Abwehrzellen des Immunsystems fressen. In deren Inneren aber "studieren" sie die Bauweise der Zelle, vermehren sich – und bringen sie schließlich zum Explodieren. Mit ihrem neuen Wissen ausgerüstet, können die Leishmanien unerkannt in weitere Fresszellen eindringen, sie zerstören – und sich im ganzen Körper ausbreiten. Ohne, dass vom Immunsystem eine einzige weitere Gegenattacke kommt. Ein Erfolgskonzept, mit dem die Einzeller es schaffen, jedes Jahr 1,5 Millionen Menschen zu infizieren.

Parasiten ändern ständig ihr Aussehen

Eine Variante dieser Strategie nutzen die Trypanosomen. Die Auslöser der tödlichen Schlafkrankheit gelangen über den Stich von Tsetse-Fliegen ins Blut ihres Wirtes. Ein einziger Erreger genügt, um dort ein wahres Chaos anzurichten: Die Einzeller sind von speziellen Glykoproteinen umhüllt – den sogenannten "variable surface glycoproteins" (VSGs). Geheimwaffen, die ähnlich funktionieren wie die wechselnden Nummernschilder an Agentenautos: Sie ändern ständig ihr Aussehen. Heißt: Sobald die Fresszellen des Immunsystems einen passenden Vernichtungscode entwickelt haben, ist er nicht mehr gültig, weil der Feind im neuen Gewand daherkommt. Im Trypanosomen-Genom sind über 1000 verschiedene VSG-Gene codiert, die abwechselnd auftreten. Und sollte das allein nicht ausreichen, haben die Einzeller noch einen weiteren Trick auf Lager: Wissenschaftler der TU Darmstadt und des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation beobachteten, dass Trypanosomen sich mit extrem hoher Geschwindigkeit durch den Blutkreislauf bewegen. Besonders hartnäckige Fresszellen lenken sie dabei auf ihren hinteren Zellpol, saugen sie an – und machen sie kampfunfähig. Erreichen die Einzeller erst das Gehirn, blockieren sie dort bestimmte Rezeptoren. Der Wirt fällt in einen Dämmerschlaf; alle Abwehrreaktionen und Stoffwechselvorgänge werden heruntergefahren. Die Trypanosomen haben endgültig freie Fahrt...

Infiltrationsmethoden, mit denen sich allerdings bei Weitem nicht alle Parasiten zufrieden geben: Einige Arten unterwandern nicht nur die Körpersysteme ihrer Wirte – sondern übernehmen auch die Kontrolle über sein Handeln. Oder führen gleich gezielt seinen Tod durch Dritte herbei. "Fremdsteuerung" nennt sich das – ein Phänomen, das nur Parasiten auslösen können. Ein Meister dieses Fachs: der Saugwurm Leucochloridium paradoxum. Seine Larven durchdringen die Haut von Schnecken, wandern in den Verdauungstrakt und vermehren sich dort hundertfach. Als langes schlauchartiges Gebilde sammeln sie sich quer durch den Körper des Wirtes, erstrecken sich bis zu den Fühlern, die sich riesenhaft vergrößern und zu pulsieren beginnen. Unfähig, diese Bewegungen zu stoppen, wird die Schnecke sofort von Vögeln entdeckt und gefressen. Damit hat Leucochloridium sein Ziel erreicht – denn erst im Vogeldarm kann er seine nächste Entwicklungsstufe erreichen.

Wenn das Gehirn von Parasiten gesteuert wird...

Und es geht noch hinterhältiger: Der Fliegenschimmel ist eine parasitäre Pilzart, die Stubenfliegen befällt. Die Sporen des Pilzes beginnen zu keimen, sobald sie auf einer Fliege landen – und wachsen durch ihr Exoskelett. Sobald das Körperinnere erreicht ist, dringt der Parasit in ein bestimmtes Hirnareal des Wirtes ein und zwingt ihn über chemische Signale, auf dem höchsten Punkt seiner Umgebung zu landen. Dort wird die Fliege bei lebendigem Leib verdaut, neue Sporen entstehen – und die haben aufgrund des erhöhten Standortes beste Bedingungen, eigene Wirte zu finden.

Insgesamt unterscheiden Wissenschaftler 17 verschiedene Formen des Parasitismus, abhängig von der Größe, Lebensweise und Anpassung der Parasiten. Gemeinsam ist allen Formen nur eines: Jede Regung dieser Wesen ist entscheidend für ihr Überleben; nicht ein Funken Energie wird vergeudet. Im Gegenteil: Parasiten sind die Lebensform, bei der es im Laufe der Evolution zu den meisten Rückbildungen kam. Alles Überflüssige wurde entfernt – Läuse verloren ihre Flügel, die Weißbeerige Mistel sogar ihre Wurzeln, und die meisten Arten verfügen nicht einmal über einen Darm. Effizienter arbeitet keine andere Lebensform der Erde. Lange rätselten Forscher etwa, warum Bandwürmer so leicht reißen und die einzelnen Segmente vom Wirt einfach ausgeschieden werden können. Heute wissen sie: Mit jedem Glied werden Eier freigesetzt, die von neuen Wirten beim Herumstreifen aufgenommen werden.

Warum ausgerechnet Parasiten den Sex erfunden haben...

Als Faustregel gilt: Das Ziel eines Parasiten ist es immer, von seinem Hauptwirt zu leben oder sich über ihn fortzupflanzen. Eigentlich sollte der Schaden dabei auf keinen Fall so groß ausfallen, dass der Wirt stirbt. Tatsächlich allerdings sind Parasiten verantwortlich für die meisten tödlich verlaufenden Krankheiten dieser Welt. Allein auf das Konto des Malaria-Erregers Plasmodium falciparum gehen jedes Jahr drei Millionen Tote. Warum? "Weil Parasiten auf Überleben programmiert sind", erklärt der Zoologe Daniel Brooks. "Sobald sie einen Wirt gefunden haben, läuft ein automatisches Programm ab, das sie nicht mehr steuern können." Sie nisten sich auch dann ein, wenn der Körper eines Wirtes bereits so geschwächt ist, dass er keinen "Mitesser" mehr verkraften kann. Die Folge: der vollständige Zusammenbruch aller Organe.

"Parasiten beherrschen seit 360 Millionen Jahren diese Welt", sagt Daniel Brooks. "Seitdem haben sich zwar die Abwehrmechanismen der potenziellen Wirte ständig verbessert – doch eine langfristig wirksame Gegenstrategie konnte bisher nicht entwickelt werden." Dafür eine, für die wir zumindest sehr dankbar sind: Einige Wissenschaftler gehen nämlich mittlerweile davon aus, dass die Entstehung der geschlechtlichen Vermehrung vor allem eine Antwort auf die Übermacht der Parasiten war. Denn rein von der biologischen Kosten-Nutzen-Warte aus gesehen, ist die simple Vermehrung durch Zellteilung immer noch am effektivsten – sie bringt viel schneller viel mehr Nachkommen. Hat allerdings den Nachteil, dass jeder Fehler im Erbgut kopiert und weitergegeben wird – und somit auch jede Schwäche, die bereits von Parasiten aufgedeckt und ausgenutzt wurde.

Wie die Winzlinge das Schicksal der Erde lenken...

"Im Grunde sind Parasiten die Sicherheitsmannschaft der Natur", sagt Daniel Brooks. "Sie testen jedes Lebewesen auf Fehler – und nutzen diese aus." Biologen nennen das Selektionsdruck, den permanenten Kampf darum, besser sein zu müssen als der Feind. Ein Kampf, der letztlich dafür sorgt, dass Lebewesen immer exakt an ihre Umwelt angepasst sind.

Parasiten also als die heimlichen Heilbringer der Welt? Nun – zumindest der britische Wissenschaftler Alan Brown von der Universität Nottingham sieht das so: Der Mann ist seit Jahren mit Hakenwürmern infiziert. Und alles andere als unglücklich darüber. Von ärztlicher Behandlung will er schon gar nichts wissen. Er weiß, dass die Parasiten sich in seinen Darmwänden festbeißen, das Fleisch anritzen und sein Blut saugen. "Sie lösen Blutarmut aus", sagt er. "Aber mit der richtigen Ernährung kann ich dem wunderbar entgegenwirken. Ich würde meinen Würmern nie schaden!" Auf einer Reise hatte sich Brown angesteckt – seitdem leidet er nicht mehr an Heuschnupfen. "Damals konnte ich mich im Frühjahr und Sommer kaum draußen aufhalten", erklärt er. "Heute kann ich sogar Wiesenblumen pflücken."

Eine verblüffende Nebenwirkung, die die Hakenwürmer durch eine bestimmte Manipulation des Immunsystems hervorgerufen haben. Um die Abwehr zu durchdringen, setzen sie vermutlich chemische Stoffe ein, die dafür sorgen, dass auch andere Erreger nicht mehr angegriffen werden – in Browns Fall Heuschnupfen-Allergene. Der Forscher untersucht jetzt im Selbstversuch, wie genau die Würmer vorgehen. Sein Ziel: Die Entwicklung von Asthma- und Allergiemedikamenten. Immerhin: "Diese Organismen sind ausgerüstet mit einer Apotheke voller Wirkstoffe", sagt Parasiten-Experte Carl Zimmer. Und bis jetzt haben Forscher nicht einmal einen Bruchteil davon entdeckt...