Debatte um Impfnebenwirkungen: Charité distanziert sich

Über eine halbe Million Fälle schwerer Nebenwirkungen zählt Professor Harald Matthes von der Berliner Charité. Die Charité selbst distanziert sich jetzt von seinen Aussagen.

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Das RKI verzeichnet derzeit 178,8 Millionen verabreichte Impfstoffdosen in Deutschland (Stand 5. Mai). Doch während das Paul-Ehrlich-Institut in seinem Sicherheitsbericht nur 0,2 Fälle schwerwiegender Reaktionen pro 1.000 Impfdosen ausweist, kommt ein Berliner Professor in einer Beobachtungsstudie zu einem 40 mal höherem Ergebnis. Demnach leiden 8 von 1.000 Geimpften an schweren Nebenwirkungen – das sind rund eine halbe Million Menschen in Deutschland.

Bereits im März hatte eine deutsche Krankenkasse den Zahlen zu Nebenwirkungen bei Corona-Impfungen des PEI widersprochen und damit eine scharfe Debatte ausgelöst.

Studie zu Nebenwirkungen: 40.000 Teilnehmer:innen

Professor Harald Matthes von der Berliner Charité leitet die Studie "Sicherheitsprofil von Covid-19-Impfstoffen" (kurz "ImpfSurv"), die seit einem Jahr läuft. Dafür werden rund 40.000 geimpfte Personen ab 18 Jahren in regelmäßigen Abständen befragt.

Das Ergebnis dieser Befragungen ist besorgniserregend aber nicht überraschend, wie Prof. Matthes im Gespräch mit dem "MDR" betont. 0,8 Prozent Betroffene mit schweren Impfnebenwirkungen entspreche dem, was man "aus anderen Ländern, wie Schweden, Israel oder Kanada kennt", so der Mediziner.

Was sind schwere Nebenwirkungen?

Von schweren Nebenwirkungen spricht man, wenn infolge einer Impfung Symptome auftreten, die über Wochen und Monate anhalten und eine medizinische Behandlung erfordern. Bei den COVID-19-Impfungen gehören dazu:

  • Muskel- und Gelenkschmerzen

  • Herzmuskelentzündungen

  • Überreaktionen des Immunsystems

  • Neurologische Störungen

"Die meisten, auch schwere Nebenwirkungen, klingen nach drei bis sechs Monaten ab, 80 Prozent heilen aus. Aber es gibt auch leider welche, die deutlich länger anhalten", erklärt Professor Matthes.

Schwere Impf-Nebenwirkungen: Forderung nach Hilfe für Betroffene

Dass in Deutschland wesentlich mehr Menschen als bisher gedacht unter schwerwiegenden Symptomen leiden, müsse Konsequenzen haben, so Matthes. Es brauche zweierlei: einen offenen Diskurs über das Problem und konkrete Hilfe für Betroffene.

Spezialambulanzen für Impfkomplikationen

"Angesichts von etwa einer halben Million Fälle mit schweren Nebenwirkungen nach Covid-Impfungen in Deutschland, müssen wir Ärzte tätig werden", betont Prof. Matthes. "Wir müssen zu Therapieangeboten kommen, auf Kongressen und in der Öffentlichkeit offen darüber diskutieren, ohne dass wir als Impfgegner gelten."

Krankenkassen sollen Kosten übernehmen

Eine mögliche Behandlung schwerer Impfkomplikationen kann Blutwäsche sein. Denn: "Häufig ist das Vorhandensein zu vieler Autoantikörper im Blutplasma der Betroffenen die Ursache des Problems", erklärt Prof. Matthes. Das Verfahren sei derzeit allerdings noch zu unspezifisch: "Wir wollen nur falsch gebildete Autoantikörper reduzieren – also solche, die sich gegen SARS-CoV-2 entwickelt haben."

Doch während viele Krankenkassen inzwischen die Kosten tragen, wenn es um Long Covid geht, wird eine Kostenübernahme für vergleichbare Behandlungen von Impfkomplikationen meistens abgelehnt. Prof. Matthes rät dazu, dies nicht zu akzeptieren: "Wenn die Kasse die Kostenübernahme für eine Maßnahme ablehnt, legen Sie Widerspruch ein, notfalls ein zweites Mal." Schwere Nebenwirkungen nach Corona-Impfungen entwickeln sich somit zu einem wichtigen Thema in der Corona-Pandemie.

Im Rahmen seiner Studie haben Professor Matthes unzählige Berichte von Betroffenen erreicht, deren Symptome monatelang nicht ernst genommen wurden. Mit Blick auf schwere Nebenwirkungen nach der Corona-Impfung sei dies ein zentrales Problem: Die Geschädigten finden oft niemanden, der ihnen glaubt oder ihre Symptome mit der Impfung in Verbindung bringt.

Helfen könnten hier spezielle Anlaufstellen für Menschen mit Impfkomplikationen. "Wir haben bereits mehrere Spezialambulanzen zur Behandlung der Langzeitfolgen einer Covid-Erkrankung", so Prof. Matthes. "Viele Krankheitsbilder, die man von Long Covid kennt, entsprechen denen, die als Impfnebenwirkungen auftreten."

Grundsätzlich müssten Ambulanzen für Patient:innen mit Impfkomplikationen geöffnet werden, von wo aus sie an Fachabteilungen wie Neurologie oder Kardiologie weitergeleitet werden.

Debatte über Impfschäden: Charité distanziert sich

Die Analyse von Professor Matthes stößt auf viel Widerstand und Kritik. Nun hat sich die Charité von den Aussagen von Professor Matthes distanziert. Grund dafür sei die Datenlage, auf der die Ergebnisse beruhen. So teilte Charité-Sprecher Markus Heggen auf Anfrage von "ZDFheute" mit, dass es sich bei der Untersuchung von Professor Matthes lediglich um eine offene Internetumfrage handele und damit nicht um eine wissenschaftliche Studie. "Diese Datenbasis ist nicht geeignet, um konkrete Schlussfolgerungen über Häufigkeiten in der Gesamtbevölkerung zu ziehen und verallgemeinernd zu interpretieren", so der Sprecher.

Kritik gibt es auch von weiteren Expert:innen unter anderem, weil es keine Vergleichsgruppe gibt – beispielsweise Ungeimpfte, die ein Placebo-Präparat erhielten. Zudem sei die Online-Studie für jeden zugänglich, auch ohne die Identität der Teilnehmer:innen zu prüfen. Ein weiterer großer Kritik-Punkt: Professor Matthes hätte auf diese Faktoren der Studie hinweisen sollen, bevor er brisante Zwischenergebnisse veröffentlichte.

Ob die Umfrage in der Form wirklich repräsentativ ist, ist zweifelhaft. Klar ist aber auch, dass viele Menschen über Impfnebenwirkungen klagen und ihre Beschwerden oft – zumindest aus eigener Sicht – nicht ernst genommen werden.