Mit einfachen Therapiemethoden Angststörung besiegen
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- Symptome
- Diagnose
- Behandlung
- Vorbeugung
- Das sagt der Experte
Wenn die Angst zur Störung wird: Expertin und Coach Cora Besser-Siegmund erklärt, wann die Diagnose Angststörung gestellt wird und wie sie sich von Burn-out oder Panikattacken unterscheidet. Mit welchen Therapien, Techniken und Tricks sich Angst überwinden lässt – und warum niemand gleichzeitig singen und Angst haben kann, erklärt die Diplom-Psychologin hier.
Wie unterscheide ich eine normale Angst von einer Angststörung?

Entscheidend ist meine persönliche Handlungsfreiheit. Es ist zum Beispiel ganz normal, vor einem bevorstehenden Staatsexamen oder einer Führerscheinprüfung Angst zu haben. Geht diese Angst aber so weit, dass ich mich diesen Dingen nicht mehr stellen kann, ich also in meinem Leben nicht mehr machen kann, wozu ich eigentlich fähig bin, dann wird die Angst zu einer Angststörung. Ich habe keine Wahlfreiheit mehr, muss die Zügel vollkommen aus der Hand geben.
Hilft ein starker Wille, die Dinge zu bewältigen trotz meiner Angst davor?
Bei der Erkrankung Angststörung spielt der Wille keine wichtige Rolle, denn die Angst ist eine Emotion, die den Verstand ausschaltet. Jemanden, der an Flugangst leidet, zu sagen, dass laut Statistik viel mehr Menschen im Straßenverkehr sterben als im Flugverkehr, wird bei ihm ein verständiges Nicken auslösen. Der Betroffene begreift mit seiner Vernunft, dass seine Angst unbegründet ist. Doch in der konkreten Situation der Angst – wenn er das nächste Mal ein Flugzeug besteigt – ist dieses kognitive Verständnis nicht mehr da, die Angst überlagert den Verstand.
Sind Frauen häufiger von Angststörungen betroffen als Männer?
Frauen sind nicht häufiger betroffen, Männer kaschieren die Angststörung nur besser. Dadurch wird es für sie allerdings auch schwieriger, mit der Erkrankung umzugehen. Frauen thematisieren ihre Angst meist in ihrem sozialen Umfeld, gegenüber Freunden oder der Familie. Über seine Angst zu reden wirkt beruhigend und ist deshalb ein erster Schritt, mit dem sich Angst überwinden lässt.
Ist die Aussage richtig, Burn-out wurde nur erfunden, damit Männer eine Angststörung zugeben können?
Nein, es ist sehr wichtig, die Diagnose Angststörung von der Diagnose Burn-out zu unterscheiden. Allerdings gibt es natürlich Zusammenhänge. Ein potenzieller Burn-out-Kandidat tourt bereits über einen langen Zeitraum sehr hoch, gönnt sich keine Pausen, keinen Schlaf, keine Regeneration, seine allgemeine Stimmung ist sehr angespannt, alle Nerven stehen unter Strom – sein sogenanntes Erregungsniveau ist sehr hoch und plötzlich werden Kleinigkeiten zu riesigen Problemen. Ein Beispiel: Ein Manager hat über Monate durchgepowert und verbringt nun ein Wochenende in Paris. Er besteigt den Eifelturm, nimmt im Überschwang noch den Treppenaufgang und kommt fix und fertig oben an. Nun geht er an das Geländer, schaut in die Tiefe. Dieser Anblick zischt aufgrund seines extrem hohen Erregungsniveaus sofort in seinen Kopf und er bekommt Höhenangst. Je erregter ich bin, umso intensiver reagiere ich auf ganz simple Reize. Deshalb sind Menschen, die kurz vor einem Burn-out stehen, sehr gefährdet, Angststörungen zu entwickeln.
Also kann die Angststörung als Folgeerkrankung eines Burn-outs auftreten?
Genau. Nicht zu vergessen ist, dass es selten die von Natur aus ängstlichen, vorsichtigen Menschen sind, die an Burn-out erkranken. Oft sind es Menschen, die es sich zutrauen, ohne große Anstrengung Bäume auszureißen. Sie wundern sich dann, wenn ihr Nervenkostüm porös wird.
Welche Ursachen gibt es noch für eine Angststörung?

Von Natur aus haben die Menschen unterschiedliche Temperamente: Es gibt die Mutigen und die etwas Vorsichtigeren. Auch wenn es manchmal so anmutet: Eine Angststörung tritt nie „einfach so“ auf. Häufig finden sich die Auslöser schon in der Kindheit. Ein Vater verbringt z. B. mit seiner Tochter einen wunderschönen Tag im Zoo, sie bekommt ein Eis, fährt mit der Bimmelbahn, und ihre Erregung ist auf dem mittleren, also positiven Niveau. Dann zeigt der Vater dem Mädchen eine Vogelspinne im Terrarium, erklärt ihr, wo dieses Tier ursprünglich herkommt, macht sie auf positivem Wege mit dem Tier vertraut. Aus einer solchen Begegnung mit einer Spinne wird sich keine Spinnenphobie entwickeln. Das nennt man aktive „Ermutigung“ durch die Eltern. Sie wirkt nicht nur einer eventuellen Angst entgegen, sondern stärkt auch das Selbstbewusstsein des Kindes. Beobachtet das Mädchen aber die Mutter, die bei jedem Anblick einer Spinne wild kreischt, und dann ist die Familie gerade umgezogen, die Eltern verbreiten Stress, weil noch nicht alle Kartons ausgepackt sind, die neue Schule ist ganz befremdlich – und am Abend liegt das Mädchen im Bett und eine Spinne läuft über den Fußboden: Daraus kann sich eine Spinnenphobie entwickeln. Die Ursache einer Angststörung besteht zum einen aus dem Auslöser, zum anderen aus der Befindlichkeit, auf die der Auslöser trifft.
Dann ist es ja relativ einfach, der Ursache der eigenen Angst auf die Spur zu kommen.
Nicht immer. Denn das Gehirn generalisiert auch. Wie im folgenden Beispiel: In der Schule muss die ganze Klasse aufstehen und der Lehrer stellt Mathematikaufgaben. Die Kinder, die die Aufgabe lösen können, melden sich und wer dran genommen wird und die richtige Lösung parat hat, darf sich setzen. Das Kind, das länger stehen bleibt, gerät immer mehr unter Strom, ihm wird es peinlich und am Ende kann es gar nichts mehr sagen. Die anderen Kinder lachen es aus. Als das Kind erwachsen ist, fordert sein Chef es auf, einmal aufzustehen und das neue Projekt zu erklären. Alle sitzen und nur der Betroffene steht – wie damals bei dem Mathespiel in der Schule: Das wird nun als ganz furchtbar empfunden, obwohl das Bewusstsein keinen Grund dafür findet. Denn der Chef ist nett, die Kollegen ebenso und das Projekt läuft gut. Auf diese Art haben Menschen Angst vor Dingen und verstehen gar nicht so richtig, warum.
Wie grenzt sich die Angststörung von der Panikattacke ab?
Angst- und Panikstörungen werden getrennt voneinander diagnostiziert. Ein Angstpatient ist häufig sehr in eine „ängstliche Grübelei“ vertieft, er ist unsicher, übervorsichtig und oft auch verzagt. Panikattacken überfallen wiederum häufig auch Menschen, die sich grundsätzlich seelisch ausgeglichen und stabil fühlen. Gerade diese stabilen, selbstbewussten Menschen sind dann über die Panikattacke schockiert, weil sie sich so gar nicht kennen. Das kann wiederum zu einer gewissen Ängstlichkeit führen, da sie sich selbst nicht mehr vertrauen und ständig auf der Hut sind, wann die nächste Attacke kommt.
Gibt es Wege, wie ich selbst Angst überwinden kann?
Sehr wichtig ist es, zu seiner Angst zu stehen. Denn je mehr ich mich gegen meine Angst wehre, umso mehr führt sie ein Eigenleben. Das Darübersprechen mit anderen Menschen ist sehr wichtig, auch Tagebuchschreiben beruhigt. Ebenfalls eine gute Methode gegen Angst ist das Singen. Wenn ein Mensch singt, ist es seinem Gehirn unmöglich, Angst zu produzieren. Der Bereich in unserem Gehirn, der dafür zuständig ist, ist dann blockiert. Außerdem muss die Wahrnehmung des eigenen Selbst modifiziert werden: Der Fokus sollte nicht allein auf die Vermeidung des Angstgefühls gelegt werden, sondern auch darauf, was man stattdessen fühlen will, wie innere Sicherheit, ruhige Atmung, positive Gedanken. Man sollte sich auf die eigenen Fähigkeiten besinnen.
Hilft auch eine bewusste, direkte Konfrontation mit der Angst?
Ich persönlich bin kein großer Fan dieser Therapiemethode, zumindest nicht als alleiniges Heilverfahren. Helfen kann sie natürlich: Bei einer extremen Angst werden sehr viele Stresshormone freigesetzt, das Herz rast, alles Blut wird in den Körper gedrängt, das Großhirn setzt komplett aus – alle Zeichen stehen auf Flucht. Ist der Betroffene nun gezwungen, in der Situation auszuharren, wird sich sein Körper nach etwa 20 Minuten wieder beruhigen, weil die Stresshormone nicht so schnell nachproduziert werden können. So baut sich die Angst von selbst ab und der Betroffene sieht, dass er ja gar nicht explodiert, nicht stirbt, sondern dass sein Körper sich beruhigt.
Warum reicht die Konfrontationstherapie Ihrer Meinung nach nicht aus?
Meiner Meinung und meinen Erkenntnissen nach hilft es am meisten, wenn der Erkrankte wahrnimmt: Ich kann etwas gegen meine Angst tun. Die direkte Konfrontation ist eine sehr rabiate Methode, die den Angst-Kandidaten zwingt, sich der Biologie auszuliefern und zu warten, bis sie freundlicherweise aufhört mit dem Spuk. Doch der Angst-Patient sollte lernen, dass die Reaktion von vornherein durch gezieltes Training geändert werden kann.

Wie gehen Sie in der Angststörung-Therapie vor?
Wichtig ist das Erlernen eines positiven, ich-stärkenden, inneren Dialogs. Man spricht hier auch von der kognitiven Verhaltenstherapie. Dieses „Selbstgespräch“ baut nicht nur auf die Wortwahl, sondern auch auf die Art der inneren Ansprache: verständnisvoll, aufbauend, vielleicht auch mitreißend – der Ton macht die Musik. Mit unserer sogenannten wingwave-Methode suchen wir zunächst den eigentlichen Angstauslöser, zum Beispiel mit dem Myostatiktest, der anhand der Muskelspannung zeigt, was mentalen Stress und was emotionale Sicherheit auslöst. Mit der Intervention „schnelle Augenbewegungen“ können die alten negativen Emotionen, welche nicht mehr in das heutige Leben passen, schnell und – wie die Forschung zeigen konnte – nachhaltig neutralisiert werden. Dabei winkt der Coach mit schnellen Fingerbewegungen vor den Augen des Patienten, der mit dem Blick folgt. Diese Bewegung der Augen bewirkt, dass Erlebnisse eingeordnet und Emotionen abgemildert werden – entsprechend der REM-Phase im Traumschlaf.
Ihr Therapieansatz gibt also Hilfe zur Selbsthilfe – ein sogenanntes Selbst-Coaching?
Wir begreifen die Angst als eine Emotion, mit der umzugehen wir einüben müssen. Es gilt zu lernen, den eigenen Zustand zu managen. Das Singen haben wir als Werkzeug bereits genannt, außerdem schulen wir das Butterflyklopfen: Hierbei kreuzt der Patient die Hände vor der Brust und klopft sich abwechselnd auf die linke und die rechte Schulter. Nach einer halben Minute beginnt er tief durchzuatmen. Ebenso wie Singen und Angstfühlen nicht gleichzeitig stattfinden können, funktionieren auch tief Durchatmen und Angsthaben nicht parallel. Zudem lassen wir unsere Patienten eine spezielle Coaching-Musik hören.
Also hilft neben dem Singen auch das Musikhören?
Ja, aber es muss eine speziell für diesen Zweck komponierte wingwave-Musik sein: Ihr Rhythmus entspricht dem Ruhepuls des Herzens und geht zwischen linkem und rechtem Ohr hin und her. Dadurch werden die Hirnhälften dazu gebracht, auch über weit auseinanderliegende Areale zusammenzuarbeiten. Das senkt das Erregungsniveau des Patienten. Eine Patientin hat sich mit dieser Methode zum Beispiel auf eine schwierige Gerichtsverhandlung vorbereitet: Sie ging die schwierigen Passagen durch und hörte dabei die Musik. Ihr Gehirn gewöhnte sich daran, die Inhalte mit einem mittleren Erregungsniveau zu verknüpfen und sie konnte entspannt und angstfrei in die Verhandlung gehen. Am wichtigsten ist es, dem Patienten beizubringen, dass die Angst mit ihm nicht machen kann, was sie will.

Wie verhalte ich mich richtig, wenn mein Kind große Angst zeigt, zum Beispiel die Angst vor der Dunkelheit?
Kinder haben viel Fantasie und können im Dunkeln nicht unterscheiden, was ausgedacht und was echt ist. Sie sind dann irritiert. Die Eltern sollten ihrem Kind beibringen, mit der Dunkelheit etwas Angenehmes zu verbinden, zum Beispiel durch das Erklingen einer Spieluhr beim Löschen des Lichts. Am wichtigsten ist es, Kompetenz zu vermitteln. Kinder spiegeln ihre Eltern und eine sicher auftretende Mutter wird sich in ihrem Kind wiederfinden.
Können umgekehrt Eltern durch zu große Sorge und Vorsicht ihrem Kind Angststörungen anerziehen?
Auf jeden Fall. Überängstliche Mütter, die alles Schlimme, was passieren kann, vorwegnehmen, geben ihren Kindern keine Chance, sich für die sichere Möglichkeit zu entscheiden. Ein Kind, das immer nur im Garten spielen darf, wird nicht die Kompetenz erwerben, sich im Straßenverkehr richtig zu verhalten. Wie bereits erwähnt: „Ermutigung“ heißt das Zauberwort.
Im Interview: Cora Besser-Siegmund
Diplom-Psychologin, Business-Coach, Lehr-Coach, wingwave-Begründerin und Buchautorin (zuletzt erschienen: Schnelle Hilfe bei Angst und Stress).
Website: www.besser-siegmund.de
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