Meine Welt ist verrückt – Albtraum Schizophrenie

Menschen, die an Schizophrenie leiden, leben in einer anderen Realität. Vielen macht das Angst. Protokolle vom Wahn – und dem Sinn dahinter.
Schizophrene leiden unter einer Spaltung ihrer Realität
Schizophrenie ist ein Tabu. Weil sie unheimlich wirkt. An Horrorfilme erinnert, an Leute, die Amok laufen, gewalttätig werden, unberechenbar sind. Nein, Schizophrenie ist keine Persönlichkeitsspaltung. Die Erkrankten leiden unter einer Spaltung ihrer Realität. "Erst hatte ich Angst beim Job, dann vorm ganzen Leben”, erzählt Birgit Frank. Nach einer unglücklichen Liebe "flogen bei mir die Sicherungen raus”. Eine Psychose kann jeden treffen. Vor allem wenn man jung ist, so zwischen 16 und 30, kommt die Krankheit meist zum Ausbruch. Und sie tritt überall auf: In allen Kulturen, bei Reichen und Armen, unabhängig von Geschlecht und Intelligenz. John Nash, Mathematik-Nobelpreisträger von 1994, lebt seit 30 Jahren mit Schizophrenie. Die Quote: Einer von Hundert wird "verrückt”, 800 000 Patienten gibt es allein in Deutschland. Um diese Menschen aus der gesellschaftlichen Ächtung herauszuholen, hat jetzt der Weltverband für Psychiatrie eine Anti-StigmaKampagne ins Leben gerufen, an der auch deutsche Psychiatrien mitarbeiten. Das Ziel: Ängste abzubauen und zu informieren. Über Ursachen zum Beispiel. Erbliche Vorbelastung kann das Risiko erhöhen, ebenso eine Stoffwechselstörung im Gehirn. Meist aber geht dem Ausbruch der Schizophrenie eine schwere seelische Krise voraus. Probleme, die unlösbar scheinen, brechen sich Bahn in einer neuen Wirklichkeit, in einem neuen Sinn: dem Wahnsinn. Die Betroffenen spüren, dass etwas nicht stimmt, verdrängen, isolieren sich. Weil sie ihr Erleben mit niemandem teilen können. Was für Gesunde die Träume sind, wird für Schizophrene zweite Realität. Martina Meier nennt es eine Realität auf Zeit. Sie okkupiert so glaubhaft das Bewusstsein, dass völlig klar scheint: Es ist wahr, was ich empfinde und erlebe. Die Unterscheidung zwischen Wahn und Wirklichkeit ist verloren.
„Wer mit Schizophrenie nicht zu tun hat, dem macht sie Angst“
Viele trauen sich erst spät zum Arzt, fürchten sich vor den Reaktionen ihrer Umwelt. "Sie hegen die gleichen Vorurteile wie andere auch”, sagt Beate Schulze, Soziologin an der Uni Leipzig, die sich mit Stigmaforschung befasst. Doch selbst Ärzte erkennen die Symptome oft nicht. In Düsseldorf, Köln, Bonn und München werden jetzt Früherkennungszentren aus- und neu aufgebaut, die eng mit Ärzten zusammenarbeiten. Denn Schizophrenie ist weder ansteckend noch unheilbar. Zwei Drittel der Patienten werden wieder gesund. Behandelt wird mit Neuroleptika und Therapie. Hilfreich sind Psychose-Seminare, in denen sich Betroffene mit Angehörigen und Ärzten austauschen. Über 100 solcher Gruppen gibt es in Deutschland. Dennoch: Wer sich outet, läuft Gefahr, ausgegrenzt zu werden. "Wer mit Schizophrenie nichts zu tun hat, dem macht sie Angst”, hat Carsten Moog erfahren. "Dabei sind psychisch Kranke im Allgemeinen nicht gefährlicher als Gesunde”, stellte Beate Schulze bei einer repräsentativen Umfrage fest. Trotzdem, so die Studie, lehnt die Mehrheit den Kontakt mit Erkankten ab. Einige befürworten sogar eine Zwangssterilisierung. Eine Beziehung schließen 66% aus, Kinderbeaufsichtigung 79%. Auf seinen Internet-Seiten räumt der Weltverband für Psychiatrie mit Vorurteilen auf. Ein hoffnungsvoller Anfang. Vielleicht wird man dann seltener hören: "Der muss doch in die Klapse.”

So wie ich fühlen doch alle! Dass ich spinne, hab ich nicht gewusst
Bei mir stimmte etwas nicht, das habe ich schon lange gespürt. Jahrelang. Erst fürchtete ich, bei der Arbeit in der Waschmaschinenmontage Fehler zu machen und beschimpft zu werden. Dann machte mir mein ganzes Leben Angst, ich fand keinen Schlaf mehr. Diese Vorboten habe ich ignoriert. Ich konnte doch keinem erzählen, dass ich mich ängstigte, wenn jemand pfiff. Da sagt ja jeder: Die ist verrückt! Mein einziger Strohhalm war das Tanzen, da hab ich mich abreagiert. Und ich bin zur Therapie. Aber die Ängste, der Rausschmiss aus der Abteilung, weil ich oft krank war, eine unglückliche Liebe und dann noch das tiefe Grübeln über mich, da flogen bei mir die Sicherungen raus. Plötzlich sah ich mich von Kameras beobachtet. Das Radio sendete mir Botschaften – ich ertränkte es im Waschbecken. Autos fuhren mir nach, ich hängte sie ab. Rote Ampeln waren mir egal. Ich arbeitete weiter, und alle konnten meine Gedanken lesen und kannten meine Geheimnisse. Der Arzt diagnostizierte eine schwere Psychose. Gut, dann hab ich eben eine Psychose, wird schon wieder weggehen. Im Lexikon las ich, man teile mit anderen keine gemeinsame Realität mehr. Aber wie ich empfinde, so fühlen doch alle! Suizidpläne, acht Wochen alle Gedanken zerdacht, vor allem einen: Ich werde gesteuert. Jeder macht jetzt mit mir Therapie. Erfülle ich alle Aufgaben, werde ich wieder gesund. Dass ich spinne, hab ich nicht gewusst. 14 Tage lag ich in der Psychiatrie, nur zum Gang aufs Klo band man mich los. Das Eingesperrtsein war das Schlimmste. In den Gesprächsgruppen hab ich erstmals von meiner Angst vorm Pfeifen geredet. Lernte, mit meinen Gefühlen klarzukommen, Wut zuzulassen, zu weinen. Erfuhr, dass Schizophrenie keine Persönlichkeitsspaltung ist, sondern dass man zwei Realitäten hat. Ich sage ja lieber Psychose, das erschreckt nicht so. Mich hat die Diagnose Schizophrenie zuerst geschockt: Um Gottes willen! Einmal bekloppt, immer bekloppt. Aber das stimmt nicht. Acht Monate später kehrte ich in den Job zurück. Minderwertig? Fühle ich mich selten, eher nicht so belastbar. Psychopharmaka habe ich abgelehnt, damit ist man ja nicht mehr man selbst. Ich nehme nur eine Mini-Dosis. Und meine Chancen stehen gut. Will ja wieder arbeiten. Vor zwei Jahren verliebte ich mich in meinen jetzigen Freund. Er ist sehr verständnisvoll. Ich binde meine Krankheit nicht jedem auf die Nase, aber ich schäme mich auch nicht. Eigentlich war die Schizophrenie sogar mein Glück: Ich habe mich viel besser kennen gelernt, bin mehr ich selbst geworden. Und das ist ein Gewinn.
Die Schizophrenie gehört zu mir. Das ist nicht wie Krebs, den man operiert
Meine Freundin Stefanie hatte unser Treffen abgesagt – und ich sah das Ende der Welt kommen. Ein Feuersturm würde die Erde hinwegfegen, aber mich werden Engel vom Dach des Studentenwohnheims retten. Ins Paradies. Stefanie war ja schon dort, deshalb kam sie nicht. Doch bevor alles in Trümmern liegt, werde ich feiern! Besprühte meine Fenster mit Farbe, klebte Bücher dran, baute einen Altar. Da steht der Leibhaftige vor mir, will den Weg ins Paradies vereiteln – man hatte den Hausmeister alarmiert. Ich würde zur Venus fliegen, dort hatte Goethe ein neues Italien erschaffen. Meinen Kumpel hielt ich für Goethe. Mein Vater brachte mich in eine Klinik, hinter einer Tür leuchteten wunderbare Farben, aber man ließ mich nicht ein. Ich trat sie ein, schlug mir den Kopf auf. Blutend saß ich auf Vaters Schoß und pfiff Wagners Götterdämmerung. Ich war Gott. Und schwebte mit Stefanie in einer Seifenblase nackt über Palmen. In Handschellen brachten mich drei Polizisten in die Psychiatrie. Ich schrie noch "keine Spritze!”. Dann fielen alle Sorgen von mir ab. Paradiesisch. Die Nebenwirkungen: grausam. Konnte nicht mehr schlucken, wurde künstlich ernährt, verlor 30 Kilo, bekam Fieber und Lungenentzündung. Fast wäre ich gestorben. Nach Absetzen der Injektionen ging's mir schlagartig besser. Ich verliebte mich in eine der Schwestern. Drei Monate später saß ich wieder in meinen Germanistik-Vorlesungen. Aber ich war depressiv, mein Interesse schwand. Hab auf Zweiradmechaniker umgesattelt, betreue als Geselle die Kunden. Der Job stabilisiert mich. Irgendwann versuchte ich es erneut mit meiner Ex, scheiterte und geriet in die nächste Psychose. Seit meinem letzten Rückfall 1998 habe ich den Willen, die Schübe kurz zu halten. Ich will gesund werden. Und mich endlich verlieben, ohne wahnsinnig zu werden. Denn Psychosen machen einsam. Versteht einen ja keiner. Also nehme ich Tabletten, sechs verschiedene täglich. Und habe ein Frühwarnsystem: Schreibe ich extrem viel oder schwebe, geht's wieder los. In der Psychiatrie lerne ich problemlos Frauen kennen, Patientinnen sind toleranter. Draußen ist es schwer. Aus Angst vor Kränkung trau ich mich kaum noch. Bei einer Brieffreundin habe ich mich letztens geoutet, sie brach den Kontakt ab. Doch die Schizophrenie gehört zu mir. Das ist nicht wie Krebs, den man rausoperieren will. Ich liebe meine Krankheit vielleicht sogar. Auch, weil ich einen unendlichen Willen entwickelt habe, mein Leben zu meistern. Ich reise nach wie vor oft nach Italien. Und am Ende möchte ich auf Capri in einer Hängematte liegen und sagen: Es ist doch ein Kunstwerk geworden, trotz der Katastrophe mit 20.
Mein Eintauchen in die Traumwelt ist eine Flucht aus der Realität

Warum bin ich hier? Niemand sagte mir, warum ich einsperrt wurde wie in ein Gefängnis. Mit 20 anderen in diesem Saal. Alles Frauen, kein einziges Mädchen. Verstand es auch nicht. Ich war ja erst 15. Fühlte mich nur verraten und misshandelt. Dabei wollte ich doch bloß in meiner Welt sein. Ich hatte mich in mir verkrochen, und die Enttäuschung meiner Eltern darüber gab mir Recht: Ich bin nicht gesellschaftsfähig. Dieses Gefühl hat mich bestärkt, nicht von dieser Welt zu sein. Und beflügelt, in meine Traumwelt zu flüchten. Dort wurde ich akzeptiert, war etwas Besonderes, von Gott gesandte Mittlerin zwischen verschiedenen Welten. Niemand machte mir mehr Angst! In meiner Welt gab es keine blöden Streitereien mit Freundinnen und Enttäuschungen über Jungs. Das Gitarre spielen war das Einzige, was mir etwas bedeutete. Verzerrt nahm ich die Umrisse der Ärzte wahr. Wie riesig sie waren! Einer von ihnen musste Jesus sein. Die Traumwelt ist nur eine Realität auf Zeit. Das Eintauchen merke ich nicht, jedoch, wenn ich wieder klar bin. In die Klinik hatten mich meine Eltern eingewiesen, ich war nachts auf die Straße gerannt und hatte gerufen "Ich muss sterben!”. Meine Mutter erzählte es mir später. Täglich fragten mich die Ärzte, wie es mir geht. "Besser”, log ich, ich wollte nach Hause. Weihnachten durfte ich endlich, vollgepumpt mit Medikamenten. Seither nehme ich Tabletten, bis auf ein halbes Jahr, da war ich 27 und bekam einen schweren Rückfall, hörte Stimmen: Ich war schwanger, wir wollten heiraten, aber in der Klinik verlor ich das Kind im sechsten Monat, und er ließ mich sitzen. Der Weg aus dieser Psychose war lang und steinig. Danach wollte ich unbedingt wieder arbeiten. Hatte ja das Abi und eine Ausbildung zur Anwaltsgehilfin, mit "Gut” bestanden und seither immer verdient. Ich fand einen Job im Einkauf, weil ich viele Sprachen spreche. Als ich dem Chef von der Erkrankung erzählte, kündigte er mir. Mein Arzt hat mich mal abfällig "geisteskrank” genannt, dem hätte ich am liebsten eine gescheuert. Dabei ist die Psychose meine kreativste Zeit, ich komponiere, singe und töpfere viel. Ohne sie wäre ich ein halber Mensch, sie hat mich offener und sensibler gemacht, mir mein Unbewusstes gezeigt. Leider kann ich den Stress im Job im Moment nicht aushalten, erhalte deshalb eine kleine Rente. Erst mal. Manchmal wünsche ich mir noch ein Baby, obwohl ich schreckliche Angst habe, man könnte es mir in der Psychose wegnehmen. Es allein zu erziehen würde ich nicht schaffen. Solange ich keinen Mann habe, der meine Krankheit akzeptiert, treffe ich mich mit Freunden. Und davon habe ich viele.