"Meine Mutter hat Verfolgungswahn"

Schicksal Schizophrenie: Für ein Kind ist es besonders schwierig, wenn die Mutter plötzlich eine ganz andere zu sein scheint, unter Verfolgungswahn leidet und mit Halluzinationen kämpft

500 000 Kinder in Deutschland haben psychisch kranke Eltern. Viele von ihnen leiden unter Halluzinationen, Verfolgungswahn und Sinnesstörungen – alles Nebenwirkungen der Schizophrenie. Und viele zerbrechen an diesem Schicksal. Christiane war noch ein Kind, als ihre Mutter schizophren wurde. Aber sie fand für sich einen Weg.

Schizophrene rutschen meist in einen Verfolgungswahn

Zwei Augen starren Christiane durchdringend an. Es ist ein irrer, hasserfüllter Blick. Dann schreit die Frau schrill und durchdringend: "Du Hure!"

Eine Szene, die die 33-jährige Hamburgerin Christiane 20 Jahre lang oft durchleben musste. Die Frau, von der sie so beschimpft wurde, ist nämlich ihre Mutter Hilde (65). Und die leidet unter Verfolgungswahn, ist unheilbar psychisch krank.

Ärzte bezeichnen dieses seelische Leiden als Schizophrenie. Hilde hört Stimmen, fühlt sich verfolgt und bedroht. "Die Krankheit tritt schubweise auf. Ein Schub kann einige Tage, Wochen oder Monate dauern. Ist der Schub vorbei, wird der Patient wieder völlig normal. Er kann sich an nichts erinnern", erklärt Dr. Christian Schaub, Facharzt für Psychatrie in Hamburg, der auf diese Krankheit spezialisiert ist.

Im Alter von 13 Jahren begann für Christiane der Verfolgungswahn

Christiane war 13, als der Verfolgungswahn begann. "Wir saßen im Auto. Da behauptete Mami plötzlich, wir würden verfolgt. Ich wunderte mich, dachte mir aber nichts weiter dabei." Tage später bemerkte sie: "Mami notierte die Namen meiner Freunde und verschlüsselte sie. Sie flüsterte etwas von einer Verschwörung."

Christiane war schockiert: "So wirr kannte ich sie nicht." Da sie wenig später aber wieder normal war, machte sich die Tochter noch keine Sorgen. Doch es ging weiter. "Mami saß tagelang im Bademantel im Sessel, hörte Musik, führte Selbstgespräche."

Christiane tat nach außen so, als wäre alles in Ordnung. "Mutter war arbeitslos und hatte keine Verpflichtungen. Ich ging zur Schule, kaufte ein und beseitigte das Chaos, das sie während meiner Abwesenheit angerichtet hatte." Während der Ausbrüche kümmerte sich Christiane um alles. "Ich wollte nicht, dass sie eingesperrt wird. Ich hatte doch Angst um sie."

Aber wenn Christiane allein war, weinte sie bittere Tränen. "Dann gab ich mir die Schuld, dass meine Mutter so war. Aber ich hasste sie auch, weil ich ihr Verhalten nicht verstand. Und ich betete, dass sie wieder normal wird. So wie vor diesen Ausbrüchen."

Ein Jahr lang versuchte das Mädchen, die Situation allein zu meistern. "Mein Vater hatte uns schon verlassen, als ich fünf war. Wir hatten keinen Kontakt. Meine Großeltern lebten in einer anderen Stadt."

Als der Verfolgungswahn immer schlimmer wurde, brachte Christiane ihre Mutter in die Nervenklinik

Doch die Zeitabstände zwischen den Schüben wurden kürzer, der Verfolgungswahn schlimmer, die Ausbrüche immer heftiger. "Ich konnte nicht schlafen, weil sie durch die Wohnung tobte. Als sie meine Vögel entfliegen ließ und drohte, auch noch die Katze einzuschläfern, hatte ich panische Angst, auch um mich." Typisch, erklärt Psychiater Dr. Schaub: "Es sind stets die Angehörigen, die attackiert werden."

Schließlich hatte Christiane keine Kraft mehr. In ihrer Verzweiflung bat sie ihre Großeltern um Hilfe. "Die brachten Mutter schließlich in eine Nervenklinik." Die Ärzte erklärten Christiane, dass ihre Mutter psychisch krank ist. Dass man mit Medikamenten zwar die Abstände der Schübe verlängern, aber diese Ausbrüche nicht ganz verhindern kann.

"Ich zählte trotzdem die Tage, bis meine Mutter aus dem Krankenhaus wieder nach Hause kam. Ich freute mich auf die Zeit, in der sie wieder meine normale Mami sein würde. Dann nahm sie mich wie früher in den Arm, kochte uns Tee und hörte mir zu."

Trotz Verfolgungswahn liebt Christiane ihre Mutter

Aber es kam weiter zu etwa drei heftigen Ausbrüchen jährlich. Bis sie 25 war, wohnte Christiane bei ihrer Mutter, erlebte das grausame Wechselbad. Trotzdem schloss sie ihre Schule ab, lernte Kauffrau und war erfolgreich im Job. "Ich wollte kämpfen und Mami nicht aufgeben."

Erst als ihre Mutter schon wieder ihr Zimmer verwüstet und ihre persönlichen Sachen zerstört hatte, begriff Christiane, dass sie ihr eigenes Leben führen musste. "Sonst wäre ich auch krank geworden."

Heute lebt Christiane nur wenige Straßen entfernt von ihrer Mutter in einer eigenen Wohnung. "Ich besuche sie jede Woche. Wenn es wieder losgeht mit dem Verfolgungswahn, lasse ich sie einweisen. Ist sie normal, genießen wir das Zusammensein. Trotz allem liebe ich meine Mami."