"Mein Leben mit Epilepsie"

Obwohl Heike medikamentös eingestellt ist, leidet sie noch immer alle drei bis vier Tage unter epileptischen Anfällen
Obwohl Heike medikamentös eingestellt ist, leidet sie noch immer alle drei bis vier Tage unter epileptischen Anfällen

Die Angst ist immer da. Wann kommt der nächste Anfall? Jede Attacke kann von einer kurzen Bewusstseinspause bis zum Anfall mit Bewusstlosigkeit, Stürzen und Zuckungen der Extremitäten variieren. Eine Betroffene erzählt, wie sie trotzdem ihr Leben meistert - und genießt.

Stimmen, die ihren Namen rufen, verschwommene Gestalten, die sich über sie beugen. "Heike! Heike! Was ist passiert? Was ist los mit dir?" Doch Heike Hantel weiß auch nicht, warum sie plötzlich auf dem Wohnzimmerboden liegt und sich ganz elend fühlt. "Damals war ich neun Jahre und dachte, ich hätte eine schlimme Erkältung mit hohem Fieber", erinnert sich die heute 51-Jährige. Bis die richtige Diagnose – Epilepsie – gestellt wird, vergehen noch weitere neun Jahre. Das Wissen über die neurologische Erkrankung, an der in Deutschland circa 800 000 Menschen leiden, steckt zu diesem Zeitpunkt noch wie Heike selbst in den Kinderschuhen. "Es hieß lediglich, ich hätte Anfälle. Und dagegen gaben mir die Ärzte Medikamente, die wie Schlafmittel wirkten", so die Hamburgerin. Die Folge: Das kleine Mädchen erlebt den Alltag in einer Art Dämmerzustand, ist häufig müde und lethargisch. "Das Schlimmste war die Angst vor dem nächsten Anfall. Nicht zu wissen, wann, wo und wie stark er sein würde", so Heike. Denn die Attacken können von einer kurzen Bewusstseinspause bis zum Anfall mit Bewusstlosigkeit, Stürzen und Zuckungen der Extremitäten variieren.

Bei Heike brachte ein Zeitungsartikel über das Krampfleiden die Wende. Darin wurde auch eine Spezialklinik erwähnt. Ein Schlüsselerlebnis. Denn dort erfährt die junge Frau erstmals, was Epilepsie überhaupt ist, und lernt andere Erkrankte kennen: "Bis dahin glaubte ich, die Einzige zu sein, die unter Anfällen litt."

Ein Untersuchungsmarathon beginnt: Hirnströme werden gemessen, um zu erkennen, warum sich die Nervenzellen in Heikes Hirn immer wieder unkontrolliert entladen. Eine Kernspintomografie (MRT) wird angefertigt, um Schädigungen im Gehirn auszuschließen. Medikamente werden abgesetzt und neue ausprobiert. Doch die Ärzte sind ratlos. Heike hatte weder einen Unfall noch eine Hirnentzündung oder einen Tumor - Gründe, die zu einer Epilepsie führen können.

Bei ihr sind die Krämpfe ohne erklärbare Ursache

Trotzdem fühlt sie sich nach dem mehrmonatigen Aufenthalt wie neugeboren. "Endlich wusste ich, woran ich war, und konnte mich abnabeln. Eine Wohltat für mein Selbstbewusstsein." Sie sucht sich eine kleine Wohnung und macht eine Ausbildung im sozialen Bereich. Und sie lebt und liebt wie eine ganz normale Frau. Für ihre Partner ist die Epilepsie nie ein Problem, und auch Heike lernt, damit umzugehen, schränkt sich selbst so wenig wie möglich ein, macht Sport, verreist. Mit 27 wird sie schwanger. Familie und Ärzte reagieren entsetzt, legen ihr sogar einen Abbruch nahe. "Doch für mich war klar: Ich will dieses Kind. Aus heutiger Sicht war das sicher riskant, aber ich habe meine Entscheidung nicht eine Sekunde bereut", sagt Heike stolz. Sie wickelt Töchterchen Jana zur Sicherheit nur auf dem Fußboden, badet sie nie allein. Da Schlafmangel die Anfälle begünstigen können, füttert nachts ihr Partner das Baby.

Als die Beziehung nach Janas zweitem Geburtstag scheitert, arbeitet Heike Vollzeit. Keine Selbstverständlichkeit, da viele Epilepsiekranke berufsunfähig sind oder nur in Teilzeit arbeiten können. Doch für Heike bedeutet die Arbeit ein Stück Normalität: "Natürlich hätte ich eine Erwerbsminderungsrente beantragen können. Das wäre für mich aber wie ein Eingeständnis gewesen, mich der Epilepsie geschlagen zu geben", erklärt die Sozialarbeiterin. Sie nimmt an Medikamentenstudien teil, lässt prüfen, ob eine Epilepsie-Chirurgie Erfolg versprechend sein könnte. Aber die Gefahr, anschließend halbseitig gelähmt zu sein, ist bei Heike zu groß. Eine weitere Therapiemöglichkeit – die Vagusnervstimulation – kommt ebenfalls nicht infrage. "Das ist schade, aber nicht änderbar", sagt Heike, die mittlerweile am Epilepsiezentrum Hamburg arbeitet.

Alle drei bis vier Tage leidet sie heute unter Anfällen. Vorher spürt sie ein Unwohlsein im Bauch, ihr linker Arm kribbelt. Experten bezeichnen diese Vorboten als Aura. "Wenn ich das fühle, kann ich mich selbst in Sicherheit bringen, um nicht zu stürzen. Manchmal gelingt es mir sogar, durch konzentrierte Atmung den Anfall zu unterdrücken", erklärt Heike. "Trotz allem bin ich glücklich, denn ich habe eine gesunde Tochter und seit fünf Monaten einen tollen Mann an meiner Seite. Damit hätte ich am wenigsten gerechnet: mich noch einmal so richtig zu verlieben!"