Mandeloperation und Co.: Wann sind sie eigentlich sinnvoll?

In Deutschland wird viel operiert. Zu viel. Oft sind Eingriffe nicht nur riskant, sondern auch überflüssig

Ob Mandelentzündung, Bandscheibenvorfall, Knieprobleme oder die Entfernung der Weisheitszähne: Oft wird zu schnell operiert. Eine Übersicht medizinischer Eingriffe – wie sie ablaufen, wo die Risiken liegen und wann Eingriffe wie eine Mandeloperation überflüssig sind.

Mandeloperation: Wenn der Eingriff zu früh erfolgt

Der Eingriff und seine Risiken: Bei der Mandeloperation werden die Mandeln aus dem umliegenden Gewebe herausgetrennt. Um die feinen Strukturen des gesunden Gewebes nicht zu verletzen, werden sie nicht herausgeschnitten, sondern vorsichtig ausgeschält. Größtes Risiko sind Nachblutungen nach der Operation. Allein in Deutschland sterben jährlich noch immer fünf bis zehn Kinder daran.

Dann ist er überflüssig: Niederländische Forscher entdeckten: Die Mandeloperation ist auf lange Sicht medizinisch nicht vorteilhafter als aufmerksames Abwarten und Beobachten der Beschwerden. Erst wenn mehr als drei fieberhafte Entzündungen pro Jahr antibiotisch behandelt werden müssen, sollte man das Entfernen der Mandeln in Betracht ziehen.

Alternativen zur Mandeloperation: Siebentägiges Einnehmen entzündungshemmender Antibiotika, mindestens eine Woche Bettruhe.

Chiropraktik: Wenn falsche Technik zum Schlaganfall führt

Der Eingriff und seine Risiken: Der Chiropraktiker lockert mit einem einzigen schnellen Handgriff das unter Spannung stehende Gewebe. Dabei wird der Wirbel ein Stück über das normale Maß hinaus bewegt. Im besten Fall sind die Beschwerden verschwunden.

Forschungen der Berliner Charité ergaben jedoch: Wird der Wirbel zu stark verdreht, kann eine neben der Halswirbelsäule verlaufende Arterie verletzt werden. Diese versorgt das Gehirn mit Blut. Mögliche Folge: Ein Gefäßinnenwandriss, aus dem sich ein Blutgerinnsel bildet. Immerhin 40 Prozent aller Schlaganfälle von unter 45-Jährigen haben ihre Ursache in Schäden an der Halsarterie.

Dann ist er überflüssig: Bei den meisten Beschwerden kann alternativ eine Kombination aus Krankengymnastik und Wärme effektive Abhilfe schaffen.

Meniskusverletzung: Nur operieren, wenn es wehtut

Der Eingriff und seine Risiken: Der Eingriff ist eine Spiegelung („Arthroskopie“) des Kniegelenkes, bei der durch mindestens zwei kleine Schnitte ein Zugang zu dem Kniegelenk geschaffen wird. Mit arthroskopischen Mikroinstrumenten und Saug-Schneideinstrumenten werden jene Teile des Meniskus entfernt, die die Gelenkfunktion stören, die Gelenkflächen schädigen und die für die Schmerz- und Reizzustände verantwortlich sind. Problem: Manchmal wird gesundes Gewebe verletzt, auch Probleme bei der Wundheilung sind nicht selten.

Dann ist er überflüssig: „Verletzungen, die zwar vorhanden sind, aber keine Beschwerden machen, müssen nicht operiert werden“, sagt Sportmediziner Hans Pässler. Unverzichtbar ist eine Operation bei Rissen, oder wenn ein abgerissenes Knorpelstück das Gelenk blockiert.

Alternativen: Oft reicht eine Kombination aus Krankengymnastik und entzündungshemmenden Schmerzmitteln vollkommen aus, um den Heilungsprozess zu fördern.

Bandscheibenvorfall: Wann ist Geduld besser als eine Operation?

Bandscheibenvorfall nicht sofort operieren
Ein Bandscheibenvorfall kann zu 90 Prozent der Fälle ohne Operation erfolgreich behandelt werden. Schmerzmittel und leichte Bewegung sind dann die Therapie Foto: Fotolia

Der Eingriff und seine Risiken: Vor der Operation wird mittels Röntgendurchleuchtung die exakte Position des Bandscheibenvorfalls bestimmt. Unter Narkose wird an jener Stelle eingeschnitten, die betroffene Bandscheibe aufgesucht. Die hervorstehenden Gewebeanteile, die die Schmerzen auslösen, werden herausgeschnitten. Problem: Bei jedem 10. Patienten führt das Narbengewebe nach der Operation zu lebenslangen Schmerzen.

Dann Ist er überflüssig: „90 Prozent aller Vorfälle bekommt man ohne Operation in den Griff“, sagt Rücken-Spezialist Dr. Martin Marianowicz. „Das Risiko sollte nur in Kauf genommen werden, wenn die Gefahr von Lähmungserscheinungen besteht.“

Alternativen: Entzündungshemmende Schmerzmittel einnehmen, leichte Bewegung (Krankengymnastik, Sportarten wie Walking) und Geduld. Nach drei Monaten sind die meisten Patienten beschwerdefrei.

Weisheitszähne: Niemals ohne guten Grund entfernen

Der Eingriff und seine Risiken: Um den Zahn freizulegen, wird das Zahnfleisch leicht eingeschnitten, der Knochen über dem Zahn mit einer kleinen chirurgischen Fräse abgetragen. Der Zahn kann dann aus seinem Zahnfach entnommen werden. Problem: Im Unterkiefer liegt der Nerv Nervus alveolaris. Wird dieser Nerv bei dem Eingriff gequetscht oder verletzt, bleiben Teile von Gesicht und Mund taub manchmal für immer.

Dann ist er überflüssig: „Weisheitszähne müssen erst dann gezogen werden, wenn sie dauerhafte Schmerzen im Mund oder Gesicht verursachen, sie beim Beißen oder Kauen stören oder die Wurzeln stark entzündet sind“, sagt Zahnexperte Dr. Hubertus von Treuenfels aus Hamburg.

Alternativen: „Gesunde Zähne, die keine Probleme machen, können im Mund bleiben“, betont Dr. von Treuenfels. Leichtere Probleme können mit einer Zahnschiene verbessert werden.

Gallensteine: Bloß nicht vorsorglich operieren!

Der Eingriff und seine Risiken bei Gallensteinen: Bei der Operation wird über einen Einschnitt am Bauchnabel ein optisches Gerät (Laparoskop) mit einer winzigen Videokamera eingeführt. Auf einem Monitor sieht der Operateur das Operationsgebiet, kann die Gallenblase mitsamt darin befindlichen Steinen herausschneiden und über eine der Bauchdeckenöffnungen herausziehen. Problem: Wird die Gallenblase versehentlich geöffnet, kann sich eine Bauchfellentzündung entwickeln, die tödlich enden kann.

Dann ist er überflüssig: Sinnvoll und notwendig ist der Eingriff nur, wenn die Gallenblase verkalkt ist oder die Steine sehr groß sind.

Alternativen: In manchen Fällen besteht die Möglichkeit, Gallensteine durch eine Stofäwellenbehandlung zu zertrümmern oder auch mithilfe von Medikamenten aufzulösen.

Kaiserschnitt: Wird der Eingriff zum Gold-Standard?

Der Eingriff und seine Risiken: Mit einem Querschnitt werden erst die Bauchdecke und dann die darunterliegenden Gewebeschichten geöffnet. Der Arzt hebt das Baby heraus, die Nabelschnur wird durchtrennt. Der vermeintlich bequemere Weg ins Leben birgt Risiken: Kaiserschnittbabys atmen oft schwächer als normal geborene Säuglinge. Und: Die Mutter hat ein dreimal höheres Risiko, bei der Operation zu sterben.

Dann Ist er überflüssig: Wenn kein Risiko besteht. „Mit dem Kaiserschnitt werden Schwangere zu Patientinnen“, sagt Prof. Dr. Heribert Kentenich. Dass immer mehr Frauen von vornherein einen Kaiserschnitt wünschen, hält der Berliner Chefarzt für eine „gefährliche Fehlentwicklung“.

Ärztin prüft Schilddrüse
Auch eine Schilddrüsenoperation ist in vielen Fällen nicht notwendig. Holen Sie sich eine zweite ärztliche Meinung ein Foto: Fotolia

Schilddrüsenknoten: Erst testen, dann operieren

Der Eingriff und seine Risiken: Unter Vollnarkose erfolgt ein Schnitt, der in der Regel im unteren Halsbereich von rechts nach links verläuft. Bei der Operation wird meistens der Teil der Schilddrüse, der den Knoten enthält, entfernt. Auch umliegendes erkranktes Gewebe wird mit herausgeschnitten. Problem: Bei der Operation können versehentlich Verletzungen von Speise- und Luftröhre auftreten.

Dann ist er überflüssig: Nur bösartige Knoten, die Probleme beim Atmen und Schlucken bereiten und die medikamentös nicht behandelt werden können, müssen operiert werden. Professor Ralf Paschke aus Leipzig rät: „Die Diagnose sollte immer nach einer Feinnadelpunktion gestellt werden. Dies ist die zuverlässigste Methode zur Unterscheidung von gut- und bösartigen Knoten.“

Alternativen: Gutartige Knoten, Über- oder Unterfunktionen können in der Regel mit Medikamenten gut eingestellt werden.

Herzuntersuchung: Muss es wirklich ein Katheter sein?

Der Eingriff und seine Risiken: Der Katheter, ein nur wenige Millimeter dünner Schlauch, wird über die Leistenvene zum Herzen geschoben. Ärzte steuern den Eingriff per Röntgenbild. Für den Patienten ist dies schmerzlos aber nicht risikofrei: Bei 1 von 100 kommt es zu Nachblutungen und Blutergüssen. Auch die Gefahr eines Herzinfarkts besteht.

Dann ist er überflüssig: Die Herzkatheter-Untersuchung ist nicht geeignet als Vorsorge-Check. Sie sollte erst durchgeführt werden, wenn schonendere Verfahren keine exakte Diagnose der Beschwerden geliefert haben.

Alternativen: Ähnlich aussagekräftig ist beispielsweise die Echokardiographie (Herzecho). Auch mit ihr lassen sich Herzkrankheiten aufspüren – ohne Risiko.

Fazit: Bei vielen Krankheiten lohnt es sich, eine zweite Meinung einzuholen. Vielleicht helfen alternative Behandlungen ebenso gut – damit Sie sich eine Mandeloperation oder einen Eingriff an dden Weisheitszähnen schenken können.