Long COVID: „Riesenproblem" für Wirtschaft und Gesundheitssystem?
Gesundheitsminister Karl Lauterbach erklärt Long COVID zum „Riesenproblem“ für die Krankenhäuser und die Wirtschaft. Wie dramatisch ist die Lage?
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Immer mehr Corona-Patient:innen klagen über Langzeitfolgen. Auch die Versicherungen registrieren zehntausende Fälle. Gesundheitsminister Karl Lauterbach spricht nun davon, dass Long COVID zu einem „Riesenproblem“ werden könnte, wie unter anderem die „Welt“ berichtet: Es drohen überlastete Kliniken und ein Mangel an Arbeitskräften. Was Krankenhäuser, Arbeitgeber & Co. dazu sagen.
Lauterbach: Long COVID wird ein „Riesenproblem“
Der Gesundheitsminister zeigte sich in einem Interview mit der „Zeit“ alarmiert und warnt vor den Folgen von Long COVID für das Gesundheitssystem: „Wir haben nicht im Ansatz die Kapazität, die vielen Fälle zu versorgen“, so Lauterbach. Und: „Es gibt nicht genügend spezialisierte Ärzte, nicht genügend Behandlungsplätze, wir haben noch keine Medikamente.“ Das Problem werde unterschätzt, auch für den Arbeitsmarkt – hier würden viele nicht mehr zu ihrer alten Leistungsfähigkeit zurückkehren können.
Expert:innen sprechen von Long COVID, wenn die Symptome auch vier Wochen nach der Corona-Infektion nicht abklingen oder wieder auftreten. Folgende körperliche Probleme zählen dazu:
Halsschmerzen
Kopfschmerzen
Müdigkeit und Erschöpfung
Konzentrationsstörungen
Kurzatmigkeit
Schlafstörungen
Insgesamt sind Symptome vielfältig und unspezifisch, die Diagnose schwierig. Und das ist ein Problem: Keiner weiß, wie viele Menschen tatsächlich betroffen sind.
Wie viele Menschen leiden an Long COVID?
Studien zufolge leidet etwa jeder zehnte Corona-Infizierte an Long COVID – das würde in Deutschland bei insgesamt über 29 Millionen nachweislich Infizierten (Stand: 12.07.2022) knapp 3 Millionen Menschen betreffen. Laut Hochrechnungen oder Stichproben schwankt die Zahl zwischen 7, 5 und 41 Prozent. Auch das RKI bezeichnet die Datenlage als „lückenhaft“.
Ein weiteres Problem: Es gibt keinen echten Behandlungsansatz, die Symptome können nur individuell therapiert werden. Viele Betroffene finden zudem keinen Ansprechpartner, da es bisher kaum Spezial-Ambulanzen für Long COVID-Patient:innen und das komplexe Krankheitsbild gibt. Diese wenigen Stellen sind extrem überlaufen, Betroffene müssen monatelang auf einen Termin warten.
Expertinnen der Charité warnen vor Long COVID
Die Immunologin Carmen Scheibenbogen und die Neurologin Christiana Franke, beide von der Charité in Berlin, haben Lauterbachs Befürchtungen bestätigt. In einem „NDR“-Podcast erklärte Scheibenbogen: „Viele, die dauerhaft erkranken, sind im Alter zwischen 30 und 50 Jahren. Das sind Menschen, die aus dem Berufsleben fallen und nicht mehr in der Lage sind, ihre Familien zu versorgen. Das ist ein Riesenproblem für die Gesellschaft.“ Das Krankenhaus sei gar nicht in der Lage, die vielen Patien:innen adäquat zu versorgen.
Ihre Kollegin Franke zeigt sich von der großen Anzahl der Long COVID-Patient:innen überrascht: „Für uns in der Neurologie war das nicht zu erwarten, dass so eine große Anzahl an jungen Patienten mit Kognitionsstörungen im Nachgang einer COVID-Erkrankung auf uns zukommt.“
Long COVID: Riesenproblem für Krankenhäuser
„Long Covid fordert die Krankenhäuser heraus, da sehr viele Menschen betroffen sind“, erklärt auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß. Doch nicht nur die Patient:innen, sondern auch viele Angestellte im Gesundheitssystem erkranken aktuell an COVID-19 – und leiden möglicherweise dann an den Langzeitfolgen.
Schon jetzt müssen viele Kliniken ganze Stationen schließen, weil das Personal fehlt. Der Bundesverband für den Schutz Kritischer Infrastrukturen (BSKI) warnt daher, dass sich die Lage im Herbst in allen Sektoren der kritischen Infrastrukturen dramatisch verschlimmern könnte.
Wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Schaden durch Long COVID
Gaß zeigt sich besorgt über die Folgen, denn die könnten weitreichender sein: „Durch Arbeitsunfähigkeit und psychische Beeinträchtigung entsteht auch wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Schaden“, so der Vorstandsvorsitzende.
Dies befürchten auch Arbeitgeber und Gewerkschaften. So erklärte Siegfried Russwurm, Präsident des Industrieverbandes BDI: „Der BDI rechnet damit, dass ab dem Herbst bis in den Frühling im kommenden Jahr schlimmstenfalls mehr als 20 Prozent der Arbeitsstunden krankheitsbedingt wegfallen.“ Die Gewerkschaft Ver.di erwartet eine „große Bugwelle“, die das Land an manchen Stellen an den Rand der Handlungsfähigkeit bringen werde.
Long COVID: Versorgung der Patient:innen gewährleistet
Die Sorge von Gesundheitsminister Lauterbach, dass die vielen Betroffenen mit Corona-Langzeitfolgen nicht ausreichend versorgt werden könnten, weist der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen indessen zurück. „Im System der gesetzlichen Krankenversicherung konnte die Versorgung der Menschen bisher sichergestellt werden, und ich bin sicher, dass das auch in Zukunft gelingt“, so ein Sprecher.
Auch die 2. Vorsitzende des Hausärzteverbands Baden-Württemberg, Susanne Bublitz, erklärt dazu: „Corona-Langzeitfolgen werden die niedergelassene Ärzteschaft nicht an ihre Leistungsgrenze bringen.“ In ihrer Praxis behandelt sie selbst 20 Patient:innen mit Long COVID. Ihrer Meinung nach sei es ein viel größeres Problem, dass Patienten um die Anerkennung als Krankheit kämpfen müssten. Sie seien durch dauerhafte Arbeitsunfähigkeit finanziell eingeschränkt.
Damit weniger Menschen an den Langzeitfolgen einer Corona-Infektion leiden und das System nicht so extrem belastet wird wie befürchtet, rufen Karl Lauterbach und viele weitere Expert:innen zum Impfen auf: Denn eine vollständige Impfung gegen das Coronavirus schützt nicht nur vor schweren Krankheitsverläufen, sondern auch vor Long COVID – und damit vor einem „Riesenproblem“ für Deutschlands Kliniken und Wirtschaft.
Quellen:
"Ich habe mich oft gefühlt wie der einsame Rufer in der Wüste" in: zeit.de
„Riesenproblem“ Long Covid? So schätzen Wirtschaft und Krankenhäuser die Lage ein in: welt.de
Lauterbach: Long COVID nicht unterschätzen in: journalonko.de
Long Covid und Post Covid - ein Riesenproblem für die Gesellschaft in: ndr.de
Wartelisten und kaum Anlaufstellen für Menschen mit Corona-Langzeitfolgen in: hessenschau.de