Larvierte Depression: Wenn sich die Trauer im Körper einschreibt

Nicht immer zeigt sich eine Depression auf dieselbe Art und Weise, nicht immer sind Betroffene antriebslos und niedergeschlagen. Die larvierte Depression verläuft ganz anders – sie ist für Betroffene, Angehörige und häufig auch für Ärzte nicht erkennbar, da sie sich lediglich durch körperliche Symptome bemerkbar macht. Wie kann man der somatisierten Depression dennoch auf die Spur kommen?

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Von Menschen, die an Depressionen leiden, hat man häufig eine stereotype Vorstellung. Man denkt, dass Betroffene nicht aus dem Bett kommen, ihren Alltag nicht bewältigen und Hobbys und soziale Kontakte vernachlässigen. Das mag häufig zutreffen. Doch in der Realität stellt sich die Erkrankung weitaus komplexer dar. So können etwa die Symptome einer Depression beim Mann von den offiziellen Diagnosekriterien stark abweichen. Und auch die larvierte Depression hat nicht viel mit der klassischen depressiven Verstimmung gemein.

Eine Frau sitzt mit Kopfschmerzen auf einem Sofa
Kopfschmerzen gehören zu den möglichen Symptomen einer larvierten Depression Foto: iStock_Liubomyr Vorona

Was ist eine larvierte Depression?

Bei einer larvierten Depression handelt es sich um eine depressive Episode, die für Außenstehende, aber auch für die Betroffenen selbst nicht ersichtlich ist – sie verbirgt sich hinter körperlichen Beschwerden. Darum ist auch häufig von einer maskierten oder somatisierten Depression die Rede. Die Leitsymptome einer Depression fehlen oder sind nicht so stark ausgeprägt, dass ihnen ein Krankheitswert zugeschrieben werden kann. Dafür kommt es zu diffusen körperlichen Symptomen, für die es aber keine organische Ursache gibt.

Gut zu wissen

Der Begriff Larvieren (lat. larva = Larve) wird im medizinischen Kontext immer dann verwendet, wenn eine Erkrankung nicht direkt sichtbar ist und sich noch nicht als solche entpuppt hat. Von einer versteckten Depression kann man in diesem Fall aber nicht sprechen, da hier neben körperlichen Symptomen auch psychische Beschwerden auftreten.

Larvierte Depression: Diagnose mit Schwierigkeiten

In den 1970er- und 1980er-Jahre wurde die Diagnose larvierte Depression häufig vergeben. Heutzutage jedoch ist sie im wissenschaftlichen und klinischen Kontext nicht mehr von großer Bedeutung. Die larvierte Depression ist im ICD, der internationalen Klassifikation von Krankheiten, nicht vertreten, da sie keine eigenständige Erkrankung beschreibt. Vielmehr ist sie eine Diagnose, die häufig nur in der Retrospektive gestellt werden kann. Denn sobald die depressiven Symptome zutage treten, ist die Depression nicht mehr larviert. Körperliche Beschwerden können nur dann sicher mit einer Depression in Zusammenhang gebracht werden, wenn psychische Symptome hinzukommen.

Betroffene, die mit ihren körperlichen Symptomen bei einem Hausarzt oder einer Hausärztin vorstellig werden, erhalten häufig die Diagnosen psychosomatische Störung, Somatisierungsstörung oder Hypochondrie. In der psychotherapeutischen Arbeit hingegen wird der Begriff larvierte Depression noch verwendet, um Symptome ohne organische Ursache und bei Verdacht auf eine Depression auf prägnante Weise beschreiben zu können.

Eine larvierte Depression kann als Erklärung theoretisch für eine Vielzahl von körperlichen Beschwerden herangezogen werden und so mitunter zu falschen Schlüssen führen. Aber das Wissen darüber, dass sich eine Depression zu Beginn durch körperliche Beschwerden manifestieren kann, hilft dabei, eine Depression frühzeitig zu erkennen. Das gilt vor allem für Menschen, die in der Vergangenheit schon eine depressive Episode hatten oder die familiär vorbelastet sind.

Wie entsteht eine somatisierte Depression?

Aber warum schlägt sich eine Depression bei einigen Menschen am Anfang nur auf körperlicher Ebene nieder? Es gibt zwei verschiedene Erklärungen für dieses Phänomen: Es ist möglich, dass die psychischen Beschwerden sehr wohl präsent sind, aber dass Betroffenen ihre Gefühle nicht wahrnehmen können. So gelangen die typischen Symptome einer Depression wie Traurigkeit oder Niedergeschlagenheit nicht an die Oberfläche – obwohl sie innerpsychisch vorhanden sind.

Eine andere Erklärung ist, dass Betroffene möglicherweise so sehr mit ihren körperlichen Symptomen beschäftigt sind, dass sie ihre psychischen Beschwerden auf diese zurückführen. Sie schieben beispielsweise ständige Erschöpfung und Antriebslosigkeit darauf, dass sie nicht gut schlafen. Oder monatelange sexuelle Unlust erklären sie sich damit, dass sie viel Stress auf der Arbeit haben.

Welche Symptome weisen auf eine larvierte Depression?

Die Leitsymptome einer Depression – Niedergeschlagenheit, Interessenverlust und innere Leere – zeigen sich bei einer larvierten Depression nicht oder kaum. Betroffene können durchaus Freude empfinden und ihren Alltag bewältigen. Stattdessen treten im Rahmen einer somatisierten Depression folgende Symptome auf:

  • Kopfschmerzen

  • Rückenschmerzen

  • Schwindel

  • Missempfindungen und/oder Taubheitsgefühle

  • Libidoverlust

  • Infektanfälligkeit

  • Schlafstörungen

  • Magen-Darm-Beschwerden

  • Vermehrter Harndrang

  • Appetitmangel und daraus resultierend Gewichtsverlust

  • Druckgefühl auf der Brust

  • Niedriger oder hoher Blutdruck

  • Atembeschwerden

  • Sehstörungen

Für sich genommen weist keines dieser Symptome auf eine Depression hin. Da eine larvierte Depression nur schwer fassbar ist, gibt es keinen Test zur Selbsteinschätzung, wie es etwa bei anderen Diagnosen möglich ist. Aufhorchen sollte man jedoch, wenn man dauerhaft unter mehreren der oben genannten Beschwerden ohne organische Ursache leidet.

Manche Symptome, wie etwa Schlafstörungen und Libidoverlust, kommen häufig bei der klassischen Depression vor und dienen daher als wichtige Anhaltspunkte, um eine beginnende Depression festzustellen.

Larvierte Depression: Behandlung

Eine somatisierte Depression erfordert die gleiche Behandlung wie eine klassische Depression. Zum Standard gehört die kognitive Verhaltenstherapie, in der negative Glaubenssätze und Denkmuster korrigiert werden können. Auch eine emotionsfokussierte Therapie, die den Umgang mit Gefühlen in den Fokus stellt, und eine tiefenpsychologische Therapie eignen sich zur Behandlung einer larvierten Depression.

Im Falle einer leichten oder mittelschweren Depression können zudem natürliche Antidepressiva ausprobiert werden. Bewährt haben sich hoch konzentrierte Johanniskraut-Präparate. Pflanzliche Mittel mit Baldrian, Hopfen und Melisse helfen zudem gut gegen Einschlaf- und Durchschlafstörungen. Unterstützende Maßnahmen wie Licht-, Bewegungs- oder Wachtherapie können ebenfalls körperliche und psychische Beschwerden reduzieren.

Kann allein durch diese Maßnahmen keine deutliche Besserung erzielt werden, besteht die Möglichkeit, Antidepressiva einzusetzen. Am häufigsten werden Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) verschrieben. Sie erhöhen die Konzentration des stimmungsaufhellenden Neurotransmitters Serotonin im Gehirn. Damit eine larvierte Depression nicht direkt wieder auftritt, sollte das Antidepressivum nach Verschwinden der depressiven Symptomatik noch mindestens vier Monate eingenommen werden.