Kranke Gedanken – Bin ich noch normal?

Normale Gedanken sind unnormal
Auch gesunde Menschen haben scheinbar kranke Gedanken. Eine Studie zeigt, dass fast jeder von uns regelmäßig Gedanken bei sich feststellt, die er für nicht normal hält Foto: Fotolia

Weltweit haben auch geistig gesunde Menschen krankhafte oder gestörte Gedanken. Das zeigt eine aktuelle Studie, bei der fast alle Probanden angaben, nicht normal zu denken. Doch was ist eigentlich geistig „normal“? Und ab wann ist man wirklich psychisch krank? Praxisvita fasst für Sie die Studie zusammen und zeigt Ihnen mit dem großen Selbst-Test „Bin ich noch normal“ wie es um Ihre Psyche steht.

Eine aktuelle Studie der Concordia University in Montreal zeigt, dass weltweit Menschen das Gefühl haben, regelmäßig krankhafte oder gestörte Gedanken zu hegen. Rund 94 Prozent der befragten Personen gaben demnach an, bei sich sogenannte intrusive – also sich ungewollt aufdrängende – Gedanken mit unnormalen Inhalten festgestellt zu haben.

Das Ergebnis ist verblüffend: „Beinahe jeder hat solche Gedanken. Unnormale Gedanken sind völlig normal, denn sie sind normaler Teil des menschlichen Wesens“, erklärt Professor Adam Radomskij – Direktor des Zentrums für Klinische Forschung im Gesundheitswesen an der Concordia University in Montreal.

Kranke Gedanken hat jeder Mensch

Die Forscher schließen aus den Ergebnissen, dass es nicht gestörte Gedanken an sich sind, die bei Menschen psychische Störungen – wie Zwangsneurosen, Angstzustände oder starke Selbstzweifel – auslösen. Bedeutender für den Grad der jeweiligen geistigen Gesundheit ist die Frage, wie der Einzelne auf vermeintlich krankhafte Gedanken reagiert.

Sollten Sie zum Beispiel jeden Morgen kontrollieren, ob der Herd aus ist, bevor Sie aus dem Haus gehen, ist das eher normal. Wenn Sie aber eine halbe Stunde oder länger benötigen, um das Haus zu verlassen – da Sie immer wieder den Herd kontrollieren – ist das bereits ein neurotisches Verhalten.

Für Menschen, die tatsächlich an psychischen Störungen und krankhaften Zwangsneurosen leiden, sei diese Erkenntnis „unglaublich hilfreich“. Nach Aussagen der Wissenschaftler ergeben sich aus dem Wissen, dass im Grunde jeder Mensch mehr oder weniger ‚unnormale’ Gedanken habe, neue Therapieansätze und neue Hoffnung auf Heilung für Betroffene. Weltweit leiden in etwa ein Prozent der Menschen an – aus medizinischer Sicht – krankhaften Gedanken. 50 Prozent dieser diagnostizierten Störungen fallen in die Kategorie schwerer psychischer Krankheiten.

7 Tipps gegen Wut

JW Video Platzhalter
Zustimmen & weiterlesen
Um diese Story zu erzählen, hat unsere Redaktion ein Video ausgewählt, das an dieser Stelle den Artikel ergänzt.

Für das Abspielen des Videos nutzen wir den JW Player der Firma Longtail Ad Solutions, Inc.. Weitere Informationen zum JW Player findest Du in unserer Datenschutzerklärung.

Bevor wir das Video anzeigen, benötigen wir Deine Einwilligung. Die Einwilligung kannst Du jederzeit widerrufen, z.B. in unserem Datenschutzmanager.

Weitere Informationen dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wo liegt die Grenze zum Wahnsinn?

Aus medizinischer Sicht muss eine psychische Störung zwar immer für die jeweilige Person im Einzelnen diagnostiziert werden, dennoch gibt es einfache Merkmale, die auf tatsächlich behandlungsbedürftige Probleme hinweisen können. Dazu zählt vor allem eine übermäßige Beschäftigung mit Gedanken, die von scheinbar normalen abweichen. Wer sich beispielsweise mehrere Stunden mit kurzzeitig gehegten Gewaltphantasien beschäftigt, hat ein stark erhöhtes Risiko für eine krankhafte Persönlichkeitsstörung.

Ein geistig gesunder Mensch empfindet einen Gewaltgedanken vielleicht auch als merkwürdig, aber er dreht den Gedanken nicht in einer Endlos-Spirale immer weiter. Im nächsten Moment denkt er wieder an etwas anderes, ohne dass der Gewaltgedanke sein weiteres Handeln oder Denken beeinflussen würde.

Warum kann der Mensch unnormal denken?

Menschen bekommen zwanghafte Störungen also dadurch, dass sie nicht nur unnormal denken, sondern sich davon auch im Verhalten und bezüglich der Selbsteinschätzung beeinflussen lassen. Wissenschaftler fragen sich deswegen, warum das menschliche Gehirn überhaupt irrationale Gedanken hegen und immer weiter reflektieren kann, ohne dass es dazu einen rationalen beziehungsweise kausalen Anlass gibt. Anders gefragt: Warum ist die Möglichkeit neurotischer Gedanken von der menschlichen Evolution eingerichtet worden? 

Studienleiter Radomskij vermutet, dass es etwas mit der natürlichen, menschlichen Fähigkeit zum Multitasking zu tun haben könnte. Der Mensch kann sich viele Gefahren und mögliche Entwicklungen nicht nur ausmalen, er vermag sie auch hinsichtlich seiner eigenen Person und seiner Wahrnehmung von Normalität zu reflektieren.

Was ist normal?

Doch was ist eigentlich „normal“? Tatsache ist, dass es eine solche Definition nicht gibt. Psychische Normalität lässt sich bestenfalls eingrenzen. „Soziale Fähigkeiten, die Fähigkeit mitzufühlen, ein solides Urteilsvermögen, Verlässlichkeit sind Eigenschaften, die zu einer weitgehend normalen Persönlichkeit gehören“, sagt der Persönlichkeitsforscher John M. Ruiz von der Washington State University.

Und dennoch steckt in jedem von uns auch ein unnormales und unstetes Ich. Denn auch das Ich „normaler“ Menschen ist ständigen Manipulationen ausgesetzt. Offensichtlich ist eine in sich geschlossene Persönlichkeit nicht der Normalfall. Je nach sozialem Kontext verändern wir uns, verändert sich unser Handeln.

Hatten Sie schon mal komische Gedanken? Wenn Sie schon lange wissen wollen, wie normal Sie denken, klicken Sie hier und testen Sie ihre Gedanken im großen Selbst-Test „Bin ich noch normal“.

Hamburg, 12. Mai 2014