Krank zur Arbeit: 3 Gründe gegen „Präsentismus“ – und einer dafür

Wer krank zur Arbeit geht, tut damit weder sich selbst noch dem Unternehmen einen Gefallen – zumindest in den meisten Fällen. Denn es gibt eine Ausnahme, in der der sogenannte Präsentismus tatsächlich sinnvoll ist.

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Wer krank zur Arbeit oder auch „nur“ an den heimischen Schreibtisch geht, hat meist gut gemeinte Motive dafür. „Die Arbeit muss ja gemacht werden“ oder „Das Team ist sowieso schon dünn besetzt“ sind typische Rechtfertigungen für den sogenannten Präsentismus, also das Arbeiten trotz Krankheit. Doch häufig schadet diese Selbstaufopferung den Erkrankten und dem Unternehmen mehr, als sie nutzt.

Eine Frau putzt sich am Schreibtisch die Nase
Sich krank zur Arbeit zu schleppen ist selten eine gute Idee Foto: iStock/Drazen Zigic

Präsentismus: Definition

Laut Präsentismus-Definition bezeichnet der Begriff das Arbeiten trotz Krankheit. Es handelt sich dabei um das Gegenteil von „Absentismus“, also dem Fernbleiben von der Arbeit, obwohl man gar nicht krank ist.

Präsentismus ist immer verbreiteter

Untersuchungen zeigen, dass die Fehlzeiten in deutschen Unternehmen seit Jahren rückläufig sind. Was zunächst positiv erscheint, ist aber laut Hintergrundstudien gar kein Grund zum Jubeln, sondern eher zur Besorgnis: Immer mehr Menschen gehen demnach krank ins Büro oder Home-Office. Ein hoher Leistungs- und Zeitdruck treibt sie an, etwa trotz Erkältung arbeiten zu gehen oder in den Job zurückzukehren, bevor sie sich ganz auskuriert haben.

Einer AOK-Befragung zufolge ging fast jede:r Siebte 2021 gegen den Rat der Ärztin oder des Arztes krank zur Arbeit. Neben den oben genannten Gründen können auch schwerwiegende Befürchtungen wie die Angst vor dem Jobverlust oder anderen negativen Konsequenzen eine Rolle bei der Entscheidung spielen, die Arbeit anzutreten, obwohl man sich krank fühlt.

Krank zur Arbeit: Aus diesen 3 Gründen keine gute Idee

In der Regel tut man weder sich selbst noch seinem Arbeitgeber einen Gefallen, wenn man sich krank zur Arbeit schleppt. Das hat vor allem die folgenden drei Gründe:

1. Wer mit Erkältung zur Arbeit geht, kann andere anstecken

Erkältet zur Arbeit zu gehen, ist den Kolleg:innen gegenüber keinesfalls so rücksichtsvoll, wie es zunächst scheinen mag. Denn sie müssen so zwar nicht für den kranken Kollegen oder die kranke Kollegin einspringen, werden aber einem Infektionsrisiko ausgesetzt, dem sie sich kaum entziehen können. Für das Unternehmen birgt das die Gefahr, dass gleich mehrere Mitarbeitende auf einmal krankheitsbedingt ausfallen.

2. Arbeiten trotz Krankheit macht unproduktiv

Wer krank ist, ist häufig nur noch eingeschränkt leistungsfähig. Erkältet arbeiten kann etwa bedeuten, sich mit Kopf- und Gliederschmerzen an den Schreibtisch zu setzen. Selbst mit der höchsten Motivation und dem besten Willen ist man in diesem Zustand weniger produktiv. Kranke Angestellte machen Studien zufolge zudem häufiger Fehler oder verursachen Unfälle.

3. Mit Erkältung arbeiten kann die Erkrankung verlängern

Sich krank zur Arbeit zu schleppen kann sogar richtig gefährlich werden. Wer erkältet zur Arbeit erscheint, anstatt sich auszukurieren, riskiert beispielsweise Komplikationen wie eine Lungenentzündung oder eine Herzmuskelentzündung. Dann fällt der oder die Angestellte für eine deutlich längere Zeit aus, als zum Auskurieren der ursprünglichen Erkrankung notwendig gewesen wäre. Das Arbeiten trotz Krankheit kann sogar Auswirkungen auf das gesamte spätere Leben haben: Erhebungen zufolge erhöht Präsentismus das Risiko für Langzeit-Arbeitsunfähigkeit und schwere schwere (bis tödliche) Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Insgesamt können dem Unternehmen durch Präsentismus aus all diesen Gründen deutlich höhere Kosten entstehen als durch reguläre Fehltage. Es sollte darum auch im Interesse des Arbeitgebers liegen, die Arbeitspause im Krankheitsfall nicht zu verurteilen, sondern im Gegenteil als sinnvolle Maßnahme zu unterstützen.

Krank arbeiten: In diesem Fall ist es sinnvoll

Es gibt allerdings auch Lebenssituationen, in denen es sinnvoll ist, wieder zu arbeiten, obwohl man noch nicht komplett wieder auf dem Damm ist. Das ist der Fall, wenn die Arbeit zur Genesung beitragen kann. Bei vielen psychischen Erkrankungen können beispielsweise ein geregelter Tagesablauf und der Austausch mit Kolleg:innen das Wohlbefinden steigern und damit den Gesundheitszustand verbessern.

Trotz Depression arbeiten kann Teil der Therapie sein

Psychische Erkrankungen wie Depressionen führen beispielsweise häufig zu langfristigen Krankschreibungen. Das Problem: Beschwerden wie Schlafstörungen, Erschöpfung, Ängste und Antriebslosigkeit erschweren den Betroffenen die Teilnahme am Arbeitsalltag erheblich. Hier kann es aus Sicht von Psycholog:innen Teil der Therapie sein, wieder ins Arbeitsleben einzusteigen. Denn: Die Arbeit vermittelt feste Tagesstrukturen, Anerkennung und neue Perspektiven – alles Dinge, die dazu beitragen können, das Befinden der Erkrankten zu verbessern und neue Krankheitsschübe zu verhindern.

Am besten geschieht dies in Form einer stufenweisen Wiedereingliederung und einer begleitenden Behandlung in Form von Psychotherapie und je nach Schweregrad auch Medikamenteneinnahme. Die Betroffenen werden aufgrund ihrer Erkrankung immer noch nur eingeschränkt leistungsfähig sein. Doch das ist in Ordnung, denn der Arbeitgeber hat während der Wiedereingliederung keinen Anspruch auf Leistung seitens der Angestellten – diese gelten in dieser Zeit weiterhin als arbeitsunfähig.

Trotz Rückenschmerzen arbeiten: In vielen Fällen eine gute Idee

Ähnlich verhält es sich bei chronischen Rückenschmerzen oder anderen chronischen Schmerzen. Ein akutes Rückenleiden sollte immer auskuriert werden – doch bei wochen- oder monatelangen  Beschwerden ist die Wiederaufnahme der Arbeit (je nach individuellen Arbeitsbedingungen) eher förderlich, um den Gesundheitszustand zu stabilisieren und den Leidensdruck zu mindern, das zeigen Studien.

Trotz einer akuten Erkrankung zu arbeiten ist also immer eine schlechte Idee. Bei einigen chronischen Erkrankungen kann es aber durchaus sinnvoll sein, krank zur Arbeit zu gehen – in welchen individuellen Fällen das so ist, sollte immer mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin abgesprochen werden.

Quellen:

Präsentismus: Verlust von Gesundheit und Produktivität, 2. überarbeitete Auflage, in: iga-info.de

Steinke, M., & Badura, B. (2011): Präsentismus: Ein Review zum Stand der Forschung. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, in: baua.de

Fehlzeiten-Report 2021, in: wido.de