Körperfeind Hitze

Der Hochsommer hat Deutschland im Griff: Die Hitzewelle erreicht in diesen Tagen ihren bisherigen Höhepunkt. Die Temperaturen klettern auf 38 Grad. Wie gefährlich ist das für mich und ab wann wird Wärme zur tödlichen Falle? Kann Hitze einen Kälteschock auslösen? Wie kühlt sich unser Gehirn? PraxisVITA erklärt, wie das körpereigene Thermosystem funktioniert – und wann es kollabiert.
2010 hatte es Timo Kaukonen genau vier Minuten und 36 Sekunden in der 110 Grad Celsius heißen Sauna ausgehalten. Aber jetzt sind bereits mehr als fünf Minuten vergangen, seit Kaukonen und sein russischer Herausforderer Wladimir Ladyschenski sich auf die heißen Holzbänke gesetzt haben. Nach sechs Minuten öffnen die Veranstalter die Türen. Augenblicklich brechen beide Finalisten der Sauna-Weltmeisterschaft zusammen. Sie haben schwere Verbrennungen erlitten. Kaukonen wird ins Krankenhaus eingeliefert, Ladyschenski stirbt noch vor Ort an Herz-Kreislauf-Versagen.
Bei extremen Temperaturen droht der Hitzekollaps
Der tragische Sauna-Tod des trainierten Hitzeathleten macht deutlich, welch enorme Rolle der Zeitfaktor bei der Frage spielt, wann unser Körper vor der Hitze kapituliert. In der Sauna reichen mitunter ein paar Sekunden zu viel, um einen lebensgefährlichen Hitzeschock auszulösen. In anderen Situationen beträgt das Zeitfenster vielleicht ein paar Minuten, bis es kritisch wird. Zum Beispiel: Hitzestau im Auto.
Selbst bei leicht geöffnetem Fenster steigt die Innentemperatur eines Wagens, der in der Sonne steht, pro Minute um bis zu ein Grad an. Schnell sind hier Temperaturen erreicht, die den Wagen in eine fahrbare Hitzekammer verwandeln. Und dann droht der Kollaps für die Insassen. Er kündigt sich durch Konzentrationsprobleme und Reaktionsschwächen an, der Herzschlag beschleunigt sich, der Kreislauf versagt, und Bewusstlosigkeit tritt ein. Jeden Sommer erleben Rettungssanitäter Hunderte solcher Fälle – erstaunlich ist eigentlich nur, dass es nicht mehr sind.
Bei Erwachsenen tritt der Kollaps oft dann ein, wenn sie einen banalen, aber dramatischen Fehler machen. Sie sind zu warm angezogen. Vor allem zu dicke Oberbekleidung sabotiert gleich zwei Kühlsysteme: die Verdunstung durch Schweiß und die Wärmeableitung über das Blut. Um eine Überhitzung zu vermeiden, versucht der Körper, die Wärme über die Haut abzugeben.
Dazu erweitern sich sämtliche Blutgefäße in den Armen, Beinen und unter der Haut. Das führt zur massiven Umverteilung des Bluts in diese Bereiche. In der Folge bekommt das Herz nicht mehr genügend Blut zugeführt. Der Blutdruck verringert sich drastisch, das Gehirn wird nicht ausreichend versorgt – die Konsequenz: Bewusstlosigkeit. Um die lebenswichtigen Funktionen, etwa den Herzschlag, aufrechtzuerhalten, fällt der Körper in eine Art Hitze-Koma.

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Kann Hitze Kälteschocks auslösen?
Rettungsschwimmer melden immer mehr Kälteschocks in den vergangenen Jahren. Es klingt paradox, ist aber eigentlich logisch: Je heißer der Sommer, desto größer ist das Risiko von Kälteschocks. Wer von der Sonne aufgeheizt in einen kühlen Badesee springt, setzt seinen Körper einem akuten Temperaturstress aus. Schon ein Grad Unterschied mehr kann enorme Auswirkungen haben. Je größer die benetzte Hautfläche und die Temperaturdifferenz sind, umso deutlicher erfolgt die physiologische Antwort auf den Kältereiz. Die Temperatursensoren übermitteln dann widersprüchliche Signale: eben noch abkühlen, jetzt gegenheizen.
Das wirkt sich dramatisch auf die Atemfrequenz aus. Innerhalb von Sekunden beginnt der Schwimmer plötzlich zu hyperventilieren. Seine Atemzüge sind nicht mehr kontrollierbar, und er verfällt in eine Art Hecheln. Der Herzschlag beschleunigt sich rapide, ein Kreislaufzusammenbruch steht unmittelbar bevor. „Jetzt bleiben keine 60 Sekunden, bis Schwimmen nicht mehr möglich ist. Der Körper kann seine Bewegungen einfach nicht mehr koordinieren", erklärt James P. Knochel. Wer jetzt keinen Boden unter die Füße bekommt, droht zu ertrinken.
Aber mit wie viel Hitze kann unser Körper selbst fertig werden? Und ab welcher Temperatur setzen wir uns überhaupt dem Risiko eines Hitzschlags aus? Eigentlich ist der Begriff missverständlich, denn ein Hitzschlag tritt nicht plötzlich und schlagartig ein. Aber genau die ersten Anzeichen machen ihn so gefährlich, weil wir sie oftmals überhaupt nicht als Symptome erkennen: Wir werden unaufmerksam, die Reaktionsschnelligkeit nimmt ab, das Sichtfeld verengt sich. Alles eine Folge der Überhitzung innerer Organe. „Staut sich zu viel Wärme im Körper, dehnen sich die Haut- und Gehirngefäße massiv aus", sagt Sportmediziner Rüdiger Reer. Dadurch wird die Medulla oblongata, die Kontrollstation für das Kreislaufzentrum, gereizt.
Der Hirnbereich ist ausgesprochen empfindlich, und der heftige lokale Reiz verursacht umgehend Atemunregelmäßigkeiten. Auch Wahrnehmungsstörungen sind eine häufige Folge. „Meist bilden sich diese Symptome vollständig zurück, wenn der Betroffene sich nicht weiter der Hitze aussetzt", so Reer. Das klingt einfach. Ist es aber nicht: Denn nur selten erkennt ein Gefährdeter selbst die Anzeichen des Hitzschlags. Hält er sich dann weiter in der Sonne auf, steigt die Gefahr eines tödlichen Kollapses. Auf diese Weise kommen bei jeder Hitzewelle im Schnitt 1600 Deutsche ums Leben, im Jahrhundertsommer 2003 waren es sogar 7000. Doch woran liegt es, dass wir Hitze häufig zu spät als Gefahr erkennen?
Ist Hitze gefährlicher als Kälte?
Im menschlichen Körper befinden sich etwa 30 000 Wärmerezeptoren, aber etwa zehnmal so viele Kältesensoren, die außerdem näher an der Hautoberfläche liegen. Dadurch erreichen Warnsignale bei Kälte schneller das Gehirn als bei großer Hitze. Unser Organismus ist so eingestellt, da die Abwehrreaktionen auf Kälte sehr viel Energie kosten: Er muss durch eine erhöhte Nährstoffverbrennung die Körpertemperatur aufrechterhalten, durch das Zittern werden die Muskeln auf Betriebstemperatur gehalten. Bei großer Wärme hingegen verbrauchen wir so gut wie keine Nährstoffe, sondern hauptsächlich Wasser. Deshalb bemerken wir die Hitze-Warnzeichen häufig erst, wenn es bereits zu spät ist.
Das Tückische daran: Vor Kälte können wir uns durch Kleidung und beheizte Räume sehr viel besser schützen als vor hohen Temperaturen. Wenn es zu heiß wird, helfen uns oft nur die körpereigenen Kühlsysteme. Sie laufen auf Hochtouren, damit der Kreislauf nicht zusammenbricht. Wir verfügen übrigens noch über ein weiteres Kühlsystem, das den meisten Menschen kaum bewusst ist, und das wir daher selten gezielt einsetzen: die Nase. Beim Atmen durch die Nase wird die Luft durch die Schleimhaut auf Körpertemperatur gekühlt. Atmen wir durch den Mund, erreicht sie beinahe ungekühlt die Lunge und heizt den Körper zusätzlich auf.
Schwitzen, Wärmeableitung durch das Blut und ein spezielles Kühlsystem für das Gehirn – unser Organismus hat viele Schutzmechanismen gegen Hitze entwickelt, aber keines davon reicht aus, wenn wir uns zu lange hohen Temperaturen aussetzen. Und spätestens bei 44 Grad Celsius im Körper kollabiert jedes System – und der Mensch stirbt.
- 36,0 °C: Bis zu dieser Außentemperatur geben wir Wärme in Form von Strahlung und durch den Austausch mit der Luft ab. Ab 36 Grad kühlt dann nur noch Schweiß den Körper.
- 41,9 °C: Das ist die maximale Körpertemperatur, die unser Gehirn aushält. Bei größerer Hitze versagen wichtige Körperfunktionen, und der Organismus läuft Gefahr, auszutrocknen, weil der Mensch den Flüssigkeitshaushalt nicht mehr regulieren kann.
- 45,0 °C: Steigt die Hauttemperatur auf 45 Grad Celsius, treten bereits nach wenigen Minuten Verbrennungen ersten Grades auf.
Hitzschlag: An welchem Punkt bricht mein Kreislauf ein?
Der Mensch verfügt über ausgeklügelte Systeme, um auch bei großer Hitze die Körpertemperatur auf circa 37 Grad Celsius zu halten. Das wichtigste: das Schwitzen. Es wirkt jedoch nur da, wo Schweiß verdunsten kann und dem Körper so Wärmeenergie entzieht. Bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit funktioniert das System deshalb kaum. Daher wirkt ein Dschungel heißer als manche Wüste, trotz niedrigerer Temperaturen.
Aber gerade bei Trockenheit wird Hitze zu einem gefährlichen Feind. Bei manchen Menschen reichen wenige Minuten Anstrengung, andere können noch vierzig Kilometer in der Wüste zurücklegen. Übersteigt die Temperatur im Körperinneren allerdings 41 Grad Celsius, plagen auch Marathonläufer nach kurzer Zeit Gleichgewichtsprobleme, Atemunregelmäßigkeiten und Sehstörungen. Nur wenig später droht dann ein Kreislaufkollaps, der sogenannte Hitzschlag.
Thermorezeptoren: Wie viel Wärmescanner hat unser Körper?
Sie sind gerade mal 0,01 Millimeter groß und gegenüber den Kälterezeptoren klar in der Unterzahl: die Wärmerezeptoren unseres Körpers. In der Haut jedes Menschen befinden sich circa 30 000 dieser Wärmescanner, die sogar feinste Temperaturunterschiede von weniger als 0,1 Grad Celsius registrieren können. Sie liegen in einer etwas tieferen Hautschicht als die 300 000 Kälterezeptoren und scannen den Körper in einem Temperaturbereich von 30 bis 45 Grad Celsius. Bei höheren Temperaturen werden Hitzesensoren aktiviert.
Schweiß: Wie viel Kühlkraft steckt in einem Schweißtropfen?

Zwischen zwei und drei Millionen Schweißdrüsen sitzen auf der Haut jedes Menschen. Sie sind das wichtigste Kühlsystem des Körpers und unsere effektivste Waffe gegen Hitze. Durch das Verdunsten der Schweißtropfen auf der Haut wird dem Körper Wärmeenergie entzogen, und er kühlt ab. Wir können bei großer Hitze und Belastung bis zu vier Liter pro Stunde ausschwitzen. Das entspricht ungefähr 80 000 Tropfen Schweiß, die sich auf der Haut bilden. Jeder Einzelne dieser Tropfen hat eine Kühlenergie von 36 Kalorien. Zum Vergleich: Die Verdunstung von vier Litern Schweiß entspricht der Energiemenge, die wir täglich mit der Nahrung zu uns nehmen.
Schmerz: Woher weiß mein Gehirn, wann es zu heiß ist?
Die hochsensiblen Wärmescanner des Körpers liegen direkt an Nervenenden, die sich unter der Haut befinden. Steigt die Hauttemperatur über 30 Grad Celsius, werden sie aktiviert. Das bedeutet: Sie schicken durch den Nervenstrang ein Signal in Form eines Proteins. Über das zentrale Nervensystem im Rückenmark gelangt die Information ins Stammhirn zum Nucleus parabrachialis, einer Art Thermostat des Körpers. Schlägt er Alarm, greift die Steuerzentrale unserer Hitzeregulation ein: der Nucleus praeopticus. Er signalisiert Schmerz und löst die körpereigenen Hitzereaktionen aus: starkes Schwitzen und erhöhten Puls und Blutdruck.
Klimaanlage im Gehirn: Wie funktioniert das Kühlsystem in unserem Kopf?
Verengtes Sichtfeld, verlangsamte Reaktionen, Gleichgewichtsstörungen – das Gehirn versucht, sich bis zum letzten Moment vor einer Überhitzung auf mehr als 37 Grad Celsius zu schützen. Dazu verfügt es über das sogenannte Selective Brain Cooling System. Es schützt das Gehirn vor allem bei langfristiger Hitze durch ein ausgefeiltes System, an dem die Hirnflüssigkeit, Adern auf der Stirn und Luftkammern im Mittelohr beteiligt sind. Aber das System hat auch Leistungsgrenzen, was sich auf die Gehirngröße ausgewirkt hat. So haben Inuit beispielsweise ein durchschnittliches Hirnvolumen von 1450 cm3. Aborigines, deren Hirn in der australischen Hitze stärker gekühlt werden muss, kommen auf nur 1300 cm3.