K.o.-Tropfen: Plötzlich von allen Sinnen verlassen

K.o.-Tropfen in der Disko
K.o.-Tropfen machen das Opfer handlungsunfähig – bei höherer Dosis sogar bewusstlos Foto: Fotolia

Sie gehen gern aus? Prima – solange Sie achtgeben, was Sie trinken. K.o.-Tropfen sind kein Partymythos. Sie führen in die Bewusstlosigkeit und verändern ein Leben über Nacht.

K.o.-Tropfen wirken in höheren Dosen narkotisch

K.o.-Tropfen sind farb- und geruchlos, wenn sie in Getränke gemischt werden. In der Clubszene werden sie auch als Partydroge gehandelt, unter dem Namen „Liquid Ecstasy": "Die Substanz wirkt in niedrigen Dosen ähnlich wie Alkohol, stimulierend, euphorisierend oder auch angstlösend", sagt Florian Eyer, Leiter der Klinischen Toxikologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München. „In höheren Dosen wirken K.o.-Tropfen narkotisch." Eyer untersucht regelmäßig Patienten, die nach einer vorübergehenden Bewusstlosigkeit zu ihm kommen und sich ihren Zustand nicht erklären können. Auch wenn sich die Blackouts meist auf einen Alkoholrausch zurückführen ließen, sagt der Mediziner: „K.o. getropft werden kann jeder. Die Opfer sind oft jung, aber bunt gemischt. Frauen wie Männer." Man kommt leicht an die Tropfen ran, sie lassen sich im Internet bestellen. Man muss nur „K.o.-Tropfen kaufen" googlen.

K.o.-Tropfen machen wehrlos

Natalie ist Schauspielerin. Wenigstens das hat sich nicht geändert. Müsste sie diese eine Nacht, in der ihr Leben aus den Angeln gehoben wurde, für das Theater inszenieren, säße sie in der Mitte der Bühne. Allein. Sie würde ihre Wut herausschreien und in kurzen Texten vom Alleinsein erzählen, so stellt sie sich das manchmal vor. Aber seit jener Nacht kann Natalie nicht mehr richtig Theater spielen, weil ihr häufig die Hände zittern. Natalie wurde in einem Kölner Club mit K.o.-Tropfen betäubt und später in ihrer Wohnung vergewaltigt. Das ist vier Jahre her, die Erinnerung daran bruchstückhaft. Anfangs schienen ihr nur die Lichter bunter, sie tanzte wild. Im „Roxy", einem Club, der bis 8 Uhr morgens auf hat. Sie fühlte sich gut. Neben ihr stand der Typ, der ihr das letzte Bier ausgegeben hatte, dessen Namen sie bis heute nicht weiß. Dann wurde ihr schwindelig, und der Mann wollte gehen, schnell. Er setzte Natalie in seinen Sportwagen, einen roten Zweisitzer, da konnte sie schon nichts mehr sagen. „Ich bin noch nie zu einem Fremden ins Auto gestiegen", sagt Natalie, „ich stand vollkommen neben mir." Sie wollte aussteigen, der Mann wurde laut, Natalie war eingeschüchtert. Sie fuhren zu ihr, wie das passieren konnte, weiß sie nicht mehr. Wenig später lag sie unter ihm. Sie konnte sich nicht bewegen, versuchte, sich zu wehren, zu schreien. Vergeblich. Ein Arzt wird ihr später sagen, dass dies die typischen Begleiterscheinungen von K.o.-Tropfen sind.

K.o.-Tropfen: Die geschmacklose Gefahr

Partyschauergeschichten wie die von Natalie verbreiten sich schneller als urbane Mythen. Die typische Reaktion darauf: Mir passiert das nicht. Wer weiß schon, wo und mit wem die unterwegs war, was sie sich sonst an Drogen eingeworfen hatte? Ja, wie dumm kann man sein? Niemand will sich eingestehen, der Gefahr wie jeder andere ausgesetzt zu sein, geschweige denn sich ausmalen, wie nachhaltig eine traumatische Nacht das Leben derer verändert, die sie erleben mussten. „Mir passiert das nicht", das hat auch Natalie gedacht, bis zu jener Nacht, in der sie einen großen Schluck von dem Bier nahm. „Heute will ich sehen, wie das Bier geöffnet wird, das mir jemand ausgibt", sagt Natalie.

K.o.-Tropfen als Vergewaltigungsdroge

In den Tagen, nachdem es passiert war, versuchte sich Natalie zu beruhigen, indem sie sich vorsagte, es sei ein schlechter One-Night-Stand gewesen. Ihren Freunden und Arbeitskollegen erzählte sie nichts. Sie fühlte sich schuldig, weil sie allein tanzen gegangen war und verdrängte ihren Schock, die blauen Flecken an den Innenseiten der Oberschenkel. Aber zwei Monate später kamen Natalie die Bilder der Nacht immer noch hoch. Sie konnte nicht mehr schlafen und wählte schließlich die Nummer des Frauennotrufs. Erst dann konnte sie endlich aussprechen, was tatsächlich geschehen war: Sie war vergewaltigt worden.

Notruf für Opfer von K.o.-Tropfen

Entgegengenommen werden solche Anrufe von Frauen wie Anne Roth. Die Psychologin vom Krisenzentrum Lara in Berlin betreut drei- bis viermal im Monat Frauen, die nach einem Filmriss mit Scham- und Schuldgefühlen kämpfend Unterstützung suchen. „Sie sind sehr unsicher. Sie brauchen Menschen, die sagen: Ja, das kann tatsächlich so passiert sein", sagt Roth. Das Perfide sei, dass die meisten Frauen sich an nichts erinnern könnten und trotzdem traumatisiert seien. Es ist etwas mit ihrem Körper geschehen, und sie waren nicht bewusst dabei. Sie haben die Kontrolle verloren und müssen damit zurechtkommen, dass sie nie erfahren werden, was genau geschehen ist. „Nur ihr Körper erinnert den Vorfall", sagt Anne Roth. Er speichere den Geruch des Täters, das Licht oder die Geräusche ab, und wenn sich später eine ähnliche Situation wiederhole, reagiere er stark: „Für die Opfer ist das verwirrend, weil die nicht wissen: Woher kommt plötzlich dieser Schmerz?"

Auch Stefanie kann sich nur noch an die Kacheln in dem Badezimmer erinnern, auf denen sie lag. Sie war 17 und auf der Party eines Bekannten. Sie trank Rotwein und Erdbeerlimes, „aber nicht genug für einen mehrstündigen Filmriss", sagt die zierliche Frau. Was dann auf dem Fußboden des Badezimmers in der Münchener Villa geschehen sei, sei Rache gewesen. Sie war damals die Mollige, die in den Schwarm der Klasse verknallt war, was andere wohl anmaßend fanden. Zwei Jungs verpassten ihr einen „Denkzettel" und vergingen sich an ihr. Stefanie verdrängte den Vorfall, fühlte sich mitschuldig. Sie hat nie Anzeige erstattet. Irgendwann dachte sie, sie hätte es vergessen.

Viele Frauen empfinden die Bewusstlosigkeit durch K.o.-Tropfen wie ein schwarzes Loch

Mit Anfang zwanzig kamen die Körpererinnerungen, als sie allein Urlaub in Spanien machte. In der Jugendherberge lernte sie einen Typen kennen, mit dem sie schlief, obwohl sie gar nicht wirklich wollte. Sie wehrte sich nicht, lag nur da und hatte Flashbacks, Erinnerungsblitze. Die Gerüche und Bilder von damals legten sich über die reale Situation, in der sie sich gerade befand. „Es war, als würden zwei Filme gleichzeitig abgespielt", sagt Stefanie. Einer davon reißt in der Mitte. Dieses „schwarze Loch", wie sie es nennt, beschäftigt sie seit über zehn Jahren. Eine Therapie hilft nun der jungen Frau, ihren Alltag zu meistern. Stefanie holt gerade ihre Hochschulreife nach. Auch eine neue Beziehung kann sie sich vorstellen. „Eine normale", sagt sie. Ihr Verhältnis zu Sex hat unter ihren Erfahrungen zum Glück nicht nachhaltig gelitten.

K.o.-Tropfen führen zur Bewusstlosigkeit
Der Typ wirkte nett, der Drink schmeckte normal, doch dann wurde Natalie plötzlich schummrig – eine typische Vorgeschichte für Bewusstlosigkeit durch K.o.-Tropfen Foto: Fotolia

K.o.-Tropfen werden verharmlost

Wie bekomme ich wieder Kontrolle über mich selbst? Das ist die zentrale Frage, die Anne Roth mit den Opfern von K.o.-Tropfen behandelt. Dabei spielt das Selbstwertgefühl eine entscheidende Rolle. „Für viele betroffene Frauen ist diese Erfahrung mit einem Kontrollverlust-Erleben verbunden. Ein hoher Selbstwert kann die Verarbeitung der Gewalterfahrung erleichtern und den Mut für eine ärztliche Untersuchung fördern", sagt Roth. Stabilisierend wirke ein gutes soziales Umfeld. Familie und Freunde, die der Betroffenen glauben. Denn es gibt ja keine Beweise. K.o.-Tropfen lassen sich lediglich sechs bis acht Stunden nach Einnahme im Urin nachweisen. Doch bis die Frauen zu sich gekommen sind und merken, dass sich ihr Zustand nicht mit ein paar Schnäpsen erklären lässt, ist diese Zeit meist um. Seit 2006 kamen 125 Patienten ins Klinikum rechts der Isar in München mit Verdacht auf Einnahme von „Liquid Ecstasy", nur bei einem ließ sich die K.o.-Substanz nachweisen. Ähnlich niedrig sind die Zahlen der nachweisbaren Fälle in der Uniklinik Hamburg und der Charité in Berlin. Mediziner, Kriminalbeamte und Psychologen verweisen immer wieder darauf, dass die Dunkelziffer der Opfer wesentlich höher liegt und K.o.-Tropfen viel zu oft verharmlost werden. Offizielle Zahlen sagen kaum etwas über ihre Verbreitung aus – auch, weil nur selten Fälle zur Anzeige gebracht werden. Natalie aus Köln hat den Täter zwei Monate später angezeigt – als sie sich endlich zutraute, eine polizeiliche Vernehmung durchzustehen, ohne sich schämen zu müssen. Der Mann, der sie im „Roxy" mit K.o.-Tropfen betäubt hatte, wurde nicht gefunden. Er entspricht dem typischen Täterprofil, so wie es Dirk Jacob aus den Akten kennt. Der Kriminalbeamte vom LKA in Berlin nennt diesen Verbrechertyp den „flüchtigen Bekannten". Überall dort, wo Menschen spontan zusammen Alkohol trinken, sei die Gefahr gegeben, mit K.o.-Tropfen vergiftet zu werden. In den Kneipen und Clubs. Auf Volksfesten wie dem Münchner Oktoberfest, auf Kreuzfahrtschiffen, auf Weihnachtsmärkten. Sogar auf Geschäftsreisen. Für den Täter ist das Risiko, entdeckt zu werden, gering. Die Opfer wirken schlicht betrunken. In der feiernden Menge fallen sie nicht auf, der Unbekannte kann die hilflosen Frauen leicht abschleppen – und wirkt sogar noch wie ein Freund, der sich kümmert. Was den Frauen außer ihrer Erinnerung noch fehlt, ist das feindliche Gegenüber, gegen das sich Wut und Hass richten können. Und das sie später erst recht nicht identifizieren können. Sie fühlen sich auch lange nach dem Vorfall beobachtet.

Betroffene fühlen sich nach so einem Kontrollverlust häufig allein gelassen

So wie Anke, die wie Stefanie und Natalie dieses „schwarze Loch" verarbeiten muss. Nur noch seine Silhouette ist im Gedächtnis der 23-jährigen gespeichert, mehr nicht. Anke war 19, als sie erst ihr Bewusstsein und dann ihre Unschuld verlor. In einem weißen Hochhaus mit „bunten Kringeln", das weiß sie noch. Bis heute sucht sie dieses Haus. Anke fehlen fünf Stunden in ihrer Erinnerung. Manchmal sieht sie sich über Baumwurzeln stolpern. Es sind kurze Flashbacks. Sie sieht dann den Mann von hinten, der in ein Café ging, am Neujahrsmorgen 2010, und sie desorientiert an einer Bushaltestelle zurückließ. Wochen später fuhr sie zusammen mit Freundinnen noch einmal in die Bar, wo sie ihren Peiniger getroffen hatte. Sie fragten die Leute dort, ob sie sie gesehen hätten und vor allem den Mann, der bei ihr war, der ihr die K.o.-Tropfen in den Drink geschüttet haben muss. Aber Fehlanzeige. Inzwischen will Anna die Nacht am liebsten vergessen. Sie hat ihrem Freund davon erzählt, mit dem sie eine gute Beziehung führt. Er habe zurückhaltend reagiert. Da habe sie verstanden, dass die Erfahrung nur sie allein belastet: „Keine meiner Freundinnen kann sich vorstellen, was so ein Kontrollverlust mit einem macht."

Natalie wäre gern einmal gefragt worden: Wie geht es dir? Die Schauspielerin fühlte sich allein gelassen. Ihre damalige beste Freundin traute sich nicht, mit ihr über diese Nacht zu reden, und noch nicht mal, nur zuzuhören. Da ist so viel Wut in Natalie, die raus muss. Über ihre gleichgültige Umwelt, über den, der ihr das angetan hat. Sie will Frauen stärken, die Ähnliches erlebt haben und hat deshalb eine Homepage eingerichtet: jenseitsder-ohnmacht.de. Natalie will ihrer Erfahrung „ein Gesicht geben", wie sie schreibt, und „die Gesellschaft aufrütteln". Denn k.o. getropft zu werden ist keine Schande, sondern ein Verbrechen, das eine unserer kostbarsten Fähigkeiten bedroht: zu vertrauen.

K.o.-Tropfen: Was ist drin, wie wirken sie?

K.o.-Tropfen können unterschiedliche Substanzen enthalten. Häufigste Wirkstoffe sind Gamma-Hydroxy-Buttersäure, kurz GHB, oder Gamma-Butyrolacton (GBL), die sich in Reinigungsmitteln und Lösemitteln finden. Ihre Wirkung hängt von der Dosis ab, die sich meist im Milliliter-Bereich bewegt. Die Tropfen machen das Opfer handlungsunfähig, bei höherer Dosis bewusstlos. Nach 10-20 Minuten verursachen sie Schwindelgefühle und Übelkeit, bei manchen wirken sie enthemmend. Die Opfer können normal reden und sich bewegen. Der Blackout kommt später. Die Betroffenen können sich dann gar nicht mehr oder nur bruchstückhaft an das Geschehene erinnern. GHB und GBL lassen sich 6-8 Stunden nach der Einnahme im Urin nachweisen. Deshalb sollte man bei Verdacht auf K.o.-Tropfen eine Urinprobe nehmen und sie in den Kühlschrank stellen. So verlängert sich die Nachweisbarkeit auf bis zu 14 Stunden.

Wie schützt man sich vor Bewusstlosigkeit durch K.o-Tropfen?

  • Aufmerksam sein. Keine offenen Drinks von Fremden annehmen. Vor allem bei ersten Verabredungen ist Vorsicht geboten, bei Blind-Dates und Treffen mit Internet-Bekanntschaften.
  • Geöffnete Flaschen in Clubs nicht unbeaufsichtigt stehen lassen. Wer auf die Toilette geht, sollte sein Getränk der Freundin oder dem Freund anvertrauen.
  • Wem übel wird, wer sich plötzlich müde und „wie in Watte gepackt" fühlt, sollte dem Personal oder den Freunden Bescheid geben und sofort (!) zum Arzt gehen.
  • Weitere Hilfe finden Betroffene bei Frauenhäusern, Frauennotrufen und Opferverbänden wie beispielsweise „Der weiße Ring".

*Namen von der Redaktion geändert