Knieschmerzen: Wann ist ein künstliches Gelenk notwendig?

Aus der Serie: Knieschmerzen

Knieschmerzen und Gelenkprobleme wie Verschleiß, Arthritis und Verknöcherung: Viele Ärzte raten vorschnell zur OP. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Knie-, Hüft- oder Schulter-OP? Der Gelenkspezialist Dr. Thorsten Gehrke erklärt, wann ein künstliches Gelenk in Betracht gezogen werden muss.

Operation eines künstlichen Hüftgelenks: Mit einem Bohrer macht sich der Arzt am Oberschenkelknochen seiner Patientin zu schaffen. In das Loch will er anschließend den unteren Teil des künstlichen Gelenks aus Titan einsetzen. Doch es geht etwas schief: Im Knochen bildet sich ein Riss. Damit beginnt für Gisela Winter (83) ein jahrelanger Leidensweg mit mehreren Krankenhausaufenthalten und weiteren Operationen.

"Unverständlich", so bezeichnet ein medizinischer Gutachter später das Vorgehen das Arztes. Schon die Operation sei unnötig gewesen, die Risiken bei einer 83-Jährigen hingegen wohlbekannt. Aber das ist kein Einzelfall. Von den etwa 15 Millionen Operationen, die jedes Jahr in Deutschland durchgeführt werden, sind Hunderttausende nicht notwendig – zumindest nicht aus medizinischen Gründen.

Prof. Dr. Thorsten Gehrke, Chefarzt und ärtzlicher Direktor der Helios Endo-Klinik, Hamburg
Dr. Thorsten Gehrke, Chefarzt und ärtzlicher Direktor der Helios Endo-Klinik, Hamburg "Wenn die Lebensqualität durch Schmerzen im Knie stark eingeschränkt ist, sollte ein künstliches Gelenk eingestzt werden" Foto: Privat

Der Top-Experte Dr. Thorsten Gehrke von der Helios Endo-Klinik in Hamburg verrät, wann ein künstliches Gelenk wirklich sinnvoll ist und was Sie dabei beachten sollten.

Neues Kniegelenk: Wie verrät Ihnen der Schlaf, ob Sie wirklich ein künstliches Gelenk benötigen?

Für das Knie gilt das Gleiche wie für alle anderen Gelenke auch: Vor einer Operation steht immer eine 3-Stufen-Therapie. Auf der ersten Stufe versucht man, die Probleme mit Krankengymnastik zu behandeln. Wenn das nicht hilft, folgt die sogenannte Gelenktoilette: Das Gelenk wird von innen mithilfe einer Arthroskopie von allem, was die Beweglichkeit einschränkt, gereinigt. In manchen Fällen hilft auch die operative Veränderung des Gelenks, das heißt, die Belastung wird auf gesunde Teile umgeleitet. Wenn das alles nichts bringt und sowohl die Beweglichkeit als auch die Lebensqualität durch Schmerzen stark eingeschränkt sind, sollte ein künstliches Gelenk eingesetzt werden. Deutliche Anzeichen dafür sind Schlafstörungen aufgrund von Knieschmerzen und Probleme beim Fahrradfahren und Treppensteigen – wenn das Knie nicht mehr weiter als um 90 Grad gebeugt werden kann. Die Operation dauert in der Regel ein bis zwei Stunden. Danach müssen Patienten noch etwa ein bis zwei Wochen im Krankenhaus bleiben. Nach gut drei Monaten ist das Knie wieder voll belastungsfähig. Die Prothese hält 15 bis 20 Jahre.

Schulter: Wie verrät Ihre Frisur, ob Sie ein künstliches Gelenk brauchen?

Neben dem altersbedingten Verschleiß ist Rheuma der schlimmste Feind der Schulter. Es zerstört das Gelenk unaufhaltsam. Im Extremfall reiben Oberarmkopf und Gelenkpfanne knöchern aufeinander. Dies führt zu einer Entzündung und einer zunehmenden Bewegungseinschränkung – vor allem, wenn das Gelenk zusätzliche Knochenanbauten, sogenannte Osteophyten, ausbildet. Die Diagnose erfolgt per Röntgen.

Über den Einsatz eines künstlichen Gelenks sollten Betroffene allerdings erst dann nachdenken, wenn sie im Alltag stark behindert werden. Die Frisur beispielsweise kann erste Hinweise geben: Betroffene schaffen es nicht mehr, den Arm so hoch zu heben, dass sie sich kämmen können. Weiteres Anzeichen: Probleme mit der Körperhygiene – manche Stellen erreichen die Betroffenen einfach nicht mehr mit den Händen. In solchen Fällen raten Ärzte in der Regel zur Gelenkprothese.

Der Eingriff wird üblicherweise mit einer örtlichen Betäubung durchgeführt. Für eine exakte Positionierung haben Chirurgen spezielle Schablonen und Schienen entwickelt, die jeden Schritt des Eingriffs führen und sichern. Zunächst wird der Oberarmkopf abgesägt. Später wird an seiner Stelle eine Metallkappe eingesetzt. Doch zuerst wird das Gegenstück, die künstliche Gelenkpfanne aus Kunststoff, eingesetzt. Moderne Prothesen richten sich selbst im Gelenk aus. Dadurch kann ein künstliches Gelenk länger als 30 Jahre halten.

Künstliches Kniegelenk
Moderne Prothesen richten sich selbst im Gelenk aus. Dadurch kann das künstliche Gelenk länger als 30 Jahre halten Foto: istock

Hüfte: Wie decken Rückenschmerzen einen Hüftschaden auf?

Jeder fünfte künstliche Hüft-Ersatz ist überflüssig. Denn oft ist nicht Gelenkverschleiß für Schmerzen und Bewegungseinschränkungen verantwortlich, sondern Knochenverdickungen an der Hüftpfanne oder am Hüftkopf, auch „Nockenwellen- oder Cam-Impingement" genannt. Diese Defekte sind nur schwer zu erkennen, werden von Ärzten oft übersehen. Folge: Sie stellen die Fehldiagnose Arthrose – und empfehlen eine Prothese. Notwendig ist diese allerdings frühestens dann, wenn der Knorpel, der Oberschenkelhalskopf und die Hüftpfanne schwer geschädigt sind. Ein versteckter Hinweis auf einen massiven Hüftschaden sind Rückenschmerzen ohne erkennbaren Grund. Denn die Betroffenen entwickeln häufig Fehlhaltungen, um Hüftschmerzen zu vermeiden. Ein weiterer Indikator: Sie können sich nicht mehr selbst die Schuhe zubinden. Jede Beugung der Hüfte um mehr als 90 Grad bereitet Schmerzen.

Die Hüft-OP ist eine Routine-Operation. Sie wird bei Voll- oder Rückenmarksnarkose durchgeführt und dauert etwa eine Stunde. Das Gelenk wird dabei durch einen Keramik-Hüftkopf in einer Pfanne aus Kunststoff ersetzt. Die verwendeten Materialien wurden in den letzten Jahren enorm verbessert, daher halten Prothesen bis zu 20 Jahre lang.

Künstliches Knie- und Hüftgelenk
Über den Einsatz eines künstlichen Gelenks sollten Betroffene erst dann nachdenken, wenn sie im Alltag stark behindert werden Foto: istock

Wie läuft denn eine Hüftgelenksoperation genau ab?

Am Tag vor der Operation werden letzte Voruntersuchungen wie z.B. die Hüftbeweglichkeit und Feststellung der Beinlänge durchgeführt. Der Patient füllt den Fragebogen eines Narkosearztes aus. Am OP-Tag wird der Patient um 10.15 Uhr in einem Krankenhausbett in den OP-Bereich gebracht. Zuerst einmal in den Einleitungsraum, wo bereits das Narkose-Team wartet.

Gegen 10.25 Uhr wird die Narkose eingeleitet. Der Narkosearzt legt einen Venenzugang für das Narkosemittel, meist auf dem Handrücken des Patienten und leitet die Betäubung ein. Um 10.30 Uhr kommt der Chirurg, der die Operation – sofern möglich – durchführt. Dabei wird die schonendste OP-Technik gewählt: Hierfür reicht ein zehn Zentimeter langer Hautschnitt. Bei unkompliziertem Verlauf dauert der Eingriff etwa 30 bis 40 Minuten.

Unmittelbar nach dem Eingriff ist es wichtig, dass der Patient das sichere Stehen auf dem operierten Bein übt. Dann folgen die ersten Schritte auf den Krücken, denn wieder beweglich zu werden ist das Ziel nach der Entlassung. Dafür wird der Patient noch etwa drei Wochen ambulant behandelt.

Im Interview: Dr. Thorsten Gehrke
Chefarzt und ärtzlicher Direktor der Helios Endo-Klinik, Hamburg.

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