Jüngstes Frühchen: „Sie wollte einfach nur leben“
„Ein Wunder“ nennen Courtney Stensrud und ihr Ehemann ihre kleine Tochter. Dass die Dreijährige wie ihre Altersgenossen ihre Puppen anziehen, mit ihrem Bruder spielen und in den Kindergarten gehen kann, ist tatsächlich eine medizinische Sensation.
Das Mädchen, dessen Namen ihre Eltern nicht nennen möchten, kam 2014 in der 22. Schwangerschaftswoche zur Welt – 21 Wochen und vier Tage nach der errechneten Empfängnis. Damit ist sie das jüngste überlebende Frühchen, über das bisher berichtet wurde.
Bei Stensrud setzten aufgrund einer sogenannten intra-amniotischen Infektion (Entzündung von den Fötus umgebendem Gewebe oder Flüssigkeit – z.B. der Plazenta oder des Fruchtwassers) in der 22. Schwangerschaftswoche die Wehen ein.
Voller Panik suchte die werdende Mutter online nach anderen Beispielen von so extrem früh geborenen Babys in der Hoffnung, auf eine Geschichte mit gutem Ausgang zu stoßen.
„Es gab Geschichten von 22-wöchigen, 23-wöchigen, aber nicht von 21-wöchigen Frühchen“, erzählt die 35-Jährige gegenüber CNN. „Da wusste ich, dass es mit 21 Wochen wenig oder gar keine Chancen für Überleben oder Lebensfähigkeit gibt.“
Geburtsgewicht 410 Gramm
Ihre kleine Tochter kam zur Welt – mit einem Geburtsgewicht von 410 Gramm. Als ihr behandelnder Arzt Dr. Kaashif Ahmad nach der Geburt mit ihr sprach, riet er ihr aufgrund der extrem geringen Überlebenschancen von lebenserhaltenden Maßnahmen ab.
Stensrud hörte ihm zu, ihre winzige Tochter im Arm. „Obwohl ich ihn hörte, fühlte ich einfach etwas in mir sagen ‚Hoffe und glaube.’ Es war mir egal, dass sie erst 21 Wochen und vier Tage alt war. Das interessierte mich nicht“, so Stensrud. „Werden Sie es versuchen?“, fragte sie ihren Arzt.
Er versuchte es – obwohl er keinen Anlass hatte, an das Überleben des kleinen Mädchens zu glauben. „Wir legten sie unter eine Wärmelampe, wir suchten und fanden einen Herzschlag, den wir gar nicht unbedingt erwartet hatten“, so Ahmad. „Wir führten sofort einen Beatmungsschlauch in ihre Atemwege ein. Wir fingen an, ihr Sauerstoff zu geben und ihr Herzschlag begann ziemlich schnell kräftiger zu werden. Ihre Hautfarbe wechselte ganz langsam von blau zu rosa und innerhalb weniger Minuten begann sie tatsächlich zu atmen und sich zu bewegen.“
„Wie eine normale Dreijährige“
126 Tage nach ihrer Geburt durfte das kleine Mädchen das Krankenhaus verlassen – das war etwa der Zeitpunkt, zu dem sie normalerweise zur Welt gekommen wäre. Bei ihrer Entlassung wog sie 2.519 Gramm.

Sie entwickelte sich auch weiterhin erstaunlich gut – und trug keine bleibenden Schäden davon. „Wenn man nicht wüsste, dass sie solch ein Frühchen ist, würde man denken, sie sei eine normale Dreijährige“, sagte Stensrud. „Sie liebt es mit anderen Kindern zu spielen. Sie liebt alles, was ein normales dreijähriges Kind mag. Sie liebt ihre Babypuppen, sie liebt Bücher und sie liebt Fantasiewelten. Sie liebt alles, was ihr (älterer) Bruder macht.“
Überleben bei so extremen Frühgeburten unwahrscheinlich
Ahmad und seine Kollegen berichten jetzt in dem Fachmagazin „Pediatrics“ über den Fall. Der Arzt warnt jedoch davor, ihn zu verallgemeinern – denn Stensruds kleine Tochter hatte sehr viel Glück. „Es ist durchaus möglich, dass bereits bei anderen 21-wöchigen Babys lebenserhaltende Maßnahmen getroffen wurden, aber keinen positiven Ausgang hatten – darum haben wir nicht von ihnen gehört.“
Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit für einen guten Ausgang bei extremen Frühgeburten desto kleiner, je niedriger das sogenannte Gestationsalter ist. Während die Überlebenschance für in der 24. oder 25. Schwangerschaftswoche geborene Kinder bei 70-85 Prozent liegt, beträgt sie bei in Woche 28 oder 29 geborenen Babys schon 90 Prozent. Das liegt vor allem an der Lungenreife – denn die Lunge bildet sich erst relativ spät vollständig aus. Es gibt aber noch weitere Faktoren, die den Frühgeborenen den Start ins Leben erschweren – so macht etwa ihr noch unreifes Immunsystem sie besonders anfällig für Infektionen.
Doch die Überlebensraten extrem früh geborener Babys steigen aufgrund des medizinischen Fortschritts stetig an. Stensrud wollte mit ihrem Schritt an die Öffentlichkeit anderen Eltern Mut machen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden und nach einem Hoffnungsschimmer suchen.
„Von dem Moment, als sie diese Welt betrat, wollte sie einfach nur leben“, sagt sie über ihre kleine Tochter. „Jetzt lebt sie ihr Leben.“