Jens Spahn: Wie viel Wahrheit steckt in dem Minister

Jens Spahn ist seit einem Jahr als Gesundheitsminister im Amt. Seither haben seine Aussagen für Empörung gesorgt – wir haben die vier wichtigsten davon unter die Lupe genommen. 

Jens Spahn
Jens Spahn ist seit einem Jahr als Gesundheitsminister im Amt Foto: Michele Tantussi/Getty Images

In seinem ersten Jahr als Gesundheitsminister hat Jens Spahn (CDU) mit seinen Äußerungen nicht nur Beifall geerntet. Doch waren seine Aussagen faktisch richtig oder nur leere Provokationen?

Jens Spahn bei Hart aber fair am 19.3.2018: „Die allermeisten Deutschen schätzen das System.“

Dabei bezog sich Jens Spahn auf die Trennung zwischen gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen. Seine Aussage zur Anerkennung des Systems in der Bevölkerung ist allerdings nicht korrekt. Umfragen zufolge wünschen sich knapp zwei Drittel der Deutschen die Einführung einer Bürgerversicherung – also die Aufhebung dieser Trennung.

Demnach empfinden 51 Prozent der Deutschen das Gesundheitssystem hierzulande als ungerecht. Die Qualität der Gesundheitsversorgung hingegen wird tatsächlich von der Mehrheit der Bundesbürger (56 Prozent) als hoch eingestuft.

Jens Spahn in der Augsburger Allgemeinen am 20.9.2018: „Wenn von einer Million Pflegekräfte 100.000 nur drei, vier Stunden mehr pro Woche arbeiten würden, wäre schon viel gewonnen.“

Jens Spahn schilderte der Augsburger Allgemeinen gegenüber seine Pläne, Pflegekräfte mit besseren Bedingungen zur Mehrarbeit zu motivieren. Seine Aussage erntete viel Kritik, vor allem unter Pflegekräften. Sie empfanden die Darstellung als zu kurz gefasst: In deutlich mehr als der Hälfte der Pflegeeinrichtungen in Deutschland gibt es unbesetzte Stellen; insgesamt sind in der Pflege bundesweit 38.000 Stellen offen. Tatsächlich arbeitet eine Großzahl der Pflegekräfte in Teilzeit – doch das hat seine Gründe. Zum einen stellen viele Einrichtungen bevorzugt Teilzeitkräfte ein mit dem Argument, diese ließen sich im Krankheitsfall besser ersetzen. Zum anderen fühlen sich viele Pflegekräfte aufgrund der hohen Arbeitsbelastung einer Vollzeitstelle nicht gewachsen. 

Eine Umfrage von ver.di und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ergab, dass Pflegekräfte deutlich stärker von überbordender Arbeitsmenge und Zeitdruck betroffen sind als der Durchschnitt aller Berufsgruppen. Demnach fühlen sich 80 Prozent der Krankenpflegerinnen und -pfleger bei der Arbeit oft gehetzt – 49 Prozent von ihnen geben an, häufig Abstriche bei der Qualität ihrer Arbeit zu machen, um die Arbeitsmenge bewältigen zu können. Der in Deutschland übliche Personalschlüssel in der Pflege erklärt die Überlastung: Im Schnitt hat eine Pflegekraft hierzulande 13 Patienten zu betreuen. Zum Vergleich: In den Niederlanden kommen auf eine Pflegekraft sieben Patienten.

Spahn fühlte sich nach den heftigen Reaktionen auf seine Äußerung missverstanden – er habe nie gesagt, Pflegekräfte sollten einfach mehr arbeiten. Stattdessen sei es ihm vor allem um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gegangen.

Jens Spahn in der Rheinischen Post am 1.2.2019: „Es gibt gute Chancen, dass wir in zehn bis 20 Jahren den Krebs besiegt haben.“

Spahn berief sich dabei auf die Fortschritte der Medizin in den vergangenen Jahren – die Krebserkennung und Prävention schreite immer weiter voran. Doch so gern wir alle dieser Aussage glauben würden – Experten widersprechen ihr. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz warf Jens Spahn Verantwortungslosigkeit vor und verwies darauf, dass sich die Zahl der Krebs-Neuerkrankungen seit den 1970-er Jahren fast verdoppelt hat. Demnach erkranken jedes Jahr knapp 500.000 Menschen neu und rund 220.000 Menschen sterben jährlich an Krebs.

Jens Spahn twitterte am Weltkrebstag am 4.2.2019: „Jeder kann seinen persönlichen Kampf gegen Krebs heute beginnen. Wie? So: Nicht (mehr) rauchen, sich mehr bewegen, gesund ernähren und die Haut vor UV-Strahlung schützen (Sonnencreme)!“

Viele Menschen reagierten skeptisch auf diese Äußerungen – und twitterten die Geschichten ihrer Familienangehörigen, die trotz eines gesunden Lebensstils an Krebs gestorben waren. Sie störten sich an der suggerierten Annahme, jeder habe sein Krebsrisiko selbst in der Hand. Tatsächlich zeigte eine 2015 veröffentlichte Studie: Rund zwei Drittel aller Krebserkrankungen sind schlichtweg Pech – sie entstehen durch zufällige Mutationen im Zuge der Zellteilung. Es gibt zwar Krebserkrankungen, auf deren Risiko wir Einfluss haben – wie groß dieser Einfluss ist, unterschiedet sich zwischen den einzelnen Krebsarten. Dennoch gibt es immer auch eine Reihe von Faktoren, die wir nicht in der Hand haben, etwa unsere erbliche Vorbelastung.

Die Reaktionen auf Twitter mündeten schließlich in einen Shitstorm, in dem die Kommentatoren auch beleidigend wurden. Spahn entschuldigte sich später für seine Äußerungen und betonte, er habe nicht die Absicht gehabt, den Erkrankten eine Mitschuld zu geben oder Krebs zu verharmlosen.

Quellen:
YouGov-Umfrage (2018): Einstellung zur Bürgerversicherung.

Institut DGB-Index Gute Arbeit (2018): Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege. So beurteilen die Beschäftigten die Lage. Ergebnisse einer Sonderauswertung der Repräsentativumfragen zum DGB-Index Gute Arbeit.

Tomasetti, Cristian, and Bert Vogelstein (2015): Variation in cancer risk among tissues can be explained by the number of stem cell divisions, in: Science.