Ist der Schneidersitz gesund? Das sagt der Experte!
Schmerzen in den Knien, Ziehen im Rücken, Brennen in der Hüfte: Ist der Schneidersitz wirklich gesund? Ja und Nein. Unser Experte erklärt, welche Vor- und Nachteile der Schneidersitz hat.
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Auf die Frage, ob der Schneidersitz gesund ist, gibt es keine universelle Antwort. Er kann gesund sein, kann Ihre Muskeln, Sehnen und Gelenke aber auch belasten. Wir haben Dr. Martin Rinio, Facharzt für Orthopädie, zum Interview getroffen und ihn um Fakten und Tipps zum gesunden Schneidersitz gebeten.
Darum ist der Schneidersitz gesund
"Anatomisch bietet der Schneidersitz durchaus einige Vorteile, vor allem durch die Dehnung der Bauch-, Hüft- sowie der Oberschenkelmuskeln", betont Dr. Rinio. Die Dehnung regt die Durchblutung an, was wiederum zu einer verbesserten Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen im Körper führt. Zusätzlich werden die beanspruchten Muskelgruppen im Bauch-, Brust-, Rücken- und Hüftbereich nicht nur gedehnt, sondern auch gestärkt. In der Folge verbessert sich Ihre Körperhaltung.
Ein weiterer großer Vorteil des Schneidersitzes betrifft die Psyche. Im Schneidersitz fällt den meisten Menschen das Abschalten leichter. Durch die bewusste Haltung, das Aufrichten des Oberkörpers und die Dehnung der Hüftregion wird automatisch die Atmung tiefer. Konzentrieren Sie sich dann auf eine ruhige, tiefe Atmung, rasen die Gedanken nicht mehr, Sie entspannen sich. Nicht umsonst ist der Schneidersitz eine beliebte Pose zum Meditieren. Wer regelmäßig im Schneidersitz entspannt, wird bald schon spüren, dass die gelassenere Haltung auch nach dem Aufstehen bestehen bleibt.
Wie sitzt man im Schneidersitz?
Im Yoga nennt man den Schneidersitz auch Easy Pose oder Sukhasana. Tatsächlich ist es sehr leicht, im Schneidersitz gesund zu sitzen.
Folgen Sie dieser Step-by-Step-Anleitung:
- Setzen Sie sich auf den Boden
- Winkeln Sie die Beine überkreuzt an – die Zehen (wenn möglich) unter dem jeweils gegenüberliegenden Knie positionieren
- Achten Sie auf einen geraden Rücken, lassen Sie die Schultern fallen
- Schieben Sie das Becken leicht nach vorne, den Bauchnabel sanft einziehen
- Die Arme können auf den Knien abgelegt werden

Schließen Sie die Augen und richten Sie Ihre ganze Konzentration auf Ihren Atem. Stellen Sie sich vor, wie die Luft durch die Nase oder den Mund ein- und ausströmt. Die Erholung im Schneidersitz vertieft sich, wenn Sie den Kiefer entspannen, die Zunge bewusst vom Gaumen lösen und das Kinn sanft in Richtung Brustbein sinken lassen.
Nicht jedes Sitzen mit verschränkten Beinen ist ein Schneidersitz. Gerade Yoga-Liebhaber:innen sitzen gerne im Lotussitz. Dieser ist dem Schneidersitz zwar ähnlich und richtig angewendet auch gesund – identisch sind die beiden Sitzvarianten allerdings nicht. "Vereinfacht ausgedrückt, befinden sich im Schneidersitz die Füße unterhalb, im Lotussitz oberhalb der Oberschenkel", erklärt Dr. Rinio. "Beide Positionen haben ihre grundlegenden Vor- und Nachteile: Der Schneidersitz belastet Knie, Sprunggelenk und Hüfte zwar kaum, ist dafür aber ungünstig für die Wirbelsäule (aufgrund des Rundrückens). Beim Lotussitz ist es genau umgekehrt. Er ermöglicht aufgrund der Beckenkippung nach vorne das Aufrichten der Wirbelsäule. Dafür werden hierbei die Gelenke mehr strapaziert."

Schneidersitz: Schmerzen nicht aushalten
Wer als Schneidersitz-Neuling nicht direkt in die Pose findet, kann verschiedene Hilfsmittel nutzen, die das Sitzen angenehmer machen. Sind Ihre Hüften den geöffneten Sitz noch nicht gewohnt und deswegen etwas steif, hilft es, sich leicht erhöht auf eine gefaltete Decke oder ein stabiles Kissen zu setzen. So kippt das Becken leichter nach vorne und die Wirbelsäule richtet sich auf.
Plagen Sie im Schneidersitz Rückenschmerzen, lehnen Sie sich gegen eine Wand – das entlastet den Rücken. Bei Schmerzen in den Knien hilft es, den Sitz zu vergrößern. Dabei können entweder die Beine weniger gekreuzt werden, sodass die Füße eher in der Mitte des gegenüberliegenden Unterschenkels oder sogar auf Höhe des Sprunggelenks ruhen. Oder man kann die Unterschenkel nach vorne schieben, bis die Schmerzen verschwinden. Dann liegen die Zehen nicht mehr unter den Knien, sondern unter den Unterschenkeln des jeweils gegenüberliegenden Beines.
Eine Faustregel gilt laut Dr. Rinio allerdings: "Treten im Schneidersitz Schmerzen auf, sollte umgehend die Sitzposition geändert werden."
Nicht im Schneidersitz verharren
Obwohl der Schneidersitz gesund und einfach einzunehmen ist, sollten gerade Neulinge es nicht übertreiben. Auch wenn keine Schmerzen auftreten, ist stundenlanges Sitzen in der Easy Pose nicht gesund.
"Von einem zu häufigen und zu langen Verharren im Schneidersitz ist abzuraten", betont Dr. Rinio im Interview mit Praxisvita. "Am besten alle zehn, 15 Minuten in eine andere Sitzposition übergehen. Dabei empfiehlt es sich, kontinuierlich zwischen aufrechter, vorgeneigter und zurückgelehnter Haltung zu wechseln. Gut ist es zudem, das Gewicht des Öfteren von der einen auf die andere Gesäßhälfte zu verlagern. Das regt den Stoffwechsel an und verhindert einseitige Belastungen."
Bei Gelenkproblemen ist der Schneidersitz ungesund
Grundsätzlich kann der Schneidersitz all jenen empfohlen werden, die nicht schon (diagnostizierte) Gelenk-, Knie- oder Rückenprobleme haben. Bei bestehenden Problemen gelten allerdings Einschränkungen.
Menschen, die an Arthrose leiden, sollten auf den Schneidersitz verzichten oder zumindest vorher mit ihrer Ärztin/ihrem Arzt darüber sprechen und sich Tipps holen.
Auch für Personen, die Probleme mit oder Verletzungen am Meniskus oder Rücken haben, ist der Schneidersitz nicht gesund. "Wer Rückenprobleme hat – vor allem mit dem Gleitwirbel –, sollte besser ganz darauf verzichten. Menschen mit Knieproblemen sollten von dieser, den Meniskus unnötig strapazierenden Sitzposition ebenfalls absehen", rät Dr. Rinio.
Schneidersitz 2.0: Gesundes Sitzen mit diesem Trick
Seinen Namen verdankt der Schneidersitz tatsächlich den Schneidern, die früher mit überkreuzten Beinen auf Tischen gehockt und gearbeitet haben. Das erhöhte Sitzen auf dem Tisch verhinderte, dass die teils teuren Stoffe auf den Boden fielen.
Auch heute kann das Sitzen auf dem Tisch die Gesundheit fördern, wie Dr. Rinio verrät. Dabei muss man allerdings nicht im Schneidersitz die Beine überkreuzen. Ganz im Gegenteil: "Lassen Sie möglichst mehrmals täglich auf dem Tisch sitzend die Beine frei schwingen. Dadurch verteilt sich die Gelenkschmiere über die gesamte Knorpelfläche des Kniegelenks. Die Versorgung des Knorpels mit Nährstoffen wird dadurch deutlich verbessert."
Frei schwingende Beine kombiniert mit dem Schneidersitz: So gesund kann Sitzen sein.
Unser Experte: Dr. Martin Rinio ist Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie. Als Ärztlicher Direktor der Gelenk-Klinik Gundelfingen ist er ausgewiesener Experte in den Behandlungsschwerpunkten Hüftgelenkchirurgie sowie Fuß- und Sprunggelenkchirurgie.