Instarexie: Wenn Instagram zur Anorexie führt
Instagram als Auslöser einer Essstörung? Heutzutage holen sich viele junge Menschen Inspirationen auf Social-Media-Plattformen wie Instagram. Doch die dauerhafte Präsenz schlanker, durchtrainierter, scheinbar perfekter Menschen auf diesem Kanal kann zur sogenannten "Instarexie" führen – einer Anorexie (auch: Magersucht) ausgelöst durch die Foto-Plattform. Was Betroffene und gefährdete Social-Media-Nutzer tun können.
- Instarexie – was bedeutet das?
- Instarexie: ein anerkanntes Krankheitsbild?
- Erste Anzeichen: Woran merke ich, dass ich unter Instarexie leide?
- Fortgeschrittene Symptome
- Instagram – Fluch und Segen zugleich?
- Instarexie: Was können Betroffene tun?
- Studie zu Instagram-Nutzung und Essstörungen
- Vorbeugungsmaßnahmen: Tipps im Umgang mit sozialen Medien
- Was könnten Instagram bzw. Influencern tun?
Instarexie – was bedeutet das?
Anfangs will man sich auf Instagram nur kleine Ernährungstipps holen, sich inspirieren lassen. Doch wenn man auf die falschen Seiten stößt und sich zusätzlich gerade in einer schwierigen Lebenssituation oder Krise befindet, ist Vorsicht geboten. Viele junge Menschen – besonders junge Frauen und Mädchen – lassen sich heute von der scheinbar perfekten Welt der Influencer/innen und deren scheinbar idealen Körpern blenden. Sie imitieren ihren Lebensstil, wollen genauso makellos werden, kopieren die sportlichen Routinen, kopieren das Essverhalten.
Instarexie: ein anerkanntes Krankheitsbild?
Nicht wirklich. “Instarexie ist in dem Sinne keine Essstörung”, sagt Martina Hartlage, die junge Menschen mit Essstörungen bei Dick & Dünn e.V. in Berlin berät. “Es handelt sich vielmehr um eine Wortneuschöpfung aus Instagram und Anorexie. Gemeint ist damit die Sucht nach sogenannten ‘Welfies’ (Workout & Selfies), die die Sportler zu immer extremeren Diäten bis in die Essstörung treibt.”
Erste Anzeichen: Woran merke ich, dass ich unter Instarexie leide?
Eines sei an dieser Stelle gesagt: Nicht jeder, der regelmäßig auf Instagram seine liebsten Fitness-Influencer verfolgt, ist gefährdet, eine Instarexie zu entwickeln. Die Anfälligkeit ist ganz individuell und von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Doch wie merke ich, dass mein Verhalten nicht mehr im normalen Bereich liegt? “Im Grunde genommen sind hier die ersten Warnzeichen, die eine Anorexie ankündigen, zu beachten”, sagt Hartlage.
Darunter sind Symptome wie beispielsweise:
- Leistungsorientierung
- Versagensängste
- Verweigerung der Teilnahme am gemeinsamen Essen
- Körpersignale werden nicht wahrgenommen
- Ständiges Wiegen (mehrmals täglich)
- Körperliche Folgeerscheinungen der Magersucht werden geleugnet, dennoch großes Klagen darüber (Zusammenhang für Betroffene nicht ersichtlich)
- Hungergefühle werden geleugnet
- Für andere Kochen und Backen, doch selbst nicht oder nur wenig mitessen
- Andere zum Essen anhalten, sich Sorgen machen, dass andere Personen zu wenig essen
- Lügen (z.B. „Ich habe schon gegessen“ etc.)
- Auf Klassenfahrten nicht mitessen
- Zwiebelartige Kleidung, Lagen-Look
- Unfähigkeit, stillzusitzen und zur Ruhe zu kommen, Arbeitszwang, starker Bewegungsdrang
- Vieles Trinken, Kaugummikauen, zuckerfreie Bonbons, um Hungergefühl zu unterdrücken
- Überwürzen vom Essen
- Sehr langsames Essen
- Verschwinden lassen des Essens
- Zwanghafte Essrituale (rigide Essenszeiten und/oder -abläufe)
- Aggressive Reaktionen, besonders wenn die Betroffenen aufs Essen angesprochen werden
Fortgeschrittene Symptome
Neben den ersten Anzeichen der Social-Media-getriebenen Essstörung, werden im weiteren Verlauf auch andere Symptome sichtbar. “Ansonsten kann man bei vielen Betroffenen die Diagnosekriterien für Magersucht erkennen”, so die Expertin. Darunter fallen etwa:
- Gewichtsverlust von 20% vom Ausgangsgewicht innerhalb kürzester Zeit (3-4 Monate) und/oder BMI von 17,5 oder weniger
- Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt
- Vermeidung von hochkalorischen Speisen (z.B. Fette/Kohlenhydrate)
- Streng kontrolliertes Essen (erlaubte und unerlaubte Lebensmittel)
- Entweder sehr kleine Portionsgrößen oder sehr wenige Mahlzeiten am Tag oder zwar sehr große, dafür kalorienarme Mahlzeiten
- Übermäßiges Sporttreiben
- Selbst herbeigeführtes Erbrechen und/oder Missbrauch von Abführmitteln
- Extreme Angst vor einer Gewichtszunahme oder dem Dickwerden trotz bestehendem Untergewichts
- Gedankliche Beschäftigung mit Essen/Nichtessen
- Gestörte Körperwahrnehmung hinsichtlich Gewicht, Größe und Form des eigenen Körpers (Körperschemastörung)
- Bei weiblichen Betroffenen: Amenorrhoe (Ausbleiben von mindestens drei aufeinanderfolgenden Menstruationszyklen)
- Perfektionismus
- Hyperaktivität
- Manchmal Phasen von Essanfällen und Übergänge in die Bulimie
Auch andere Faktoren können die Instarexie noch bestärken: “Wenn noch dazu kommt, dass Betroffene, die auf Instagram posten, absolut krankheitsuneinsichtig sind und die Krankheit nicht nur als solche verleugnen, sondern eher als Lebensstil betrachten – also der Pro-Ana-Bewegung anhängen (Bewegung von Mager- bzw. Ess-Brechsüchtigen im Internet) – dann werden die Abbildungen der Mahlzeiten extrem restriktiv und die Fotos des Körpers wirken extrem ausgemergelt”, sagt Hartlage.
Instagram – Fluch und Segen zugleich?
Die Social-Media-Plattform Instagram kann Menschen auf der einen Seite enorm weiterhelfen. Sie erhalten Tipps und jede Menge Inspirationen zu vielen Bereichen des Lebens. Doch genauso gibt es auch einige, nicht ungefährliche Nachteile: “Das Problem bei Instagram ist, dass die Betroffenen ihre Art der Mangelernährung und ihre sportlichen Exzesse per Foto teilen”, sagt Hartlage. “Follower, die solche Fotos sehen, fühlen sich schnell angesprochen, ja, angetriggert und ahmen das auf Instagram abgebildete Verhalten nach.”
Besonders sehr junge Menschen können laut der Expertin noch nicht erkennen bzw. unterscheiden, dass in den meisten Fällen ein krankhaftes Verhalten dargestellt wird. “Sie sehen lediglich ‘Aha, die Gewichtsabnahme funktioniert!’ und gehen relativ kritiklos an die Umsetzung, was nicht selten in die Essstörung führt”, sagt sie.
Das Problem dahinter? “Die schon länger bestehende Pro-Ana-Bewegung hat hier ein Forum gefunden, ihr ungutes Treiben weiter fortzusetzen”, so Hartlage. Diese Personen können hier ihre Regeln, Gesetzmäßigkeiten und Thinspos (Bilder von extrem dünnen Menschen mit dem Zweck, die eigene Motivation zum Weiterhungern zu stärken) weiterhin verbreiten. “Kinder und Jugendliche, die sich in einer unsicheren Lebensphase befinden, finden hier scheinbar halt- und orientierungsgebende Regeln. Aber nur scheinbar, denn diese Regeln zu befolgen ist nichts anderes, als Anleitungen zum Suizid zu befolgen.”
Ein weiteres Problem ist es laut Martina Hartlage, dass Influencer auf Instagram verdeckte Produktwerbung betreiben. Besonderes bei Fitness-Kanälen sei es bedenklich, wenn zum Beispiel Eiweiß-Shakes und andere zweifelhafte Produkte in die Kamera gehalten werden und es so aussieht, als würde dort lediglich eine positive Erfahrung eines netten Menschen von nebenan geteilt.
Instarexie: Was können Betroffene tun?
“Zunächst sollte man sich selbst und seine Handlungsweisen überprüfen”, sagt Hartlage. Testen Sie, ob die oben genannten Warnzeichen und Diagnosekriterien annähernd zutreffen. Wenn ja, sollten Sie sich an eine Beratungsstelle wenden (z.B. bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung).
Als Erste-Hilfe-Maßnahme empfiehlt die Expertin Folgendes: “Allen Usern entfolgen, die extrem restriktives Essverhalten und exzessives Training posten, sich eine/n Therapeut/in suchen und eventuell an einer Selbsthilfegruppe teilnehmen.
Studie zu Instagram-Nutzung und Essstörungen
Dass bestimmte Social-Media-Accounts gefährlich für die Gesundheit junger Menschen werden können, liegt somit auf der Hand. Instagram ist für viele Mädchen und junge Frauen ein wesentlicher Faktor auf dem Weg in die Essstörung. Das geht auch aus einer aktuellen Studie hervor, die das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) gemeinsam mit der Hochschule Landshut durchführte und auf der Jahrestagung des Bundesfachverbands Essstörungen (BFE) vorstellte. Für diese Studie kam es zu einer Kooperation mit dem Bundesfachverband Essstörungen BFE und der Schön Klinik.
Befragt wurden insgesamt 143 Menschen – darunter auch 138 Mädchen und Frauen, die sich zu diesem Zeitpunkt in Behandlung wegen Essstörungen befanden. Die Studie ergab, dass Influencerinnen aus dem Fashion-Model-Bereich (z.B. ehemalige oder derzeitige Topmodels) ein überkritisches Verhältnis zum eigenen Körper verstärken können. Auch Fitness-Influencerinnen können laut Studienergebnissen zu übermäßigem Training und zur Nachahmung des Essverhaltens anregen – und so junge Frauen auf dem Weg in die Essstörung leiten.
Allerdings analysierte man auch positive Effekte: etwa, dass Instagram auch bei der Genesung helfen kann. Kurvige Influencerinnen (z.B. Curvy Models), die sich und ihren Körper so lieben wie er ist und für Body Positivity stehen, können laut Studie bei der Heilung einer Essstörung unterstützen.
Vorbeugungsmaßnahmen: Tipps im Umgang mit sozialen Medien
Damit es gar nicht erst zu einer Essstörung bzw. Instarexie kommt, kann man einige Dinge beim Konsum von Social Media beachten. Martina Hartlage hat folgende Tipps für Sie:
- Accounts prüfen: “Zunächst würde ich Influencer, denen ich folgen will, auf Herz und Nieren überprüfen”, sagt sie. Welche Qualifikationen kann derjenige nachweisen oder teilt hier jemand einfach nur seine höchstpersönlichen Erfahrungen? Werden auffällig oft Produkte scheinbar zufällig erwähnt?
Man sollte sich selbst fragen: „Tut mir das wirklich gut, was ich da sehe?“ oder widerspricht es meinem gesunden Bauchgefühl.” - Realistisch bleiben: “Man sollte nicht alles glauben, was gepostet wird! Darstellungen von superschlanken, extrem sportlichen Körpern sind fast immer digital nachbearbeitet. Food-Blogger, die täglich Mahlzeiten posten und es gerne so aussehen lassen, als würden sie genauso und nichts anderes essen, führen heimlich ein vollkommen anderes Leben und posten nicht, was sie sonst noch alles essen”, sagt Hartlage.
“Dazu kommt, dass viele dieser Bloggerinnen selbst essgestört sind, nach außen die perfekte Ernährungsfassade zeigen, selbst aber an Essanfällen leiden.” - Inszenierungen erkennen: “Die Macht der perfekten Bilder ist enorm, jedoch sind die Bilder extrem aufwendig inszeniert”, erklärt Hartlage.
“Kaum ein normaler Mensch wird den ganzen Tag derart perfekt gestaltete Mahlzeiten zu sich nehmen und dazu derartige Trainingspläne täglich durchhalten können. Es sei denn, die Person macht den ganzen Tag nichts anderes.” Dahinter steckt meistens ein 24-Stunden-Job, der kaum Platz für soziale Kontakte, geschweige denn ein Studium oder einen anderen Job lässt. - Vertraute einbeziehen: “Wann immer man merkt, dass Bilder von extrem restriktiven Mahlzeiten oder sehr dürren Körpern, eine eigenartige Faszination auf einen ausüben und man den Drang verspürt, das nachmachen zu wollen, sollte man dies mit einer Vertrauensperson besprechen.”
- Probleme anders angehen: “Wenn man empfänglich ist, für Instarexic-Botschaften, dann ist gerade vielleicht etwas im Leben aus dem Lot geraten”, sagt Hartlage. Sei es Mobbing in der Schule, Konflikte mit wichtigen Personen, schwer auszuhaltende Ereignisse (z.B. Trennungen, Gewalterfahrungen) oder jemand Wichtiges ist erkrankt oder gestorben. “Oft sucht man in solchen Posts Lebenshilfe und Orientierung, die diese aber nicht wirklich bieten können. Deswegen lieber echte Kontakte suchen, Vertrauenspersonen, Beratungsstellen etc.”
- Freunde und Familie wertschätzen: Virtuelle Vertraute sind nicht für einen da, wenn es mal brennt. Wenn man Sorgen und Probleme hat. “Es gibt nichts über echte soziale Kontakte! Diese den Influencern in den sozialen Medien auf jeden Fall vorziehen”, sagt Hartlage.
Was könnten Instagram bzw. Influencern tun?
Gibt es da nicht einen Weg, all das zu umgehen? Martina Hartlage wünscht sich von Instagram eine Art Prüfung: “Wenn gesundheitsbezogene Aussagen getroffen werden, sollten Influencer eine allgemein anerkannte Ausbildung und entsprechende Qualifikationen nachweisen müssen.” Außerdem fügt sie hinzu, dass sich die Verantwortlichen von Instagram mit einem Expertengremium des Bundesfachverbandes Essstörungen zusammensetzen und sich beraten lassen sollten.
“Von den Influencern selbst wünsche ich mir, dass sie sich selbst ein Qualitätsmanagement auferlegen, indem sie zum Beispiel einen Dachverband gründen, der entsprechende Qualitätsstandards entwickelt, sodass es für unseriöse Anbieter schwerer wird, unverantwortliche oder gar falsche Inhalte oder verdeckte Produktwerbungen zu posten”, sagt Hartlage.
Als Expertin stand uns Martina Hartmann zur Seite, Dipl.-Sozialarbeiterin, Suchttherapeutin und systemische Beraterin für Kinder und Jugendliche. Seit 20 Jahren ist sie in der Beratungsstelle für Menschen mit Essstörungen Dick & Dünn e.V. in Berlin tätig.
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Quellen:
Martina Hartlage, Dick & Dünn e.V. (https://www.dick-und-duenn-berlin.de/home.html)
Hochschule Landshut (https://www.haw-landshut.de)