Hypothermie: Wenn das Gehirn gekühlt wird

Aus der Serie: Was ist ein Schlaganfall und wie wird er behandelt?

Prof. Rainer Kollmar, Spezialist auf dem Gebiet der Schlaganfallmedizin, erklärt, woran man als Laie einen Schlaganfall erkennt, welche Sofortmaßnahmen wichtig sind und berichtet im Interview von der neuen Hypothermie, die Folgeschäden fürs Gehirn nach einem Schlaganfall reduzieren kann.

Herr Dr. Kollmar, ich erleide einen Schlaganfall und komme zu Ihnen ins Klinikum Darmstadt. Was passiert dort mit mir?

Wir behandeln Sie mit einer sogenannten Thrombolyse. Dabei wird das Blutgerinnsel im Gehirn mit Medikamenten aufgelöst. In besonderen Fällen bieten wir im Rahmen einer Studie zusätzlich eine Kühltherapie, eine sogenannte Hypothermie an.

Eine Kühltherapie?

Genau. Bei der Hypothermie werden Körper und Gehirn des Patienten unmittelbar nach der Diagnose "Schlaganfall" für 24 Stunden abgekühlt.

Bei der Hypothermie wird zur Vermeidung von schweren Folgen nach einem Schlaganfall die Körper- und somit auch die Gehirntemperatur künstlich herabgesetzt

Was soll eine Hypothermie denn bringen?

Senkt man die Körpertemperatur, brauchen die Nervenzellen weniger Sauerstoff. Der Stoffwechsel wird verlangsamt und das Gehirn in eine Art Ruhezustand versetzt und damit geschützt. Durch die Hypothermie wird auch die starke Hirnschwellung nach einem Schlaganfall verhindert.

Wie habe ich mir eine Hypothermie konkret vorzustellen?

Normalerweise werden Patienten, die einen Schlaganfall erleiden, mit einem Medikament behandelt, das das Blutgerinnsel in ihrem Hirn auflöst. Bei der Hypothermie wird zusätzlich die Körper- und somit auch die Gehirntemperatur künstlich von 37 Grad auf maximal 34 Grad gekühlt. Dazu wird eine Infusion mit bis zu zwei Litern vier Grad kalter Kochsalzlösung verabreicht. Zugleich wird ein Medikament gegen das Zittern gegeben, denn der Körper würde sonst automatisch versuchen, sich aufzuwärmen. Eine Stunde später setzen wir zusätzlich Kältekatheter. Äußerlich wird der Patient gewärmt. Dabei ist er wach. Nach 24 Stunden wird die Temperatur dann ganz langsam wieder erhöht.

Wie empfindet es der Patient, bei Bewusstsein auf 34 Grad heruntergekühlt zu werden?

Er fühlt sich kalt, häufig kommt es zu Kältezittern. Einige werden zudem müde.

Was passiert nach den 24 Stunden?

Im besten Fall verschwinden die Schlaganfallsymptome wie Lähmungen und Sprachstörungen. Wenn die Thrombolyse und Hypothermie gut wirken, hat der Patient die Chance, wieder zu gesunden.

Gibt es Nebenwirkungen?

Als wesentliche Nebenwirkungen treten gehäuft Lungenentzündungen auf, die aber in aller Regel gut zu beherrschen sind.

Sie haben bisher mehr als 100 Betroffene auf der Intensivstation behandelt. Dazu wurden die Patienten jedoch in ein künstliches Koma versetzt. Welches Schicksal ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben?

Wir hatten vor Kurzem eine junge Frau in unserer Klinik, die einen sehr schweren Schlaganfall erlitten hatte. Sie war 30 Jahre alt. Aufgrund ihrer extrem schlechten körperlichen Verfassung war es unser oberstes Ziel, sie überhaupt am Leben zu erhalten. Wir haben sie sogar mehrere Tage lang mit Hypothermie behandelt. Nach drei Wochen hat sie selbstständig laufend die Station verlassen – ohne eine körperliche Behinderung davonzutragen. Das ist sicher ein extremes Beispiel, zeigt aber die mögliche Wirksamkeit der Therapie.

Prof. Dr. med. Rainer Kollmar, Schlaganfall-Experte Klinikum Darmstadt
Experte Prof. Kollmar: "Bei der Hypothermie wird das Gehirn des Patienten unmittelbar nach der Diagnose "Schlaganfall" für 24 Stunden abgekühlt. Der Stoffwechsel wird verlangsamt und das Gehirn in eine Art Ruhezustand versetzt und damit geschützt." Foto: privat

In Deutschland erleidet alle drei Minuten ein Mensch einen Schlaganfall. Alle neun Minuten stirbt jemand an den Folgen. Wie erkenne ich als Laie zweifelsfrei, dass bei jemandem ein Gefäß im Gehirn verstopft ist?

Die Symptome sind nicht immer eindeutig. Sie reichen von halbseitigen Lähmungen bis hin zu Übelkeit, Erbrechen, Schluckauf oder Brustschmerzen. Häufig können die Patienten nicht mehr sprechen oder erleiden Sehstörungen. Wenn jemand eines dieser Symptome hat, sollte er sofort den Notarzt rufen. Ein im amerikanischen Raum verbreiteter Test ist zusätzlich für jeden leicht durchführbar: Arme heben, lächeln, sprechen. Wenn der Betroffene das nicht kann, hat er wahrscheinlich einen Schlaganfall.

So einfach ist das?

Im Prinzip schon. Die Methode nennt sich FAST-Test. Die Buchstaben stehen für Face – Arms – Speech – Time, also Gesicht – Arme – Sprache – Zeit. Das heißt: Bitten Sie die betroffene Person zu lächeln, beide Arme gleichzeitig zu heben und einen einfachen Satz nachzusprechen. Wenn er oder sie mit einer dieser Aufgaben Probleme hat, zählt jede Minute. Der Patient muss ins Krankenhaus, denn das Prinzip des Schlaganfalls lautet: Zeit ist Gehirn.

Was ist mit Aspirin? Hilft es wirklich, wenn ich einem Akut-Patienten eine Tablette gebe, damit diese sein Blut verdünnt?

Bitte keine Selbstheilversuche! Der Patient muss sofort und ohne Umwege ins Krankenhaus.

Schützen Sie sich aktiv vor dem Schlaganfall?

Ich halte mich zumindest an die klassischen Parameter: Ich rauche nicht, gehe regelmäßig zum Arzt, lasse meinen Blutdruck checken und treibe so oft wie möglich Ausdauersport. Dann ist eine Hypothermie oft gar nicht nötig.

Und was raten Sie Ihren Patienten?

Dasselbe: Behalten Sie Ihren Blutdruck im Auge, behandeln Sie Vorhofflimmern, eine der häufigsten Herzrhythmusstörungen, rauchen Sie nicht und bewegen Sie sich. Wer diese Risikofaktoren aus seinem Leben eliminiert, verringert massiv das eigene Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden.

Im Interview: Professor Dr. med. Rainer Kollmar
Experte für Schlaganfallmedizin, Direktor der Klinik für Neurologie und Neurogeriatrie des Klinikums Darmstadt mit zertifizierter Stroke-Unit.