Gene oder Umwelt: Warum bin ich, wie ich bin?

Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler seit Jahrzehnten: Welcher Anteil unserer Persönlichkeit ist von unseren Genen vorbestimmt, wie viel wird von Erziehung und anderen Umweltfaktoren beeinflusst? Für ein Persönlichkeitsmerkmal - die Empathie - haben britische Wissenschaftler das jetzt in einer großen Genstudie herausgefunden.
Menschen sind unterschiedlich empathisch - das heißt, ihre Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und ihre Gefühle nachzuempfinden, ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Während einige intuitiv spüren, was ihre Mitmenschen bewegt und was diese in bestimmten Situationen brauchen, tun sich andere ein Leben lang schwer damit.
Wie kommt es zu diesem Unterschied? Bisher ging man davon aus, dass vor allem Umweltfaktoren wie soziales Umfeld, Erziehungsstil der Eltern und Lebenserfahrungen dabei eine Rolle spielen. Ob und in welchem Umfang auch die Gene an der Ausprägung der Empathie beteiligt sind, konnte bisher nicht geklärt werden.
Wissenschaftlern der University of Cambridge ist es jetzt gelungen, diese Frage zu beantworten: Ja, die Gene mischen mit bei der Bestimmung der Empathie - und zwar zu etwa zehn Prozent.
Die Studie wurde in Kooperation mit Forschern der Université Paris Diderot und des Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris durchgeführt und in dem Fachblatt "Translational Psychiatry" veröffentlicht.
Frauen sind empathischer als Männer
Das Team um Varun Warrier nahm Speichelproben von 46.000 Menschen und ließ sie zusätzlich online einen Empathietest absolvieren. Dabei zeigte sich: Bestimmte Genvarianten kommen besonders häufig bei Menschen mit stark ausgeprägter Empathie, andere bei Personen mit wenig Empathie vor. Die Berechnungen der Forscher ergaben, dass etwa ein Zehntel der Empathie-Ausprägung von den Genen bestimmt wird.
Ein weiteres Ergebnis der Analyse: Frauen sind im Schnitt empathischer als Männer - und das ist nicht auf genetische Faktoren zurückzuführen. Diese Diskrepanz ist also entweder in kulturellen Faktoren wie etwa einer geschlechtsspezifischen Erziehung oder in biologischen, nicht-genetischen Faktoren wie hormonellen Unterschieden begründet.
Entstehung der Persönlichkeit - was Forscher schon wissen
Auf dem Forschungsfeld der Persönlichkeitsbildung sind noch viele Fragen unbeantwortet - Wissenschaftler bemühen sich seit Jahrzehnten um tiefere Einsichten in das Verhältnis zwischen Genen und Umwelt in diesem Bereich.
Die meisten Forschungsarbeiten zum Ursprung unserer Persönlichkeitsmerkmale sind sogenannte Zwillingsstudien, die mit eineiigen und zweieiigen Zwillingspaaren durchgeführt werden. Der Hintergrund: Beide Zwillings-Typen wachsen üblicherweise zur selben Zeit im selben Elternhaus auf und teilen ein soziales Umfeld. Doch während eineiige Zwillinge genetisch zu 100 Prozent identisch sind, sind es zweieiige Zwillinge nur zu 50 Prozent - wie normale Geschwister. Ähneln sich eineiige Zwillinge im Schnitt in einem Persönlichkeitsmerkmal mehr als zweieiige, muss der Unterschied demnach in den Genen liegen.
Dabei geben die Gene immer nur die Richtung an, in die sich eine Charaktereigenschaft wahrscheinlich entwickeln wird - die individuelle Ausprägung wird immer mit von der Umwelt beeinflusst.
So haben Wissenschaftler etwa das Merkmal Intelligenz unter die Lupe genommen und herausgefunden: Intelligenz hängt im Kindesalter zu bis zu 50 Prozent, im Erwachsenenalter zu bis zu 80 Prozent von den Genen ab - der Unterschied rührt daher, dass sich die Intelligenz im Kindes- und Jugendalter durch neuronale Entwicklungsprozesse noch kontinuierlich verändert.
Gene entscheiden über politische Einstellung
Sogar auf unsere politische Einstellung haben unsere Gene Einfluss, wie verschiedene Studien zeigen. So analysierten US-Wissenschaftler alle zwischen 1974 und 2012 veröffentlichten Zwillingsstudien zu dem Thema und fanden heraus, dass die Gene an unserer Einstellung zu den meisten politischen Fragen einen deutlichen Anteil haben - beispielsweise, ob wir eher liberal oder konservativ eingestellt sind und wie wir zu wirtschaftlichen, religiösen oder sozialen Fragen stehen.
Weitere Charaktereigenschaften, bei denen ein genetischer Einfluss belegt werden konnte, sind etwa Großzügigkeit, Risikobereitschaft, Ruhelosigkeit, Neugierde und Impulsivität.