Gehmeditation: Achtsames Gehen für mehr Gelassenheit

Haben Sie sich schon einmal Gedanken über Ihren eigenen Gang gemacht und bewusst Ihre Füße beim Gehen beobachtet? Bei einer Gehmeditation wird jeder Schritt beobachtet, denn achtsames Gehen fördert die Entspannung und sorgt für mehr Gelassenheit. Wie das genau funktioniert und was dabei passiert? Ein Erfahrungsbericht.

Gehmeditation: Achtsames Gehen für mehr Gelassenheit
Bei einer Gehmeditation werden die Füße ganz langsam gehoben, gesenkt und wieder aufgesetzt. Die Bewegung wird mit dem Atem und dem Geist kombiniert, das sorgt für Entspannung Foto: iStock / Maryviolet

Im Morgengrauen macht sich eine Gruppe von neun Menschen auf den Weg zum Strand. Es ist diesig und grau, ein typischer Novembermorgen. Die Luft ist angenehm frisch, außer uns sind nur zwei Männer zu sehen, die die Mülleimer am Strand leeren. Im Rahmen meines Yoga-Retreats zur Stressreduktion steht heute eine Gehmeditation auf dem Programm.

Meditation bedeutet so viel wie Nachdenken oder Erkenntnis. Beim Gehen in Meditation geht es darum, die Dinge so zu sehen, wie sie im Moment wirklich sind. Nicht in der Vergangenheit, nicht in der Zukunft, sondern im Hier und Jetzt. Das schaffen die meisten Menschen in ihrem stressigen Alltag leider nicht. Aber es ist nie zu spät, das wieder zu lernen.

Eine Gehmeditation im Freien weckt die Sinne

Natürlich könnte man eine Gehmeditation auch im Yoga-Raum oder im heimischen Wohnzimmer üben. Aber draußen in der Natur, also der natürlichen Geh-Umgebung, wecken die frische Luft, die optischen Eindrücke und die Gerüche alle Sinne. Der Blick kann in die Weite gehen oder ins Grüne, was nachweislich beruhigt.

Eine Gehmeditation ist viel langsamer als ein Spaziergang, bei ihr verschmelzen Körper und Geist in der Bewegung. Sie gehört zu den aktiven Meditationen. Deswegen ist sie besonders wirksam bei unruhigen Menschen, die nicht lange stillsitzen können. Die Meditation dabei entsteht, wenn man sich achtsam auf das Gehen konzentriert und sich im Einklang mit der Atmung vollkommen im Hier und Jetzt befindet.

Am Strand von St. Peter Ording übe ich also das erste Mal in meinem Leben, ganz bewusst auf meine Schritte und meine Gehbewegung zu achten. Das ist, ehrlich gesagt, gar nicht so einfach.

Achtsames Gehen: Darauf kommt es an

Als erstes schließe ich die Augen und spüre den Atem wie er kommt und geht. Dann soll ich mein Bewusstsein auf meinen Fuß lenken. Ich lenke meine Gedanken auf jeden einzelnen Zeh, auf die Fußsohle, auf den Fußrücken. Wie fühlt sich der Fuß im Schuh an? Und wie merke ich den Untergrund unter dem Schuh? Meine Augen sind geschlossen, ich habe das Gefühl, leicht hin- und herzuschwanken. Aber das vergeht schnell.

Nun beginne ich, den Fuß mit der Ferse zuerst aufzusetzen und ihn anschließend auf dem Ballen abzurollen. Das mache ich jeden Tag, es ist etwas merkwürdig, das so bewusst zu tun. Dann hebe ich den anderen Fuß und mache den ersten Schritt nach vorne. Mir ist zuvor nie richtig bewusst gewesen, dass das Gehen zu einem großen Teil nur auf einem Bein stattfindet und eine gute Balance erfordert.

Während meine Konzentration immer mehr auf der Gehbewegung in Verbindung mit meinem Atem liegt, werde ich zunehmend weniger abgelenkt durch äußere Einflüsse. Zu Beginn der Übung schaue ich öfter zu den anderen Teilnehmer:innen oder gucke in die Umgebung und habe dabei ziemlich viele Gedanken im Kopf. Nach ein paar Minuten gelingt es mir immer besser, gar nichts mehr zu denken und nur noch den Akt des Gehens zu beobachten und zu spüren.

Bei einer Gehmeditation kommt es ganz darauf an, alle Gedanken und Sinne auf die Bewegung der Füße zu konzentrieren und dabei achtsam zu atmen. Sobald das besser gelingt, öffne ich die Augen und beziehe die Umgebung mit in meine Aufmerksamkeit, lasse die Eindrücke wie Wolken schnell  vorbeiziehen und bleibe in meiner Meditation. Mein Atem ist nun gleichmäßig und ruhig, ich setze meine Füße bewusst auf dem Sand auf und bin ganz erstaunt, dass meine Gedanken zur Ruhe kommen und ich nur an den Moment denke.

Gehmeditation-Anleitung: Den Ehrgeiz aussperren

Wenn Sie eine Gehmeditation machen, bleiben Sie bei allem einfach und auf das Wesentliche konzentriert. Sperren Sie den Ehrgeiz, alles perfekt machen zu müssen, aus. Es geht nicht darum, jemanden zu beeindrucken, es geht nur um Sie und den Moment!

Gehmeditation hat eine lange Tradition im Buddhismus. Es gibt viele verschiedene Formen wie zum Beispiel die Vipanassa-Gehmeditation. Eine Gehmeditation ist auch Teil der MBSR-Methode nach Jon Kabatt-Zinn, die ich erfahren durfte. Bei manchen Formen wird der Atem beobachtet, es werden Schritte gezählt oder auch Mantras und Gebete rezitiert. Sie alle eint, dass sie den Körper und Geist in der Bewegung zur Ruhe bringen wollen. Das Gehen fokussiert die schwirrenden Gedanken in Richtung Atem sowie dem Heben und Senken der Füße. Das Bewusstsein verschiebt sich auf die Präsenz in diesem einen Moment – der wandernde Geist kommt zur Ruhe.

So funktioniert es:

  • Wählen Sie einen schönen Ort in der Natur. Das kann der Park um die Ecke sein, ein ruhiger Wald oder ein Weg am Wasser.
  • Halten Sie zu Beginn kurz inne: Wie geht es Ihnen heute, gibt es noch etwas, was stört, juckt oder schmerzt? Nehmen Sie diese Faktoren wahr und lassen diese dann ziehen.
  • Schließen Sie die Augen: Sperren Sie zunächst die äußeren Eindrücke aus und kommen Sie bei sich an.
  • Stehen Sie stabil: Die Beine sind hüftbreit, die Knie leicht angewinkelt. Die Schultern sind entspannt, der Nacken ist eine natürliche Verlängerung der Wirbelsäule. Die Arme hängen locker neben dem Oberkörper. Spüren Sie Ihre Füße und den Kontakt mit dem Boden.

  • Fokussieren Sie sich auf den Atem: Atmen Sie bewusst ein paar Atemzüge ein und aus. Wie tief ist der Atem, wo gibt es Sperren? Atmen sie immer tiefer und schicken Sie die Atemzüge bis hin zu den Beinen und Füßen.
  • Lenken Sie die Gedanken zu den Füßen: Wie fühlen sich die Füße in den Schuhen an? Können Sie die einzelnen Zehen spüren, die Fußsohle, den Fußrücken?
  • Beginnen Sie mit kleinen Schritten: Heben Sie einen Fuß an und setzen ihn mit der Ferse zuerst langsam auf dem Boden auf. Halten Sie etwas inne und machen das Gleiche mit dem anderen Fuß.
  • Nehmen Sie die Umgebung wahr: Wie fühlt sich die Luft an, wohin zieht es Ihren Blick? Gibt es Ablenkungen – Vögel, Hunde, die bellen, Menschen in der Nähe? Nehmen Sie alles wahr und lassen Sie die Eindrücke dann vorüberziehen.
  • Gehen Sie in Ihrem Tempo: Starten Sie ganz langsam und suchen sich dann ein Tempo, das Ihnen angenehm ist.
  • Laufen Sie ohne Ziel: Ob Sie nur im Kreis gehen, immer im Raum hin- und her oder draußen in der Natur – wichtig ist es, den Geist von dem Gedanken zu befreien, etwas tun zu müssen.

Gehmeditation bei YouTube lernen

Wer die Technik der Gehmeditation erlernen möchte, kann sich mittlerweile zahlreiche kürzere oder längere Videos auf YouTube ansehen. Es gibt unterschiedlichste Methoden. Wählen Sie die aus, die Ihnen spontan am meisten zusagt. Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt. Nach einer Weile, wenn die Gehmeditation eingeübt ist, können Sie sich Stück für Stück weiterentwickeln. Gehmeditation lässt sich auch in Achtsamkeitskursen in der Gruppe erlernen.

Meditation beim Spazieren

Wenn Sie auf den Geschmack gekommen sind und gemerkt haben, wie sehr sich der Geist bei der Gehmediation entspannen kann, lässt sich die Technik wunderbar in den Alltag integrieren. Beim Spazierengehen können Sie die Gehmeditation einbauen, selbst beim Gang durch den Supermarkt kann es entspannend sein, sich nur auf die Bewegung der Füße und den Atem zu fokussieren.

Meditatives Gehen: Das unterstützt die Entspannung zusätzlich

Nach meiner Erfahrung des bewussten Gehens am Strand bin ich mir sicher, dass eine Entspannung im Alltag ohne großen Aufwand möglich ist. Es kommt darauf an, eine Regelmäßigkeit zu etablieren. So wie wir jeden Tag die Zähne putzen, können wir auch Gewohnheiten der Meditation entwickeln.

Was zusätzlich helfen kann, um den unruhigen Geist auf den Moment zu lenken:

  • Digitales Detoxen: Mal öfter das Handy weglegen und nicht in jedem Moment, in dem man nicht weiß, wohin mit den Händen, zum Smartphone greifen.
  • Kleinigkeiten bewusst tun: Nehmen Sie sich zum Beispiel eine Mahlzeit am Tag, an dem Sie ganz in Stille essen und jeden Bissen langsam kauen.
  • Entspannungsmomente in den Alltag einbauen: Eine Haltestelle früher aussteigen und durch die frische Luft gehen. Oder einmal in der Woche ein Entspannungsbad nehmen.

Achtsames Gehen ist nicht ohne Grund im Trend. Wer regelmäßig eine Gehmeditation durchführt, profitiert gesundheitlich. Diese Meditationsform kann bei innerer Unruhe helfen, Ängste und negative Stimmungen reduzieren. 

Eine thailändische Studie hat herausgefunden, dass meditatives Gehen den Blutzuckerspiegel bei Typ-2-Diabetikern sowie den Cortisolspiegel senken kann. Kombiniert man die Gehmeditation mit der Einnahme von pflanzlichen Wirkstoffen, kann das zusätzlich den Effekt der Entspannung stärken. So soll hochkonzentrierter Lavendel zum Beispiel die Ausschüttung von Neurotransmittern hemmen, die für eine Reizüberflutung verantwortlich sind. Und Johanniskraut ist bekannt für seine stimmungsaufhellende Wirkung. Es kann helfen, Glückshormone zu aktivieren. Beide Pflanzen können zusammen mit einer regelmäßig ausgeführten Gehmeditation helfen, Stress abzubauen und für mehr Zufriedenheit zu sorgen.

Nach meiner Erfahrung im Yoga-Retreat an der Nordsee bin ich mir sicher, dass ich die Gehmeditation auch zuhause öfter praktizieren und das achtsame Gehen nutzen möchte, um gelassener und entspannter durch den Alltag zu kommen.

Quellen:

Retreat “Bewegungsraum schaffen“ mit Hauke Ralfs und Jochen Strauch, in: das-kubatzki.de

Jon Kabbat-Zin: Die Gehmeditation, in: youtube.com