Endometriose – das unbekannte Frauenleiden

Aus der Serie: Was ist Endometriose und was hilft dagegen?

Mit rund 40 000 Neuerkrankungen pro Jahr ist Endometriose das zweithäufigste gutartige Frauenleiden. Trotzdem dauert es im Schnitt sechs bis acht Jahre, bis die richtige Diagnose gestellt wird. Woran das liegt und welche Therapien es heute gibt, erklärt Dr. Julia Bartley, Leiterin des Endometriose-Centrums in Berlin.

Was ist Endometriose?

Dr. Bartley: Darunter versteht man das Vorkommen von gebärmutterähnlicher Schleimhaut außerhalb der Gebärmutterhöhle. Der Begriff Endometriose leitet sich von Endometrium ab, der lateinischen Bezeichnung für Gebärmutterschleimhaut. Normalerweise kleidet sie das Innere der Gebärmutter aus. Aber Schleimhautzellen können sich auch an anderen Stellen im Körper ansiedeln, vor allem im Bauchraum. Diesen Zustand nennt man Endometriose.

Wie gelangen Schleimhautzellen in den Bauchraum?

Dr. Bartley: Genau weiß man das noch nicht, aber die gängige Theorie ist, dass während der Regel auch etwas Blut in den Bauch gelangt. Im Menstruationsblut befinden sich immer auch Schleimhautzellen, die normalerweise "entsorgt" werden. Ist die Entsorgung jedoch gestört, siedeln sich die Zellen im Bauchraum an.

Wer ist davon betroffen?

Dr. Bartley: Frauen im gebärfähigen Alter. Bei manchen tritt die Erkrankung schon bei der ersten Regel auf, bei anderen entwickelt sie sich erst mit den Jahren. Da Endometriose hormonabhängig ist, macht sie mit Eintritt der Wechseljahre keine Beschwerden mehr. Übrigens: Endometriose ist die zweithäufigste gutartige Erkrankung der Frau.

Welche Beschwerden treten auf?

Dr. Bartley: Vorweg: Die Hälfte der betroffenen Frauen hat keine Beschwerden. Bei den anderen treten Schmerzen in unterschiedlicher Ausprägung auf, oder die Krankheit führt zu Unfruchtbarkeit. Wenn also eine Frau nicht schwanger werden kann, sollte der Frauenarzt immer auch an Endometriose denken.

Hat man immer Schmerzen?

Dr. Bartley: Nein, das ist ganz unterschiedlich. Die einen haben zwei bis drei Tage vor der Regel Unterbauchschmerzen, andere während der Regel oder nur in den ersten Tagen danach. Viele Frauen leiden auch unter chronischen Schmerzen, die unabhängig von der Menstruation sind. Ein wichtiger Hinweis für die Diagnose der Krankheit können ebenso Schmerzen beim Wasserlassen, Stuhlgang oder beim Sex sein. Gerade Letzteres ist für Paare eine enorme Belastung. In diesen Fällen muss also unbedingt abgeklärt werden, ob vielleicht eine Endometriose dahintersteckt.

Warum tun diese abgewanderten Schleimhautzellen weh?

Dr. Bartley: Weil die Zellinseln im Bauchraum Nerven aktivieren und Entzündungen verursachen. Das Gewebe gehört dort eigentlich nicht hin, ist also am falschen Ort und löst dadurch einen chronischen Entzündungsreiz aus.

Wieso ist die Krankheit trotz ihrer Häufigkeit relativ unbekannt?

Dr. Bartley: Ein Grund ist sicher, dass sie nur durch eine Bauchspiegelung (Laparoskopie), also einen operativen Eingriff zu diagnostizieren ist. Außerdem sind Frauen oft so erzogen worden, dass Schmerzen zum Frausein einfach dazugehören. Viele gehen deshalb gar nicht zum Arzt oder erst spät. Leider nehmen auch einige Ärzte "Regelschmerzen" nicht ernst und fragen nicht genau nach, wenn die Patientin davon berichtet. Und über Schmerzen beim Stuhlgang oder Sex sprechen die wenigsten Frauen freiwillig. Aus all diesen Gründen dauert es in Deutschland im Schnitt leider sechs bis acht Jahre, bis eine Endometriose erkannt wird. Das gilt jedenfalls für Frauen, die wegen Schmerzen zum Arzt gehen. Bei Unfruchtbarkeit wird die Diagnose meistens nach zwei Jahren gestellt.

Wieso ist der Nachweis schwierig?

Dr. Bartley: Weil die Endometriose meist nicht mit bildgebenden Verfahren wie Ultraschall oder Röntgen nachweisbar ist. Im Allgemeinen ist also - wie oben gesagt - für die Diagnose nach wie vor eine Bauchspiegelung nötig. Deshalb sollte der Arzt mit der Patientin stets vorher vereinbaren, dass eine eventuelle Endometriose bei der Bauchspiegelung mit entfernt wird. So muss dafür keine weitere Operation angesetzt werden. Aber auch durch eine Bauchspiegelung ist nicht jede Erkrankung erkennbar: Endometrioseherde in der Gebärmuttermuskulatur z. B. können nur nach Entfernung der Gebärmutter unter dem Mikroskop sicher nachgewiesen werden. Aber gerade diesen Schritt will man ja vermeiden.

Was passiert bei der OP?

Dr. Bartley: Je nach Größe und Lage der Zellinseln werden sie entweder mit dem Laser verdampft oder herausgeschnitten. Der Eingriff er folgt in Vollnarkose, die Patientin muss danach einige Tage in der Klinik bleiben.

Hat man dann für immer Ruhe?

Dr. Bartley: Leider nein. Bei mehr als der Hälfte der Patientinnen tritt die Endometriose nach einigen Jahren wieder auf. Wer davon verschont bleibt und wer nicht, lässt sich nicht sagen. Eine weitere Operation ist zwar möglich, aber natürlich eine Belastung für die Frauen. Deshalb geben wir nach einer Operation Medikamente, um ein erneutes Auftreten der Endometriose hinauszuzögern oder zu verhindern. Außerdem lassen sich durch eine medikamentöse Behandlung die Schmerzen reduzieren. Ein typisches Mittel ist die Pille, die dann im Normalfall ohne Pause eingenommen wird. Wichtig ist zu wissen, dass die Medikamente zwar die Schmerzen verringern, aber nicht die Fruchtbarkeit verbessern. Hier hilft bis jetzt nur die OP. Das heißt auch: Jede medikamentöse Nachbehandlung nach einer OP bedeutet bei einer Frau mit Kinderwunsch einen Zeitverlust, denn sie verbessert ihre Chancen auf eine Schwangerschaft nicht.

Warum macht denn eine Endometriose unfruchtbar?

Dr. Bartley: Sie kann z. B. durch Verwachsungen der Eileiter oder Eierstöcke zu Unfruchtbarkeit führen. Aber auch "nur" das Vorhandensein von Endometrioseherden reduziert die Fruchtbarkeit. Weshalb das so ist, weiß man nicht genau. Sicher ist jedoch, dass eine OP die Chancen erhöht.

Wo findet man einen Experten?

Dr. Bartley: Z. B. über die Endometriose-Vereinigung Deutschland in Leipzig. Kontakt per E-Mail: info@ endometriose-vereinigung.de. Telefonisch: 0341 3065304. Über diese Selbsthilfegruppe erhält man ausführliche Infos und die Adressen von zertifizierten Endometriose-Zentren bzw. qualifizierten Frauenärzten. Weitere Informationen gibt es auf folgenden Internetseiten: www.endometriose-liga.eu (Europäische Endometriose-Liga); www.endometriose-sef.de (Stiftung Endometriose-Forschung).

Im Interview: Dr. Julia Bartley
Leiterin des Endometriosezentrums Benjamin Franklin in Berlin.