Empathie: Warum fühlen wir, was andere fühlen?
Das tut weh: Wenn wir sehen, wie sich jemand mit dem Hammer auf den Finger haut, verziehen wir automatisch das Gesicht. Die Fähigkeit, Freude, Trauer und Schmerz anderer mitzufühlen, nennt man Empathie. Dabei spielen sich erstaunliche Prozesse im Gehirn ab.

Empathie bezeichnet die Fähigkeit, Gefühlsregungen anderer Menschen wahrzunehmen und richtig zu deuten. Der Begriff Empathie geht auf das altgriechische Wort „empátheia“ zurück. „Pátheia“ bedeutet übersetzt „leiden“ oder „fühlen“, die Vorsilbe „em“ bedeutet „mit“.
Kognitive Empathie und emotionale Empathie
Psychologen unterscheiden zwischen zwei Arten beziehungsweise Aspekten der Empathie – der emotionalen und der kognitiven Empathie.
- Kognitive Empathie: Erkennen der Gefühle anderer, ohne diese selbst mit- oder nachzufühlen. Kognitive Empathie ist beispielsweise in Verkaufssituationen gefragt; aber auch im Alltag, beispielsweise im Umgang mit Kollegen. Sie hilft dabei, andere Menschen richtig einzuschätzen und Voraussagen über ihr Handeln zu treffen.
- Emotionale Empathie: Das Annehmen der Gefühle anderer, auch als affektive Empathie bezeichnet. „Mitgefühl“ und „Mitleid“ – Begriffe, die häufig als Synonym für Empathie verwendet werden – bezeichnen ausschließlich die emotionale Empathie. Man kann sie bei Eltern beobachten, die mit ihrem kranken, traurigen oder fröhlichen Kind fühlen. In ihrer Mimik spiegelt sich das Gefühlsleben des Sprösslings wider. Auch wer beim Schauen eines traurigen Films in Tränen ausbricht, zeigt emotionale Empathie.
Warum sind wir empathisch?
In einer 2004 durchgeführten Empathiestudie beobachteten Forscher die Gehirnaktivitäten von Probandinnen, während ihrem Partner ein leichter Stromschlag in den Finger verpasst wurde – und verglichen diese mit den Prozessen im Gehirn, wenn die Frauen selbst den Stromschlag erhielten. Die Neurowissenschaftler fanden heraus, dass im Gehirn der Probandinnen in beiden Fällen ganz ähnliche Prozesse abliefen. Die Parallelen zeigten sich insbesondere in der sogenannten Inselrinde, einem Teil der Großhirnrinde, der unter anderem für die Verarbeitung von Körperreizen wie Schmerz, Hunger, Temperaturempfinden oder Berührungen zuständig ist und mit Hirnarealen „kooperiert“, die für die Verarbeitung von Gefühlen verantwortlich sind. In dieser Region vermuten Forscher den „Sitz des Mitgefühls“. Zusätzlich vertreten viele Hirnforscher die Ansicht, dass die sogenannten Spiegelneuronen an der Entstehung der Empathie beteiligt sind. Diese Nervenzellen werden aktiv, wenn wir die Handlungen anderer Menschen beobachten.
Was versteht man unter emotionaler Intelligenz?
Emotionale Intelligenz beinhaltet Empathie – der Begriff umfasst allerdings noch mehr: Zur emotionalen Intelligenz gehört außerdem die Fähigkeit, geschickt auf eigene Gefühle und die anderer Menschen zu reagieren. Der US-Psychologe Edward Thorndike bezeichnete 1920 die Fähigkeit, andere Menschen richtig einzuschätzen und zu beeinflussen, als soziale Intelligenz. David Goleman, ebenfalls Psychologe aus den USA und außerdem Journalist, machte das Konzept der emotionalen Intelligenz in den 1990er Jahren populär. Er stellte vier Kriterien der emotionalen Intelligenz auf:
- Selbstwahrnehmung: die Fähigkeit, die eigenen Emotionen wahrzunehmen und zu verstehen
- Selbstmanagement: die Fähigkeit, die eigenen Emotionen und Handlungen zu kontrollieren
- Einfühlungsvermögen: die Fähigkeit, die Emotionen anderer wahrzunehmen und zu verstehen
- Beziehungsmanagement: die Fähigkeit, zwischenmenschliche Beziehungen zu verstehen und zu beeinflussen
Wann entwickelt sich Empathie in der Kindheit?
Säuglinge und Kleinkinder zeigen häufig ein Verhalten, dass leicht mit Empathie verwechselt wird: Lacht eine ihnen zugewandte Person, freuen sie sich auch. Weint ein anderes Kind, brechen sie ebenfalls in Tränen aus. Bei diesem Verhalten handelt es sich allerdings nicht um Empathie, denn bis sie etwa 18 Monate alt sind, fehlt ihnen eine wichtige Voraussetzung dafür: die Fähigkeit, zwischen sich und anderen Personen zu unterscheiden.
Bei dem Verhalten von Babys und Kleinkindern kann man eher von Gefühlsansteckung sprechen. Die Kleinen übernehmen zwar die Gefühle anderer, was an die emotionale Empathie erinnert. Allerdings sind sie sich dabei nicht bewusst, dass der Ursprung des Gefühls nicht in ihnen selbst liegt.
Ein Beispiel zur Veranschaulichung: Wer sich einen traurigen Film ansieht und dabei anfängt zu weinen, weiß, dass seine Trauer nicht „echt“ ist, sondern dass er mit einem Filmcharakter mitfühlt (emotionale Empathie). Ein Baby, das – angesteckt von den Tränen eines Altersgenossen – zu weinen beginnt, ist plötzlich einfach untröstlich – warum das so ist, weiß das Kind nicht. Es ahnt nicht, dass das andere Kind daran einen Anteil hat (Gefühlsansteckung).
Doch auch ein zweijähriges Kind, das bereits zwischen sich und anderen unterscheiden kann, ist noch nicht in der Lage, die Perspektive zu wechseln und sich in andere hineinzuversetzen. Diese Fähigkeit entwickelt sich erst im Alter von etwa vier Jahren. Erst dann kann sich das Kind Gefühle und Bedürfnisse vorstellen, die sich von seinen eigenen unterscheiden. Aus der Sicht von Entwicklungspsychologen können Eltern die Entwicklung der Empathie ihres Kindes fördern, indem sie selbst sich ihrem Kind und anderen Menschen gegenüber empathisch verhalten. Konkrete Tipps für Eltern lauten:
- Gefühle des Kindes ernstnehmen: Das Kind trösten, wenn es unglücklich ist – negative Gefühle wie Angst oder Trauer nicht ignorieren oder herunterspielen
- Perspektive wechseln: Dem Kind Situationen aus der Sicht anderer Kinder erklären („Der Junge ist sauer, wenn du ihm sein Spielzeug wegnimmst.“)
- Vorlesen: Wer immer wieder unterschiedliche Charaktere bei ihren Geschichten und Abenteuern begleitet, schult sich dabei automatisch in Empathie: Beim Vorlesen üben die Kinder unbewusst, sich in andere Personen hineinzuversetzen
Wie lässt sich Empathie feststellen?
Die meisten Menschen haben eine Ahnung, ob sie sehr empathisch sind oder nicht. Manchmal kann es jedoch schwierig sein, das eigene Einfühlungsvermögen zu beurteilen – besonders dann, wenn es einem schwerfällt, die Emotionen anderer zu lesen und zu deuten. Ein Empathie-Test kann helfen, die eigene Empathie richtig einzuschätzen. In dem Test werden Eigenschaften und Verhalten in Alltagssituationen abgefragt – etwa, ob man sich leicht von der Freude anderer Menschen anstecken lässt.
Empathielos: Gibt es Menschen ohne Mitgefühl?
Empathie ist bei verschiedenen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt. Es gibt Persönlichkeitsmerkmale, die das Erkennen der Emotionen anderer erschweren. Dazu gehört beispielsweise die sogenannte Alexithymie: Betroffene haben scheinbar keine Gefühle wie Freude oder Wut. Sie leiden aber häufig an körperlichen Beschwerden wie Bauchschmerzen oder Herzrasen. Mediziner vermuten, dass diese Symptome schlicht Ausdruck der Emotionen der Betroffenen sind – diese sind nur nicht in der Lage, die Gefühle hinter den körperlichen Regungen auszumachen. Da Menschen mit Alexithymie ihre eigenen Emotionen nicht erkennen können, fehlt ihnen auch die Fähigkeit, die Gefühle anderer Menschen zu deuten.
Auch Menschen mit psychopathischen Persönlichkeitszügen haben einen Mangel an Empathie. Zu den typischen Eigenschaften eines Psychopathen gehören außerdem ein charmantes Auftreten, Gefühlskälte, ein übersteigertes Selbstwertgefühl, pathologisches Lügen sowie ein manipulatives oder betrügerisches Verhalten. Bei Menschen mit psychopathischen Zügen können all diese Eigenschaften unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Dabei fehlt ihnen nur ein Aspekt der Empathie, und zwar der emotionale. Sie sind sehr wohl in der Lage, ihr Gegenüber zu „lesen“: Ihre kognitive Empathie ermöglicht es vielen Psychopathen, ihre Mitmenschen in ihren Bann zu ziehen und sie zu manipulieren.
Quellen:
Singer, T. et al. (2004): Empathy for pain involves the affective but not sensory components of pain, in: Science.
Dutton, K. (2013): Psychopathen. Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann: München, Deutscher Taschenbuch Verlag.
psychomeda.de: Emotionale Intelligenz - Lexikon der Psychologie.