Drogen im Alltag – unterschätzte Gefahren rezeptfreier Medikamente

Beinahe 70 Prozent der Deutschen kaufen regelmäßig rezeptfreie Medikamente in Apotheken. Die Gefahren von Risiken und Nebenwirkungen der vermeintlich harmlosen Medikamente werden dabei häufig unterschätzt und von den Apotheken nicht ausreichend dargelegt. Praxisvita.de erklärt Ihnen, bei welchen Medikamenten Vorsicht geboten ist und wie Sie gefährliche Überdosierungen verhindern können.
Eine Studie des Instituts für Demoskopie in Allersbach (IfD) fand heraus, dass beinahe 70 Prozent der Deutschen regelmäßig auf rezeptfreie Medikamente aus der Apotheke zurückgreifen. Was viele nicht wissen, ist, dass auch vermeintlich alltäglich gebrauchte und als harmlos geltende Präparate Risiken und Nebenwirkungen besitzen. Apotheken versäumen es häufig aufzuklären, wie eine aktuelle Überprüfung von Stiftung Warentest gezeigt hat. Doch der unreflektierte Gebrauch von Medikamenten birgt immer Gefahren – auch wenn sie frei verkäuflich sind.
Die Patientenberatung Hamburg empfiehlt deswegen bei jedem Medikamentengebrauch – egal ob auf Rezept oder frei gekauft in der Apotheke – genau auf die vorgeschriebene Dosierung und Behandlungsdauer zu achten. Was oft nicht klar ist: Jedes Medikament kann bei falscher Dosierung und zu langer Anwendung schnell gefährlich für die Gesundheit werden. Gerhard Müller-Schwefe – Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie – gibt zu bedenken, dass Arzneimittel nicht für ungefährlich gehalten werden dürfen, nur weil sie „frei verkäuflich sind.“
Besonders gefährlich ist die Anwendung von zum Beispiel rezeptfreien Schmerzmitteln für alte Menschen. Menschen im gehobenen Alter sind häufiger auf die Anwendung von Schmerzmitteln angewiesen. Dabei wird in vielen Fällen auf frei verkäufliche und sehr etablierte Präparate zurückgegriffen. Problematisch ist das, weil ältere Menschen anfälliger für Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten sind. Eine unreflektierte Anwendung der Arzneien – wie sie häufiger bei rezeptfreien Präparaten anzutreffen ist – kann bei dieser Konstellation rasch zu schweren gesundheitlichen Folgen führen.
Hoher Verbrauch von Schmerzmitteln in Deutschland
Jährlich werden in etwa 675 Millionen Dosen Schmerzmittel an die knapp 70 Millionen gesetzlich Versicherten in Deutschland verkauft. Das sind in etwa 1,5 Schmerzpräparate pro Tag und pro Person. Diese Zahlen spiegeln aber nur die verschriebenen – also rezeptpflichtigen – Arzneien wider. Die Menge der frei verkauften, schmerzstillenden Medikamente in Deutschland ist dagegen schwer zu ermitteln. Fest steht aber, dass grundsätzlich zu oft und zu unreflektiert zur Schmerztablette gegriffen wird.
Vorsicht bei diesen Medikamenten!
In der Gruppe der rezeptfreien Medikamente stellen die Schmerzmittel nach Meinung vieler Ärzte die größte potentielle Gefahr für Leib und Leben der Konsumenten dar. Aber auch Arzneien für die Behandlung von Erkältungen, Schlafstörungen oder die in Deutschland sehr beliebten Nasensprays sind in vielen Fällen frei verkäuflich und besitzen dennoch bei falscher Anwendung oder zu hoher Dosierung ein erhebliches Gesundheitsrisiko. Praxisvita.de hat für Sie eine Übersicht über rezeptfreie Medikamente erstellt, die zu oft in ihrer Gefahr für die Gesundheit unterschätzt werden.
Schmerzmittel und Entzündungshemmer
Die meisten Schmerzmittel ähneln sich dadurch, dass sie die Bildung von Schmerzbotenstoffen verhindern, Fieber senken und Entzündungen hemmen. Dazu werden von den Wirkstoffen unter anderem Körperwarnungen auf körperliche Probleme unterdrückt. Schmerzmittel unterdrücken also vor allem das Warnsymptom Schmerz oder hemmen körpereigene Schutzhormone und behandeln nicht die Ursache von Schmerz. Dies kann sogar dazu führen, dass die Heilung behindert wird.
Deswegen gilt besonders für Schmerzmittel, dass die vorgeschriebene Maximaldosis nicht überschritten wird und die Anwendungsdauer ohne ausdrückliche ärztliche Empfehlung nicht drei Tage überschreitet. Von der Kombination verschiedener Schmerzmittel – vor allem bei rezeptfreien Präparaten – raten Mediziner ab. Für die Schmerzbehandlung bedeutet diese Praxis kein Vorteil. Im Gegenteil: Die kombinierende Anwendung verschiedener Schmerzmittel steigert ohne ärztliche Anordnung die Gefahr von Nebenwirkungen deutlich. Grundsätzlich sollte bei regelmäßig auftretenden Schmerzen nicht einfach zu einem Schmerzmittel gegriffen werden, sondern ein Arzt konsultiert werden.

Die folgenden Schmerzmittel sind rezeptfrei und werden sehr häufig verkauft – dennoch ist deren Einnahme nicht ungefährlich.
1) Paracetamol: Paracetamol wirkt fiebersenkend und schmerzstillend, aber nicht entzündungshemmend. Ein Vorteil dieser Arznei ist die geringe Belastung für den Magen-Darm-Trakt. Ebenso treten allergische Reaktionen verhältnismäßig selten auf. Gefährlich wird das Medikament bei zu hoher und zu langer Einnahme. Da es die Leber angreift, sollten Menschen mit bekannten Leberschädigungen, chronischen Muskelerkrankungen und starkem Untergewicht kein Paracetamol einnehmen.
Problematisch ist ebenso, dass der verwendete Wirkstoff in vielen Schmerzmitteln ohnehin vorhanden ist. Eine Überdosierung kann dadurch leichter auftreten. Kay Brune – Professor an der Universität Erlangen für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie – erklärt, dass „Paracetamol heute nicht mehr zugelassen werden würde, auch nicht auf Rezept.“ Bereits die zugelassene Dosis könne schwere Leberschäden hervorrufen – eine leichte Überdosierung sogar Leberversagen auslösen, sagt der Experte. Die maximale Tagesdosis von Paracetamol beläuft sich nach offiziellen Angaben auf vier Gramm pro Tag für einen gesunden Erwachsenen. Das sind umgerechnet höchstens acht, über den Tag verteilte Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von 500 Milligramm.
2) Aspirin: Der im Aspirin verwendete Wirkstoff Acetylsalicylsäure wirkt kurzzeitig schmerzstillend und entzündungshemmend. Für die Anwendung von Aspirin spricht, dass die Einnahme auch bei leichter Leberschädigung möglich ist. Ein großer Nachteil ist, dass jede Aspirin die Blutgerinnung mehrere Tage lang hemmt. Operationen dürfen deswegen frühestens eine Woche nach Einnahme der letzten Aspirin vorgenommen werden. Die Allergiegefahr ist vorhanden und kann zu schweren Reaktionen führen. Außerdem schädigt das Medikament den Magen-Darm-Trakt, weswegen es bei bekannten Magen-Darm-Leiden nicht verwendet werden sollte. Die maximale Tagesdosis für einen gesunden Erwachsenen beläuft sich auf drei Gramm.
3) Ibuprofen: Ibuprofen wirkt ebenso wie Aspirin schmerzlindernd, fiebersenkend und entzündungshemmend. Bei einer zu langen oder zu hohen Einnahme des Medikaments kann es zu Schäden am Magen-Darm-Trakt kommen, weswegen es bei Magengeschwüren nicht eingenommen werden sollte. Ebenso ist Ibuprofen sehr belastend für die Nieren und kann sogar deren Funktion einschränken. Da es – ebenso wie Aspirin – die Blutgerinnung hemmt, sollte es nicht vor einer Operation eingenommen werden. Die maximale Dosis für einen gesunden Erwachsenen liegt bei 1,2 Gramm am Tag.
4) Diclofenac: Das Medikament wirkt schmerzlindernd, fiebersenkend und entzündungshemmend. Ohne ärztliche Anweisung sollte es nur in niedrigen Dosierungen angeboten werden, da allergische Reaktionen häufig auftreten. Die maximale Tagesdosis liegt bei gesunden Erwachsenen bei 75 Milligramm pro Tag.
5) Naproxen: Der Wirkstoff von Naproxen ist erst seit 2002 rezeptfrei. Die frei verkäuflichen Präparate sind sehr niedrig dosiert. Das liegt zum Einen an den starken Belastungen für Leber und Nieren und zum Anderen an der doppelt erheblich längeren Wirkdauer des Medikaments im Vergleich zu anderen Schmerzmitteln. Die maximale Tagesdosis für gesunde Erwachsene liegt bei 750 Milligramm am Tag.
Neben den häufig gebrauchten Schmerzmitteln werden in Deutschland auch viele andere Medikamente rezeptfrei verkauft. Nebenwirkungen und unterschätzte Gefahren gibt es aber auch beim Gebrauch dieser Präparate.

Rezeptfreie Medikamente gegen Erkältung
Etwa 30 Prozent der Deutschen greifen regelmäßig auf rezeptfreie Erkältungsmedikamente zurück. Problematisch sind dabei häufig nicht die frei verkäuflichen Medikamente an sich, sondern die nur unzureichend behandelten Krankheitsbilder. Ein verschleppter Infekt zum Beispiel kann sich zu einer gefährlichen Lungen- oder Hirnhautentzündung entwickeln. Bei der Selbstbehandlung mithilfe rezeptfreier Medikamente ist es nicht selten, dass die Wirkstoffe nicht zu den Krankheiten passen, wodurch das Risiko einer Verschleppung steigt. Zudem meiden Menschen, die sich in der Apotheke mit Medikamenten eindecken, den wichtigen ärztlichen Rat. Frei verkäufliche Erkältungsmedikamente lindern zumeist nur die Symptome der Krankheit. Dadurch können Erreger unbemerkt im Körper schlummern und zu schlimmen Gesundheitsschäden führen.
Eine weitere Gefahr rezeptfreier Erkältungsmittel ist die starke Mischung verschiedener Wirkstoffe. Die Apotheke spricht nicht umsonst von Kombi-Präparaten. Ärzte warnen aber vor solchen Arzneien, da sie unberechenbar wirken und somit eine gezielte Behandlung eher stören.
Rezeptfreie Medikamente gegen Schlafstörungen
Schlafmittel sollten ohne ärztliche Anweisungen immer nur kurzfristig genommen werden. Vor allem Wirkstoffe wie Diphenhydramin, Dimenhydrinat oder Doxylamin wirken sich auf den Schlafrhythmus aus und verringern den Erholungseffekt von Schlaf.
Aufgrund der raschen psychischen Abhängigkeit von Schlaf sowie der enormen Belastungen auf Körper und Geist, die mit anhaltenden Schlafstörungen auftreten, sollte bei regelmäßigen Schlafstörungen unbedingt ein Arzt aufgesucht werden und nicht die Selbstbehandlung mit rezeptfreien Präparaten versucht werden.

Rezeptfreie Nasensprays
Nasensprays werden in Deutschland zu oft genutzt. Ärzte warnen schon lange vor den unterschätzten Gefahren der frei verkäuflichen Präparate. Die Wirkstoffe Xylometazolin, Oxymetazolin, Tramazolin oder Naphazolin sorgen zwar kurzfristig durch Verengung der Blutgefäße in der Nasenschleimhaut für freien Atem, haben aber bei einem Gebrauch von länger als einer Woche den umgekehrten Effekt. Schleimhäute schwellen dann an und die Nase ist dauerhaft verstopft. Der daraus entstehende Teufelskreis bewirkt, dass viele Menschen noch mehr Nasenspray nutzen. Ohne Chance auf Linderung rutschen auf diese Weise viele Nasensprayer in eine nicht zu unterschätzende Abhängigkeit vom Nasenspray.