Downshifting: Führt weniger Karriere zu mehr Lebensfreude? Das sagt der Stress-Experte!

Downshifting, also weniger arbeiten, um mehr Freizeit zu haben, bringt Vor- und Nachteile mit sich. Stress-Experte Dr. Grüttert erklärt im Interview, für wen sich der berufliche Rückschritt lohnt und für wen nicht.  

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Beim Downshifting geht es nicht um Konsumverzicht, sondern um Karriereverzicht: weniger arbeiten, mehr leben. Das bewusste und geplante Reduzieren der Arbeitsstunden lässt mehr Zeit für die schönen Dinge des Lebens – für sich selbst, für die Familie, für Freunde, Hobbys, Reisen. Allerdings hat Downshifting auch Nachteile: weniger Gehalt, mehr finanzielle Unsicherheit, keine aufsteigende Karriere.

Der Duisburger Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Torsten Grüttert erklärt im Interview mit Praxisvita, für wen Downshifting (nicht) geeignet ist und welche Fragen Sie sich stellen sollten, bevor Sie sich für den beruflichen Rückschritt entscheiden.

Frau am Schreibtisch streckt sich entspannt
Downshifting: Gerne arbeiten, ohne sich zu überarbeiten Foto: iStock/Chinnapong

Downshifting ist längst in unserem Arbeitsalltag angekommen. Woher kommt der Trend zum Karriereverzicht?

Dr. Grüttert: Immer mehr Menschen fühlen sich überfordert und ausgepowert. Leistungsdruck, Arbeitsverdichtung, Multitasking und Digitalisierung – dies alles lässt viele an ihrer Tätigkeit und deren Sinnhaftigkeit zweifeln. Downshifting, also beruflich herunterzuschalten, eröffnet ihnen die Möglichkeit, aus dem Hamsterrad herauszukommen, sich neu zu orientieren und mehr Zeit für die wesentlichen Dinge des Lebens zu haben.

Was steht im Zentrum von Downshifting?

Studien zeigen, dass sich immer mehr Arbeitnehmer:innen mit dem Lebensmodell Downshifting anfreunden können. Statt bis zum Umfallen zu schuften, wünschen sie sich ein sinnvolles, weniger aufreibendes Leben. Sie suchen eine sinnvolle Alternative zum Stress und Druck in der Arbeitswelt. Mehr Lebensqualität und eine ausgeglichene Work-Life-Balance spielen dabei eine wichtigere Rolle als der Erfolg im Job. Nicht selten gehen dem Wertewandel eine Lebenskrise oder ein Burnout voraus, die die Menschen zum Umdenken bringt. Allerdings hat das bewusste Herunterschalten nichts mit dem Alter zu tun – Downshifting mit 50 ist nicht der einzige Weg.

Was sind die Vorteile von Downshifting?

Der Vorteil von weniger Arbeit ist ganz simpel: mehr freie Zeit. Diese neugewonnene Freizeit bedeutet ein selbstbestimmtes Leben mit weniger Stress und mehr Raum für Familie, Freunde und Hobbys. Wer beispielsweise nur noch vier Tage die Woche arbeitet, hat drei Tage zur freien Gestaltung. Beförderungen, Gehaltserhöhungen, Image – vieles, was zuvor wichtig war, verliert zunehmend an Bedeutung. Im Vordergrund stehen vielmehr Werte wie die Besinnung auf das Wesentliche, Lebensfreude und Zufriedenheit. Es geht um die individuelle Optimierung des eigenen Lebensentwurfs.

Die Vorteile klingen verlockend. Ist Downshifting also für jede:n geeignet?

Pauschal ist das nicht zu beantworten. Aber sicherlich kommt Downshifting für berufs- und karriereorientierte Menschen kaum infrage. Und auch diejenigen, die Wert auf ein hohes Einkommen mit entsprechendem Status legen, sollten sich zweimal überlegen, ob sie mit diesem Konzept wirklich glücklich werden können.

Stichwort hohes Einkommen: Welche Nachteile hat Downshifting?

Wer sich für Downshifting entscheidet, der akzeptiert in der Regel Einbußen in Karriere und Finanzen. Das kann einhergehen mit einer Arbeitszeitverkürzung, aber auch mit dem Verzicht auf eine Führungsposition oder sogar dem Ausstieg aus dem Job. Generell macht sich dies nicht unbedingt gut im Lebenslauf. So mancher Personalchef sieht das vielleicht als Zeichen mangelnder Belastbarkeit oder fehlenden beruflichen Engagements.

Darüber hinaus wird ein solcher Schritt in unserer leistungsorientierten Gesellschaft vielfach immer noch als Schwäche oder Versagen gesehen. Nicht selten reagieren Kollegen und Mitmenschen mit Ablehnung, Widerständen oder Unverständnis darauf.

Downshifting begründen: Welche Fragen muss ich vorab für mich klären?

Zeichnet sich ab, dass Job und Arbeitszeit nicht mehr zum eigenen Lebensentwurf passen, so ist Downshifting eine reale Option. Zuvor sollte man sich jedoch gut überlegen, was man eigentlich will und wo der Weg hingehen soll – am besten gemeinsam mit Familie, Freunden sowie weiteren Beteiligten.

Folgende Fragen können bei der Entscheidung helfen:

  • Ist es vielleicht gar nicht der Beruf an sich, sondern sind es vielmehr die momentanen Arbeitsbedingungen, die nerven?

  • Wünsche ich mir sich langfristig mehr Freizeit und Entspannung oder ist es eventuell nur aktuell besonders stressig?

  • Sind finanzielle Einschnitte und entsprechende Abstriche im Lebensstandard, die mit Downshifting einhergehen, kein Problem für mich?  

Ich kann aus privaten, beruflichen oder finanziellen Gründen nicht downshiften: Wie entspanne ich meine Arbeitssituation?

Wer nicht kürzertreten kann oder möchte, hat andere, effiziente Möglichkeiten, um ein gesünderes Verhältnis von Berufs- und Privatleben zu erreichen. Dazu gehören:

  • eine leichte Arbeitszeitverkürzung

  • regelmäßiges Home-Office

  • mehrmalige Kurzurlaube statt der einmaligen mehrwöchigen Sommerferien

Wer außerdem verstärkt auf eigene Bedürfnisse achtet, auch mal Nein sagt und sich etwas weniger aufbürdet, der kommt besser und gesünder durchs Leben – im Job ebenso wie in der Freizeit. Downshifting kann der richtige Weg sein, ist aber nicht das Maß aller Dinge.

Dr. Torsten Grüttert  - Foto: Privatklinik Duisburg
Unser Experte

Dr. Torsten Grüttert ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt der Privatklinik Duisburg.  Behandlungsschwerpunkte sind Stress-Erkrankungen wie Burnout, Depressionen, Angststörungen sowie psychosomatisch bedingte Schmerzstörungen.