Die Heilkraft der Kälte

Ein Mann hüpft barfuß über Eisschollen
Ein angenehmer Nebeneffekt von Minusgraden: Laut Untersuchungen schüttet unser Gehirn dabei vermehrt die Glückshormone Serotonin und Dopamin aus Foto: Fotolia

Richtig angewendet, hat Kälte erstaunliche medizinische Effekte. Jetzt haben Forscher eine Methode entwickelt, sie gegen Phantomschmerzen einzusetzen. Wogegen Kälte außerdem hilft.

Sie könnte es durchaus mit jeder Schmerztablette aufnehmen: klirrende Kälte. Denn gezielt eingesetzt, können thermische Reize akute wie chronische Beschwerden deutlich lindern.

Wissenschaftler haben jetzt ein neues Einsatzgebiet für Kälte entdeckt: Phantomschmerzen. Menschen, bei denen ein Körperteil amputiert oder bei einem Unfall abgetrennt wurde, haben häufige starke chronische Schmerzen dort, wo sich vorher das fehlende Körperteil befand. Die Ursachen für diese Schmerzen sind bisher nicht vollständig geklärt, verschiedene Theorien gehen allerdings davon aus, dass die zurückbleibenden Nervenenden im Stumpf dabei eine Rolle spielen.

Ein Forscherteam der Emory School of Medicine in Atlanta testete an 20 Patienten mit Phantomschmerzen die sogenannte Kryoablation. Dafür führten die Wissenschaftler eine kleine Sonde unter die Haut am Stumpf ein und richteten sie auf die verbliebenen Nervenenden. Diese wurden 25 Minuten lang auf unter Null Grad heruntergekühlt. Ziel der Behandlung war, die Weiterleitung von Signalen durch die Nervenenden zu unterbinden.

Vor der Behandlung sollten die Probanden ihre Phantomschmerzen auf einer Skala von eins bis zehn einstufen. Das durchschnittliche Ergebnis war 6,4. Als die Schmerzbewertung 45 Tage nach der Behandlung erneut durchgeführt wurde, stuften die Probanden ihre Schmerzen im Schnitt nur noch als 2,4 ein. Die US-Forscher wollen ihre neue Entwicklung jetzt an weiteren Patienten erproben.

Darüber hinaus hilft Kälte bei zahlreichen anderen Beschwerden – wenn sie richtig eingesetzt wird.

Eine Frau gießt sich kaltes Wasser über die Füße
Kalte Güsse stärken das Immunsystem, fördern die Durchblutung und lindern Krampfadern Foto: Fotolia

Kälte stärkt das Immunsystem

Kalte Wassergüsse können die Abwehrkräfte deutlich stimulieren, so jedenfalls lautet das Fazit einer Studie der Universität Jena. Dabei behandelten Ärzte den Oberkörper von Patienten zehn Wochen lang mit Kälte – dreimal wöchentlich mit Güssen, zweimal pro Woche mit Waschungen. Das Ergebnis: Im Blut der Probanden stieg die Zahl der Immunzellen (Lymphozyten) um 13 Prozent. Auch die Anfälligkeit für Atemwegsinfekte ließ sich wirksam senken.

Frieren rettet das Gehirn

Neurologen versetzen Schlaganfall-Patienten neuerdings in eine Art Winterschlaf. Durch das „Einfrieren“ des Gehirns wird dessen Sauerstoffverbrauch reduziert – so wird Folgeschäden wie dem Absterben von Gehirngewebe vorgebeugt. Die Methode: Die Körpertemperatur der Patienten wird von 37 Grad auf rund 34 Grad heruntergekühlt – zuerst mit vier Grad kalten Kochsalz-Infusionen, später per Katheter. An ihm hängen Kälteballons, die die Körpertemperatur regeln, während der Patient bei Bewusstsein ist. Meist wird die Temperatur nach 24 Stunden langsam wieder erhöht. Im Idealfall verschwinden dann Symptome wie Lähmungen und Sprachstörungen.

Fett weg mit Frost

Neuester Hollywood-Trick gegen Speckrollen: die Kryolipolyse. Bei diesem Kälte-Treatment lassen Stars wie Demi Moore Fettpolster an Bauch, Hüfte oder Po einfach wegfrieren. So funktioniert's: Mit einem Applikator wird die Problemzone lokal auf vier Grad heruntergekühlt. Das wird oft als unangenehm empfunden, ist aber nicht schmerzhaft. Effekt: Die Fettzellen sterben ab und werden über das Stoffwechselsystem abtransportiert. Mit Ergebnissen ist nach vier bis zwölf Wochen zu rechnen: Die Patienten verlieren an der behandelten Stelle bis zu 40 Prozent Fett. Die Methode eignet sich jedoch nicht für eine massive Gewichtsreduktion. Preis: Eine Sitzung (35-45 Minuten) kostet pro Körperareal ab 200 Euro. Meist sind zwei Termine erforderlich. 

Kälte lindert Rheuma

Immer mehr Ärzte schicken Rheuma-Patienten in Kältekammern. Über zwei Vorkammern mit zunächst minus zehn, dann minus 60 Grad landet man schließlich in der kältesten Kammer mit minus 110 Grad Celsius. Dort dauert der Aufenthalt bis zu drei Minuten. Effekt: Der Kälteschock dämpft Entzündungsprozesse in den Gelenken, regt den Stoffwechsel und die Durchblutung an. Schon nach 30 Sekunden verspüren Patienten Schmerzlinderung, die Beweglichkeit verbessert sich. Nach mindestens zehn bis 30 Anwendungen erfahren 90 Prozent der Patienten eine deutliche Verminderung ihrer Schmerzen. Bundesweit gibt es etwa 80 Kältekammern. Kosten: etwa 30 Euro pro Sitzung.

Falten auf Eis legen

Frotox statt Botox: Eine neue Kältespritze bügelt Stirn und Zornesfalten weg – ganz ohne Nervengift! Die Methode: Der Arzt setzt feine Nadeln mit flüssigem Stickstoff in den Stirnbereich. Dadurch kühlt der Nerv auf minus 70 Grad ab, sein Innerstes (das Nervenmark) wird vorübergehend zerstört. Das Ergebnis: Die Mimikmuskeln sind ruhig gestellt. Der Straff-Effekt tritt sofort ein und hält, bis der Nerv sich erneuert hat – das dauert vier bis sechs Monate. Vorteil gegenüber Botox: Die Stirn wirkt nicht maskenhaft. Kosten: circa 400 Euro. Wichtig: Eignet sich nicht für Falten, die auch im entspannten Zustand sichtbar sind.

Kryotherapie gegen Neurodermitis

Frostige Temperaturen erzielen auch bei Schuppenflechte und Neurodermitis erstaunliche Wirkungen. Die Patienten verharren spärlich bekleidet bis zu drei Minuten in einer Kältekammer, möglichst zweimal täglich. Der Juckreiz bei Neurodermitis bessert sich schon nach wenigen „Expeditionen in die Kälte“ und verschwindet oft völlig. Nach etwa 20 Kälte-Anwendungen gehen auch die entzündlichen Hautveränderungen zurück, die Patienten brauchen weniger Kortison-Medikamente. Einige Kassen beteiligen sich an den Kosten von etwa 30 Euro pro Aufenthalt. Mehr Infos unter: www.roteskreuzkrankenhaus.de.