Die 6 Stufen einer Depression: So kann der Verlauf aussehen
Forschende haben mit tiefenpsychologischen Interviews die Stufen einer Depression entdeckt. Das Wissen kann Betroffenen und deren Angehörigen helfen, die Krankheit frühzeitig zu erkennen. Wie der Verlauf einer Depression aussehen kann und wie Angehörige helfen können.
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Stephan Grünewald, Psychologe und Mitgründer des Marktforschungsunternehmens Rheingold, versuchte mit seinem Team durch insgesamt 80 zweistündige Interviews zu verstehen, wie Patient:innen, deren Angehörige sowie behandelnde Ärzt:innen mit Depressionen umgehen. Das Ergebnis: Die 6 Stufen einer Depression.

Depressionen werden oft verkannt
Ein Punkt fiel dem Team um Grünewald bei der Sichtung des Interviewmaterials besonders auf: „Depressiv will niemand sein“, so Grünewald. Das steht für eine Schwäche, auf die viele in unserer Leistungsgesellschaft oft mit Unverständnis und Vorurteilen reagieren. Sie sprechen lieber von „Kopfschmerzen“, „Schlafstörungen“ oder „Burn-out“. Das würde eher anerkannt, führt aber dazu, dass eine depressive Verstimmung oft viel zu spät erkannt würden. „In der Regel schlagen sich die Betroffenen drei Jahre mit ihrer Krankheit alleine rum, oft ohne Verwandten oder Freund:innen davon zu erzählen“, warnt Grünewald.
Depression: Verlauf in 6 Stufen
Depressionen ähneln in einem wichtigen Punkt vielen anderen Krankheiten: Wer die Symptome kennt, kann sie rechtzeitig erkennen und so meist besser behandeln. Die Heilungschancen steigen. Um genau hierbei helfen zu können, haben die Forschenden um Grünewald aus den Erkenntnissen ihrer Interviews die sechs Stufen der Depression beschrieben.
1. Höchste Ansprüche
Oft liegen Depressionen überhöhte Erwartungen an sich selbst zugrunde. „Wenn Betroffene sich öffnen, zeigen sich hohe Ansprüche, Ideale oder ein Perfektionsstreben“, so Grünewald. Er sieht darin unsere heutige Leistungsgesellschaft gespiegelt. Betroffene wollen im Freizeit- und Berufsleben perfekt sein. Oft scheitern sie daran.
2. Rückschläge
Verpassen sie ihre hohen Ziele, dann nähmen Betroffene das oft nicht als kleinen Rückschlag wahr, sondern als allumfassende Niederlage. Das können bisweilen schon kleinste Erlebnisse sein: Ein Betroffener berichtet zum Beispiel davon, dass sein Chef ihn wegen einer falschen Kopie kritisierte. Statt seinen eigenen Standpunkt zu vertreten, zog er sich komplett zurück und stürzte in eine depressive Phase.
3. Stilllegung
Ein gesunder Mensch kann sich auch über eine Einschränkung ärgern, wird dann aber etwa denken „man kann ja auch mal Fehler machen“ oder „das nächste Mal setze ich mich besser durch“. Bei Menschen, die sich auf dem Weg in eine Depression befinden, findet eine solche Auseinandersetzung nicht statt. Sie stehen still. Der Zustand, den die Wissenschaftlerin Miriam Rehberger als "Hänger" beschreibt. Sie richten sich in ihrer Einschränkung ein und übernehmen diese als unveränderbar. Das heißt aber nicht, dass sie sich darin wohlfühlen, sondern sie nehmen diesen Zustand als unglaublich belastend wahr. Wie ein Motor, der im Leerlauf auf Hochtouren dreht und heißläuft.
4. Alltags-Vergleichgültigung
Die Stilllegung stabilisiert sich, weil die Betroffenen unbewusst fast alle Impulse abwehren, die zu einer Aktivität animieren könnten. Sie hören auf, Tätigkeiten oder Lebensthemen zu priorisieren. Alles scheint gleich wichtig oder unwichtig. Für die Betroffenen wirkt dies wie ein riesiger Berg, von dem sie glauben, ihn nicht erklimmen zu können.
5. Gedankenkreisen ohne Problemlösung
Weil sie ihre Aufgaben nicht mehr überblicken und sich zurückziehen, wirken Depressive lethargisch. Von Freund:innen und Familie kommt dann oft der Spruch „gibt Dir einfach einen Ruck!“ oder „geh mal Deine Probleme an!“ Doch gerade das ist falsch, denn die Betroffenen wirken nur ruhig. Innerlich laufen sie auf Hochtouren. Die Welt verschwindet und die Gedanken kreisen nur noch um die eigenen Probleme, für die man jedoch keine Lösung findet.
6. Verbitterte Behandlung von Symptomen
Häufig geraten die Betroffenen nach einer Weile in einen Zustand der resignativ-verbitterten Symptombehandlung. Sie finden sich damit ab, dass sie ihrer Depression nicht entfliehen können. Sie versuchen lediglich die Symptome zu lindern und behandeln sich dazu selbst. Häufig dauert es Jahre, bis sie einen Arzt oder eine Psychologin aufsuchen. In diesem isolierten Zustand probieren sie fast alles, was ihr Leiden – scheinbar – lindert: Von Selbstmedikation mit Alkohol und Drogen bis hin zum Suizid als letzten Ausweg.
Alternatives Modell: 5 Stufen der Depression
Das Stufenmodell von Grünewald zur Beschreibung des Depressionsverlaufs ist eines von vielen. Ein weiteres, bekanntes Modell sind die 5 Stufen der Depression, die auf den 5 Stufen der Trauer nach der schweizerischen Psychiaterin Dr. Elisabeth Kübler-Ross aufbaut. Danach verläuft eine Depression wie folgt:
1. Negative Gedanken und Glaubenssätze über die eigene Person
2. Veränderter Appetit und dadurch deutliche Gewichtsabnahme oder -zunahme
3. Verändertes Schlafverhalten, Entstehung von Einschlaf- und Durchschlafproblemen
4. Selbstvorwürfe und Schuldgefühle
5. Suizidale Gedanken
Keinen Zwang auf Menschen mit Depressionen ausüben
Dr. Hans-Peter Unger, Chefarzt des Zentrums für seelische Gesundheit der Asklepios Klinik Hamburg-Harburg, teilt Depressionen in drei Stadien ein: „Es gibt die leichte, die mittlere und die schwere Depression. Die Ausprägungen können lückenlos ineinandergreifen.“ Auch er sieht es als wichtig an, Betroffene zu aktivieren. Doch Unger betont: "Der oder die Betroffene darf weder sich selbst zu etwas zwingen, noch durch andere zu etwas gezwungen werden!“ Das sollten Angehörige und Freunde im Hinterkopf behalten, wenn sie einem Depressiven helfen wollen. Genau für diese schwierige Situation hat Grünewald auf der Basis seiner Interviews acht Empfehlungen aufgestellt.
Depressionen – 8 Tipps für Angehörige
Die Gefahr einer depressiven Erkrankung steigt, wenn Menschen im Alltag ruhige Phasen fehlen, in denen sie über ihr Leben nachdenken können. Sie funktionieren nur noch, blenden Probleme aus. Sollten Angehörige ein solches Verhalten bemerken, könnten Sie dem Betroffenen raten, mehr Ruhephasen in ihren Alltag einzubauen, zum Beispiel ausgedehnte Pausen, unverplante Tage oder Momente der Langeweile und des Müßiggangs.
Es ist wichtig, Betroffenen den selbstgesetzten Druck zu nehmen: Angehörige könnten sagen: „Du bist mir wichtig. Das hängt nicht davon ab, ob Du Deine selbstgesteckten Ziele oder die vermeintlich von außen gesetzten Erwartungen erfüllst.“
Angehörige sollten Betroffenen helfen, offensiver mit Ärgernissen umzugehen: aktiv wehren, Verluste bewusst betrauern, statt zu schweigen und sie zu verdrängen.
Gerade Ärzt:innen erleben Betroffene, die immer wieder mit unbestimmten Problemen zu ihnen kommen, als belastet. Da ist es oft besser, sich einmal mehr Zeit zu nehmen und zum Beispiel anhand der oben beschriebenen Stadien zu erforschen, ob es sich möglicherweise um eine Depression handelt. Sie sollten den Betroffenen vermitteln, dass es nicht darum geht, ihnen ein Etikett zu verpassen, sondern ihnen ergebnisoffen zu helfen.
Wir sind von der modernen Medizin schnelle Behandlungserfolge gewöhnt. Die sind bei einer Depression leider sehr unwahrscheinlich. Erkrankte, Angehörige und Ärzte sollten darum in kleinen Schritten denken und auch diese als Erfolg werten.
Betroffenen fällt es schwer, Prioritäten zu setzen. Gerade daran sollte mit ihnen gearbeitet werden. Denn erst, wenn bei ihnen ein Reflektions-Prozess darüber einsetzt, was wichtig im Leben ist und was nicht, können sie dieses Problem in den Griff bekommen.
Schrittweise sollten Betroffene auch wieder Aufgaben im Alltag übernehmen – auch unter der Gefahr, dass sie daran scheitern. An diesen kleinen Niederlagen können sie gesundes Scheitern üben. Sie sollten diesen Prozess aber unbedingt mit Ärzt:innen und Angehörigen besprechen und so reflektieren.
Viele Betroffene haben Angst davor, mit Medikamenten "ruhiggestellt" zu werden. Für diese stellen natürliche Antidepressiva eine gute Alternative dar.
Wenn Sie sich ständig erschöpft und traurig fühlen oder unter Schlafproblemen leiden, kann dies auf eine Depression hindeuten. Spätestens nach zwei Wochen Niedergeschlagenheit ist es wichtig, sich professionelle Hilfe zu suchen. Auf der Website der Deutschen Depressionshilfe finden Sie verschiedene Anlaufstellen. Dort sind auch Adressen für Notfälle gelistet. Bei konkreten Suizidgedanken ist es wichtig, die nächstgelegene Klinik mit psychiatrischer Notaufnahme aufzusuchen.
Bei akuten Sorgen oder Ängsten können Sie jederzeit anonym die Telefonseelsorge unter den Telefonnummern 0800/111 0 111 oder 116 123 anrufen.
Wenn Sie nicht selbst betroffen sind, aber depressive Symptome bei anderen bemerken, erhalten Sie auf der Website der Deutschen Depressionshilfe konkrete Handlungsempfehlungen. Besteht eine konkrete Suizidgefahr ist es wichtig, sofort den Rettungsdienst unter 112 oder die Polizei zu verständigen.
Der Versuch, Depressionen in Stufen einzuteilen, dient dazu, Depressionen zu stoppen, bevor sie sich zu ihrer vollen Größe auswachsen – sollten Sie den Verdacht haben, dass Sie oder ein:e Angehörig:e eine Depression entwickeln, suchen Sie möglichst schnell das Gespräch mit einem:einer Hausärzt:in oder einem:einer Fachärzt:in.