Ist Dehnen gesund? Darauf kommt es an!

Dehnübungen sollen vor Verletzungen beim Sport und vor Muskelkater schützen. Viele Expert:innen raten aber zur Vorsicht: Stretching könne überflüssig oder sogar schädlich sein. Ist Dehnen gesund oder nicht? Auf diese Kriterien kommt es an.

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Stretching gehört für viele fest zum Fitnessprogramm dazu – und das gleich doppelt. Vor dem Sport soll es beim Aufwärmen dabei helfen, Verletzungen zu vermeiden. Nach dem Training gilt es als gute Methode, um Muskelkater einzudämmen. Allerdings scheiden sich beim Thema Dehnen die Geister. Viele Mediziner:innen und Physiotherapeut:innen raten ab oder zumindest zur Vorsicht. Ist Dehnen gesund? Die Antwort auf diese Frage hängt von mehreren Aspekten ab.

Stretching: Gesund oder nicht?

„Die Effekte des Dehnens in Sport und Therapie zählen zu den unter Physiotherapeuten kontrovers diskutierten Themen.” Zu diesem Urteil kam die Physiotherapeutin Sylvia Wunderlich im Fachmagazin des Verbands Physikalische Therapie (VPT). Früher habe Stretching zu jedem Sporttraining dazugehört. Dann hätten Studien den Verdacht geschürt, dass Dehnübungen Verletzungen gar nicht verhindern oder diese sogar begünstigen.

Eine oft zitierte Untersuchung wurde im Jahr 2000 unter US-Rekruten durchgeführt. Sie ergab, dass Dehnübungen das Risiko von Muskelverletzungen beim Sport lediglich minimal senken. „Man müsste aber rund 23.000 Stunden Sport treiben, um durch Dehnen eine Verletzung zu vermeiden”, sagte der Bewegungswissenschaftler Professor Jürgen Freiwald von der Universität Wuppertal 2005 der Stiftung Warentest.

Dass Dehnübungen gegen Muskelkater helfen, gilt mittlerweile als widerlegt. “Muskelkater ist die Folge kleinster Muskelrisse auf Zellebene. Wenn man noch mal dran zieht, macht das die Muskeln auch nicht wieder heil”, erklärte Freiwald.

Richtig eingesetzt ist Dehnen gesund

Ganz so eindeutig fällt das Urteil über Stretching im Sport oder in der Freizeit jedoch nicht aus. Expertin Wunderlich, die jahrelang die deutsche Fecht-Nationalmannschaft betreut hat, unterstrich in ihrem Artikel: „Ein Dehnprogramm für jedermann gibt es nicht mehr. Es sollte immer auf die jeweilige Sportart und auf individuelle körperliche Einschränkungen abgestimmt sein.”

Die verschiedenen Methoden beim Dehnen

Bei den gängigen Dehnmethoden für Laien wird grundsätzlich zwischen dynamisch und statisch unterschieden. Dynamisches Stretching zeichnet sich durch mehrfach wiederholte, federnde Bewegungen aus. Wer statisch stretcht, hält die Dehnposition einige Sekunden oder gar Minuten lang.

Beide Methoden haben unter Expert:innen sowohl Anhänger als auch Kritiker. Im Zweifelsfall sollten Sie immer Ihre Ärzt:in oder Physiotherapeut:in um Rat fragen, ob Dehnübungen infrage kommen und wenn ja, in welcher Form.

Welche Vorteile Dehnen hat

Der größte Vorteil von Dehnübungen: Sie verbessern die Beweglichkeit oder helfen zumindest, sie im Alter zu erhalten. „Hierfür ist Dehnen unverzichtbar”, urteilte Professor Freiwald gegenüber Stiftung Warentest. Er empfahl das Stretching vor dem Sport deshalb auch in erster Linie für Disziplinen, in denen es besonders auf Beweglichkeit ankommt, zum Beispiel beim Turnen.

Dehnübungen zum Zwecke der Beweglichkeit sind aber prinzipiell für alle Menschen von Vorteil. Ob man davon besonders profitiert, lässt sich mit einem einfachen Test herausfinden. Wer bei durchgedrückten Knien mit den Fingerspitzen nicht den Boden berühren kann oder ein deutliches Ziehen an Beinen und im Rücken verspürt, sollte dringend etwas für seine Beweglichkeit tun.

Wunderlich zufolge kann Stretching zudem zur Behandlung von unspezifischen chronischen Rückenschmerzen eingesetzt werden. Außerdem ist Dehnen nach dem Sport dazu geeignet, gezielt Muskelpartien zu entkrampfen – etwa die Waden von Fußballern oder die Schultern bei Schwimmern.

Kann man auch zu viel dehnen?

„Beim Dehnen wird das Bindegewebe verformt. Das reduziert die Sprung- und Schnellkraft, zum Beispiel von Sprintern oder Volleyballspielern”, erklärte Freiwald. Bei Leistungssportlern könne dies den Unterschied zwischen Welt- und Kreisklasse bedeuten.

Vorsicht ist außerdem für Menschen geboten, die generell „überbeweglich” sind. Das kann sich bemerkbar machen, indem man häufig umknickt. Hier wäre die erhöhte Beweglichkeit durch Stretching kontraproduktiv.

Ist Spagat gesund?

Auf die Frage, ob ein Spagat gesund ist, gibt es keine pauschale Antwort. Lernt ein junger Mensch im Zuge eines umfangreichen Trainings den Spagat als eine von vielen Bewegungs- und Dehnungseinheiten und entstehen dabei keine übermäßigen Schmerzen, ist dagegen nichts einzuwenden.

Einen Spagat zu erlernen „nur um des Spagates Willen“ macht aber wenig Sinn und kann Hüftgelenk und Sehnen auch überfordern - vor allem dann, wenn keinerlei aktive Gelenkbeweglichkeit trainiert wird. Die Frage, ob das Erlernen eines Spagats sinnvoll ist, sollte also immer individuell, möglichst in Absprache mit einer Orthopäd:in, einer Physiotherapeut:in oder einer Trainer:in geklärt werden.

Wie oft dehnen ist gesund?

Um Ihre Beweglichkeit zu verbessern, sollten Sie mindestens dreimal pro Woche, besser jedoch täglich, 10 bis 15 Minuten trainieren, raten Expert:innen. Achten Sie dabei auf gleichmäßige Dehnung ohne Gewaltakte. Vor dem Stretching sollte das Aufwärmen stehen, etwa durch lockeres Laufen auf der Stelle.

Die besten Dehnübungen für mehr Beweglichkeit

Diese drei Dehnübungen sind besonders beliebt:

Dehnen des vorderen Oberschenkelmuskels (Quadriceps)

  • Dazu wird im Stehen zunächst das rechte Bein angewinkelt.

  • Greifen Sie mit der rechten Hand das Fußgelenk und ziehen Sie die Ferse zum Gesäß, bis die Dehnung im Oberschenkel zu spüren ist.

  • Die Knie bleiben dabei geschlossen.

  • Wer möchte, kann sich bei dieser Übung festhalten.

  • Machen Sie kein Hohlkreuz und halten Sie die Hüfte gestreckt.

  • Die Übung mit dem linken Bein wiederholen.

Dehnung der seitlichen Nackenmuskulatur

  • Sie sitzen auf einem Stuhl oder Hocker, die Füße stehen etwas mehr als schulterbreit auseinander auf dem Boden.

  • Schieben Sie den Scheitel nach oben, strecken Sie die Wirbelsäule.

  • Die Schultern und das Kinn werden gesenkt. Neigen Sie den Kopf zur linken Schulter, der Kopf wird nicht gedreht.

  • Der rechte Arm wird nach unten gezogen, bis die Dehnung in der seitlichen Nackenmuskulatur zu spüren ist.

  • Achten Sie auf eine gleichmäßige Atmung.

  • Wiederholen Sie die Bewegungen auf der rechten Seite.

Dehnung der seitlichen Bauchmuskulatur

  • Sie stehen aufrecht, die Füße stehen etwas mehr als schulterbreit auseinander.

  • Strecken Sie den rechten Arm senkrecht nach oben, den linken lassen Sie eng am Körper anliegen.

  • Nun neigen Sie den Oberkörper auf die linke Seite.

  • Der rechte Arm wird nach links gezogen, um die Dehnung zu verstärken.

  • Wiederholen Sie die Dehnung auf der linken Seite.

Dehnübungen sind also generell empfehlenswert, um die Beweglichkeit zu verbessern; bei der Vermeidung von Verletzungen spielen sie jedoch kaum eine Rolle. Wer beim Sport Wert auf Höchstleistungen legt, sollte bei bestimmten Disziplinen lieber auf Dehnen verzichten. Die Frage „ist Dehnen gesund?“ sollte demnach immer individuell beantwortet werden.

Quellen:

Pope, Rodney Peter, et al. (2000): A randomized trial of preexercise stretching for prevention of lower-limb injury, in: Medicine and science in sports and exercise

Dehnen: Muss das wirklich sein?, in: test.de

Statisches vs. Dynamisches Dehnen, in: boetsch-physio.de

Dehnung, in: orthopaedie-zentrum.at